Volk,'km sie alles Herz aussaugt, ihm alle Begeisterung undTugend lächerlich macht."Aus der Stimmung jenes Briefes an Feodor Wehl läßt sichschließen, daß Glaßbrcnner die Ohnmacht der vormärzlichen Demo-krati« gegenüber den herauskommenden neuen Mächten wohl ge-spürt hat. Der kapitalistische Materialismus war schon an derArbeit, mit dem alten unpraktischen Idealismus des bürgerlichenEmanzipationskampses auszuräumen. Der lag ihm unbequem imWege; was er bejubeln sollte, mußte klingende Profite verbürgen,und die ließen sich mit idealistischen Moralskrupeln nicht fördern.Die revolutionären Traditionen der Demokratie, die er im März-jähr aus Angst vor dem Proletariat verraten hatte, blieben für ihnaltes Eisen, und er versuchte fortan, mit denen, die sich' soeben impolitischen Kräftemessen als die Stärkeren erwiesen hatten, aufhandelsgeschästliche Art zu seinem Borteil zurechtzukommen. Erpfiff auf den Begriff Volk und stellte sich selbst als das eigentlicheFleisch und Blut des Begriffes Nation über alles im Volk und so-gar über alles in der Welt. Er schob seine wirtschaftlichen Forde-rungen vor die politischen: die nationalen Ziele— also nur die,die ihm lagen— wurden ihm wichtiger als die liberalen und halfeneinem ScheinkonftitutionalismuS zum Leben, bei dem sich die altenMächte der absolutistischen Zeit sehr wohl befanden. So mischte sichin die Wirkungen des kleinbürgerlichen Niederganges, in die Merk-male von eingebildeter Kraft, zerfallendem Trotz und hoffnungs-'losem Pessimismus, die Farbe eines schachernd zum Ducken bereitenEmporkömmlingstums, dessen Wesen war, daß es bei zunehmenderökonomischer Kraft und Unternehmungslust freiwillig- unfreiwilligin politischer Ohnmacht verharrte, seiner Natur gemäß die Massedes Volkes mit nationalem Hurragetöse über den wahren Namendieser Ohnmacht belog rnrd aus allen Gebieten des öffentlichen undpersönlichen Lebens und Treibens mit tausend häßlichen Eigen-fchaften aufging und üppig gedieh.Aller verbitterte Groll, den die Wandlungen der fünfzigerJahre in Glaßbrenners Herzen aufgehäuft hatten, entlud sich, als1859 Schillers hundertster Geburtstag zu einer großen allgemeinenVolksfeier voll tönender nationaler Jdcalworte ausgenutzt wurde.Da stiftete der Dichter ins Stammbuch deutscher Geschichte folgen-des Blatt des Andenkens:„Ter Feiertag des heiligen Dichters fiel in eine Zeit des krasse-ften Materialismus: fiel in eine Zeit der ungezügeltsten Wut derpolitischen und religiösen Finsterlinge; fiel in eine Zeit des Bcr-falls der Schaubühne und des seichtesten, ekelsten Geschmackes vorderselben; fiel in eine Zeit, in welcher das schöne germanische Ele-ment unseres Volkslebens unter dem sich breitmachenden Wucherkeucht und seufzt; fiel in eine Zeit des Nihilismus, der frechenBlasiertheit und des herz-, gcsinnungs- und poesielosen Spottes,unter deren Herrschaft sich jeder fürchten muß, ausgelacht zu werden,der noch von Trtzend, Liebe, Ehre, Schönheit und Menschenwürdespricht, sich noch für die Ideale begeistert, welche der Nanie Schillerrepräsentiert. Wie hätte sich zu solcher Zeit eine wahrhafte Schiller-feier gestalten können? Sie war nicht möglich, da wir unsere Seelevon ihm abgelvendet haben."Solche Worte wetterte er einer Welt von Festbcrauschten mutigins Gesicht. Viele Zeitungen verschafsten der Philippika in Deutsch-land einen weiten Hörertrcis. Glaßbrenner durfte so reden: erhatte Schiller gedient, aus dem Geiste des