Bei näherem Zusehen erwies sich das weiche Bündel als der Kater Jakl. dem jemand das Kreuz eingeschlagen hatte. Wer? das U>ar unschwer zu erraten. Das Weiblein war ganz starr vor Weh. Weinen konnte sie «immer, denn die Tränen sind in diesem Alter meist versiegt. Stumm hob sie den toten Kater auf und setzte sich mit demselben lim Schoß in ihren alten, zerrissenen Lehnstuhl. Mechanisch fuhr sie immer und immer wieder mit den knochigen, zitternden Fingern streichelnd über das Fell des Leblosen. Es wurde finster in der Kammer. Ohne sich zu regen, saß die Nusserin. Nur noch selten und unbewußt strichen die braunen Hände über die tote Katze. Endlich blieben auch sie ruhig auf dem kleinen Leichnam liegen. Nun lebten nur noch die Augen. Bis auch die Ruhe fanden und die Lider langsam fielen. Da wird es im Innern der Alten lebendig. Ihr ganzes Leben rollte an ihr vorüber, Schönes und Häßliches, Böses und Gutes. Zum Greifen scharf und klar. Und jedesmal, wenn etwas ganz Besonderes kam, dann gab es einen kleinen, schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Ein langes, langes Leben, überreich an Arbeit und Sorge und Kampf ums liebe Brot. Nur einmal lächelte sie. Wie sie am Ende angelangt war, am Jetzt. Es kam ihr zum Bewußtsein, daß sie doch immer und immer wieder Siegerin im harten Kampfe, immer Herr geblieben war. Bis nahe an die Hundert ohne fremde Hilfe sich durchgerungen hatte. Klar und scharf umrissen fühlte dieses einfache, alte Gehirn den Sieg seines Lebens. Und dieser Sieg prägte sich im Lächeln aus, die sonst so scharfen Züge mildernd. Ohne Bettel und Armenhaus, ohne fremde Hilfe nahe hundert Jahre durchgerungen, nur durch redliche Arbeit gesiegt. Und sie fühlte, daß sie in all ihrer Einfachheit doch stärker wie die anderen gewesen war. Ein heftiger Stich im Herzen ließ sie scharf zusammenzucken; sie atmete tief auf. Da gab es einen kleinen Knacks in ihr, wie bei einem Uhrwerk, dem die Feder sprang. Das alte Herz hatte zu schlagen aufgehört! Das Lächeln aber blieb auf ihrem Gesicht. Der Tod kam zu rasch, um es mitnehmen zu können. Das Lächeln des in seiner Einfachheit sieghaften Lebens! ". Hdolf 6laßbreiincr und der Berliner   Volköwitz.*) Die Großzeiten deutscher Literatur fallen mit starken Volkse bewegungen zusammen. Da ist aus der Masse des Volkes heraus ein urtvüchsiges Gut der Sprache und des Rhythmus, des unver- bildeten Fühlens und Denkens eingedrungen in die Dichtung. Die sturmschwangere Zeit, die sich zuletzt in den Wettern der Reforma- tionÄbewcgung entlud, brachte einen Sieg der Volkssprache, der wieder dritthalb Jahrhunderte später vom jungen Goethe in seiner großen Bedeutung erfühlt wurde. Bon seinen Früchten ging mancher kräftige Keim auf dem Boden der Hainbund- und Sturm- und Drangperiode des achtzehnten Jahrhunderts auf, und von dieser Zeit her tastet in der deutschen   Dichtung wie auf ein heimliches, von innen treibendes Gebot hin Versuch um Versuch» der Volks- spräche, die nur als Mundart lebt und nicht Schriftsprache ist, mit Dichterhilfe ihr natürliches Recht auf ein Schristdasein zu be- stätigen und zu sichern. Mit Namen wie dem Nürnberger Grübcl, dem Pfälzer Maler Müller, dem Alemannen Hebel setzt die Arbeit ein, die auch heute noch andauert und für die letzte Vergangenheit und Gegenwart durch Namen wie den Baliern Stieler, die alp- ländischen Oesterreicher Anzengruber und Rosegger, die Schlesicr Gerhart Hauptmann   und Hermann Stehr  , den Niedersachsen   Fritz