vormärzlichen Idealismusheraus, anders wahrlich als die Masse der neuen Schwärmer, die sichan ein paar. national verwendbaren Sentenzen heiser schrien. Aberer sprach nur aus dem Vergleich mit einer entschwundenen Zeitund nicht als ein Mensch, dem sich ein Ausweg zu neuem Hoffenzeigte. Den Erscheinungen der neuen Zeit war er nicht gewachsen.Er sah sie nur in ihren äußeren Erscheinungsformen. Auf ihrebewegenden Ursachen zurückzugehen, war ihm nicht gegeben. Sosehr hielt die Zeit, die gewesen war, ihn fest, daß er nun der Ge-fahr verfiel, in ein unfruchtbares bloßes Anklagen, das nach demPhilister roch, abzugleiten. JranzDiederich.ScbwangerlcKaftund ßlutforfcbung�Es mag vielleicht zunächst etwas unwahrscheinlich klingen, aberes ist eine Tatsache, daß wir heute imstande sind, ledialiw a»S derUntersuchung des Blutes festzustellen, ob eine Person schwanger istoder nickt. DaS trifft für den Menschen ebenso zu wie für jedesandere Tier. Der Hallenser Physiologe Abderhalden, demwir auf dem Gebiet der Eiweißchemie große Fortschritte verdanken,hat auf Grund zutreffender Ueberlegnngen den Weg angegeben,dieses Problem, daS auch in praktischer Hinsicht von mancherlei Be-deulung ist, zu lösen. Wir wollen seinen Experimentaluntersuchungcn,die in verschiedenen Fachzcitungen zum Abdruck gelangt sind, einmalunsere Aufmerksamkeit widmen.Durch zahlreiche Untersuchungen ist festgestellt, daß bei dergewöhnlichen Verdauung im Magen-Darmkanal die verschieden-artigen Nahrungsstoffe in verhältnismässig elementare Gebildezerlegt werden. Das gilt für Zucker und Fett, das gilt in be-fonderem Maße auch für die kompliziert zusammengesetzten Eiweiß-körper, die wir mit der Nahrung ständig zu uns nehmen. DieseSpaltung wird von Fermenten bewirft, mikrochemischen Spreng-stoffen, deren der Organismus im Saft seiner Verdauungödrüseneine reichliche Menge besitzt. Nicht die kompakten Eiweitzstoff«unserer Nabrung, des Fleisches, der Milsch, der Hülsenfrüchte usw.,werden zum Aufbau unserer eigenen Körperzellen benutzt, sonderndie Bruchstücke, die auf fermentativem Wege entstanden sind, werdenzu neuartigen Gebilden je nach Bedarf zusammengefügt. Aus denTeilprodukren kann der Organismus die charakteristischen Eiweißartenseiner Körperzellen, etwa der Leberzellen oder der Gehirnzellen oderder Muskelzellen, die in ihrer Funktion und Zusammensetzungwesentlich von einander verschieden sind, herstellen. Sehr anschau»lich schildert Abderhalden selbst diesen Vorgang mit folgendenWorten:Wir können die Verdauung als eine ArbruchSarbeit bezeichnen.Baustein wird von Baustein gelöst, bis nur noch ein großer Trümmer-Haufen der verschiedenartigsten Bausteine der einzelnen NahrungS»stoffe übrig bleibt. Aus den indifferenten Bausteinen fügt dann dieeinzelne Körperzelle wieder komplizierte Gebilde nach ihren eigenenPlänen zusammen."Dieser Abbau der Rahrungsstoffe bis zu den einfachsten Bau»steinen findet aber nur im Magen- Darmlanal statt; nur hier finddie erforderlichen Sprengstoffe, die Berdauungsfermente, vorhanden.Bringt man die Nahrungsstoffe unier Umgebung des Darmkanalsin den Blutkreislauf, io reagiert der Körper in ganz bestimmterWeise auf diesen ungewohnten Eingriff. Er zeigt VergiftungS»erscheinungen, bekommt Fieber-, Puls- und Atemstörungen, oft aucheinen quaddelartigen Ausschlag. Diele Erscheinungen der Anaphylaxie(Ueberempfindlichkeit) sind in neuerer Zeil eingehend studiert. Wir habendavon auch an