Stavenhagen und viele andere bezeichnet ist. Die naturalistischen und später heimatkünstlerischeu Jahre der jüngsten Literaturepoche segneten der mundartlichen Dichtung den Boden natürlich besonders gut. Wir haben uns aber daran gewöhnt, die Zeit des dritten Jahrhundertviertels als eine Art klassische Zeit der Dialektdichtung zu betrachten: die Schaffenszeit der Mecklenburger Fritz Reuter   und John Brinckman  , dann des Holsteiners Klaus Groth  , der auch der Bayer Franz Pocci   und der Frankfurter   Friedrich Stoltze   ange- hörten. Dieser Periode vorauf gehen Jahrzehnte, in denen das rnundartliche Theaterstück, das Lokalstück, eifrig gepflegt wurde. Aus der Masse des damals Geschaffenen ragt Vortreffliches hervor: Stücke des Straßburgers Arnold, des Frankfurters Malß schützte ein Goethe sehr; der Tatterich oes Darmstädlers Riebe rgall ist geradezu«ine Berühmtheit bis heute herauf und ebenso das Schaffen des Wieners Johann Ncstroy, und dieser Periode gehört nun auch Glaßbrenner an, dessen Plaudereien und Gesprächsszenen den Berliner   Jargon in die Literatur einführten. ) Ein Kapitel aus der Einleitung zu einer Auswahl aus Glaßbrenners klassischem Werk, die Franz Diederich   mit viel Liebe veranstaltet hat und demnächst im Verlag der Buchhandlung Vorwärts erscheinen lassen wird. In aller deutschen   Volksdichiung läuft das rote Blut ur gesunden Volkshumors um. Auch Glaßbrenner trank und gab aus diesem Quell. Er rann in ihm: seine Mutter war eine Berlinerin, und Kindheit und Jugend hat er ununterbrochen in Berlin   verlebt. Sein Bater war schwäbischer Herkunft, und vielleicht hat der Gegen» satz in der Sprechweise von Vater und Mutter sein Empfinden süB das Spezifisch-Andere des berlinischen Idioms geschärft. Feodor Wehl sagt:Sein Witz war der echte Berliner   Witz, immer zur Hand, schlagend und wirksam, dabei durchaus gemütvoll." Uni» sein Schüler Schmidt-Cabanis, der junge Freund seiner alten Tage, er wars, der seine schriftstellerische Leistung dahin kennzeichnete: er habe dem Volkswitz urch zwar insbesondere dem Berliner  Volkswitz zum Worte verhelfen und ihn in die Literatur ein« geführt. Und nicht bloß in die Literatur! Zu Lebzeiten Glaßbrenners gab es Leute, die kritiklos-guk« meinend in oie Welt hinausposaunten, er sei der Bater des Ber» liner Volkswitzes, was der also Belobte kurzweg mit den Worten» abwies: er bleibe den Dank dafür zeitlebens schuldig. Er nahm kein anderes Verdienst in Anspruch, als das eine, den Berlinern, die schon Goethe einenverwegenen Menschenschlag" genannt hatte, den Wert ihres Besitzes an Witz zum Bewußtsein gebracht zu haben. Im neunten Hefte vonBerlin  , wie es ist und trinkt" sagt eo Anno 1835 im Plaudern über Puppenspiele:Erst seit kurzer Zeiit ist das Berliner   Volksleben in Deutschland   gewürdigt; erst seit kurzer Zeit ist den Berlinern klar geworden, daß sie ein solches! haben, daß ihr Pöbel witzig ist, und, wie Hegel   sagt, abstrakt denkt". Lustig hat Feodor Wehl   anschaulich gemacht, wie Glaßbrenners Leistung geartet war: Der Berliner   Witz war bis dahin nur ein Gassenjunge ge» Wesen, ein Element, das auf allen Brunnenschwengeln, Treppen» geländern und Fenstersimsen saß, mit den Beinen schlenkerte und schnodderige" Redensarten machte, aber von niemand recht be- achtet wurde, ausgenommen von dsnen, welchen er feine Schaber» nacke spielte. Adolf Glaßbrenner   erlöste ihn aus dieser etwas un- bequemen Situation, um ihn in eine epochemachende Stellung zi» bringen. Er wusch dem Burschen die Hände, kämmte ihm das Haar und ließ ihm die Hosen flicken. Soweit zugestutzt, nahm er ihn vor, um ihm begreiflich zu machen, was er eigentlich sei. Ber- liner Witz, Du bist kein bloßer dummer Junge, sagte er zu ihm, Du bist das Genie Berlins  , der souveräne Geist der Bevölkerung. Wenn Du Deiner selbst bewußt wirst, sj> kannst Du es zu etwas bringen und sozusagen ein Mann bei der Spritze werden. Du mußt Dich nur gewöhnen. Deine Blicke höher und über die söge- nannten Kellerhälse der Häuser hinauszurichten. Du mußt Dich um Gott   und die Welt, zuletzt auch ein wenig um die Politik und Geschichte bekümmern. Der Berliner   Witz ist nicht auf den Kopf gefallen undroch", wie dle Berliner   Redensart sagt,Lunte", wenn er auch schon keineswegs gleich so weit war, der ganzen Trag- weite der Glaßbrennerschen guten Lehre inne zu werden. Er fing von da an, sich in alles zu mischen, was in Berlin   sich ereignete. Er setzte sich mit den Stammgästen der Kneipe zu derkühlen Blonden", schlich sich ins Theater ein, kroch dem Prediger in die Aermel seines Talars, dem Staatsrat ins Portefeuille, dem Humo- risten in die Feder, dem jungen Mädchen ins Wangengrübchen, ja. es gab«ine Ieit, in der er sogar coursähig war und verstohlen unten an den Stufen des Thrones hockte." Glaßbrenner sah nicht den Berliner   Vol'rswitz wie ein Forscher aus der Vogelschau, er fühlte ihn ringS um sich her und sich selbst als ein lebendiges Stück von ihm. Das meinte wohl auch Ernst Dronke  , wenn er ihn in feinem geschichtlich wertvollen Buche Berlin  ", das 1846 erschien, einenkleinen Berliner   Gamin* nannte. Glaßbrenner hat das, was ihn selbst kennzeichnete, als ein Merkmal des Ganzen genommen und hingestellt. Diese Ver» allgcmeinerung ist aus dem Charakter Glaßbrenners und auch aus der Zeitbewegung heraus zu verstehen. Mit der fortschreitenden Ausbreitung demokratischer Gedanken wuchs auch die Sehnsucht, sich als Element der Masse des Volkes zu fühlen, und mit den polt» tischen Wünschen, die auf Kampf und Macht abzielten, stand dio Neigung in Einklang, alles stark zu betonen, was das Volt groß er» scheinen lassen konnte. Es sollte sich selbst kennen und schätzen lernen. Ganz hoch sollte es sich einschätzen. Diesem Ziel wollten Glaßbrenners kleine Berliner   Schriften dienen. Als in den ersten dreißiger Jahren seine ersten Hefte über die politisierenden Eckensteher" Aussehen gemacht hatten, suchte der Berliner   Schauspieler Friedrich Beckmann   die Volksstimmung mit einer LokalposseDer Eckensteher Nante   im Verhör" für sich auszu» nutzen. Im Don Quixote von 1833 ging Glotzbrenner dieser Posse heftig zu Leibe. Er sagte, sie seiohne irgei d einen Wert":aus lauter uralten und millionenmal abgodrv>«heneii Witzen und Work- spielen zusammengeflickt und einer Hanswurst-Jacke eben nicht un- ähnlich." Nach Jahren ging er noch einmal darauf ein- und nannte Beckmanns Figurdurch und durch unwahr", sie habe keinen anderen Wert, als daß sie belustige. Er wollte eben mehr, wollte ernste Arbeit leisten, wenn er Volkstypeu zeichnete. Der Ranis  war ursprünglich eine Erfindung Karl Holteis, der in den zwanziger und dreißiger Jahren am Königstädtifchen Theater wirkte; Glaß- brenner aber wars. der der Figur Wesen, Sinn und Zweck �ab. Auch der Volkswitz hat seine Entwickelungskurven, blelbt sich nicht immer gleich in seiner Kraft, kann Ausstieg. Höhe und Ab- stürz haben.' Glaßbrenner   erlebte eine Aufgangs- und Höhezeit«nd