dieser Stelle schon gesprochen und gesehen, daß sie stetsdurch die Einverleibung körperfremden Eiweißes in den Blutkreislaufhervorgerufen sind. Durch diese Forschungen hat sich die Serumkrankheit,die nach großen Diphthcrieheilserum-Einspritzungen beobachtet ist,als eine solche anaphylaktische Erscheinung aufgeklärt, die durch Ber-Minderung des fremden Serums und Erhöhung deS wirksamenAntiloxingebaltes leicht zu umgehen ist.Hier fetzen die Versuche Abderhaldens ein. Er suchte dieFrage zu beantworten, ob der tierische Organismus den körper-fremden Stoffen, die ihm unter Umgehung des Darmkanals zu»geführt werden, schutzlos gegenübersteht, oder ob er Verteidigungs-maßregeln ergreift.Der gewöhnliche Rohrzucker, der aus zwei einfachen Znckerartenbesteht, kann vom tieriswen Organismus erst resorbiert werden.wenn er mittels eines bestimmten Verdauungsferments in seineBestandteile zerlegt ist. Das Blutserum eines normalen Hundesläßt infolgedessen eine Robrzuckerlö'ung unverändert, weil sich imSerum dasFennent nicht findet. Spritzt man aber dem Tier etwasRohrzuckerlömng in das Blur, so gewinnt das Serum des so be-handelten Hundes nach einiger Zeit die Fähigkeit, den Rohrzucker zuspalten. Der Körper hat sich also durch die Bildung von Schutz»fermenten gegen die ungewöhnliche Nahrungszufuhr auf dem Blut«wege gewehrt; das Rohrzuckermolekül wird gespalten und damit der ge«wöbnlichen Verarbeitung durch die Zellen zugänglich gemacht. Mittelseinfacher chemischer und physikalischer Methoden läßt sich die Spal-tung des Rohrzuckers nachweisen. Aebnlich verhalten sich die fteilichviel komplizierter zusammengesetzten Eiweißkörper. Bringt man imReagensglas normales Blutierum mit einer Eiweißart zusammen,so tritt keine Spaltung ein, wohl aber, wenn einem Versuchstiereinige Zeit vor der Blutentnahme die betreffende Eiweißart in dieBluibahn gespritzt ist. Auch dann bildet der tierische Organismusin seinem Blutserum Schuyfermente zu dem Zweck, die körper-fremden Eiweißarten in möglichst unschädliche Produkte aufzuspalten.Die Anwesenheit der Fermente läßt sich leicht nachweisen, da dieSpaltprodukie andere Reaktionelt geben als das unveränderte Eiweißmolekül.'-Der Organismus sucht also artfremdes Eiweißmaterial, das inseine Blutbahn gelangt ist, durch Aufspaltung unschädlich zu machen,durch Schutzfermeme in einfache Gebilde zu zerlegen. Abder»Halden versuchte nun festzustellen, ob auch arteigene Eiweiß»körper, die aber normalerweise im Blutserumnicht vorhanden sind, solche Schutzfermente aus»lösen können, wenn sie i,t den Blutkreislauf ge»langen. Es ist nun schon von früheren llntersuchern darauf hin»gewiesen worden, daß bei der Schwangerschaft Zellen vondem sich mächtig entwickelnden Mutterkuchen abgestoßen und in denallgemeinen Blutkreislauf des schwangeren Individuums gebrachtwerden. Nun kreisen also im Blute Zellen, die zwar vom gleichen.Organismus stammen, normalerweise aber im Blute nichts zu suchenhaben, die ferner nur bei schwangeren Personen in den Blutkreislaufgelangen. Es galt nun festzustellen, ob sich der Körper dieser blut»fremden Zellen zu erwehren sucht, ob er ebenso wie bei der An»iveienbeit artfremden Materiales Fermente bildet, um die nicht indaS Blut gehörigen Eiweißgebilde aufzulösen. Es sei ssleich vorweggenommen, daß sich mittels verschiedener Methoden jedesmal imBlute Schwangerer solche Fennente nachweisen ließen. Hier bildetsie der Organismus zu seinem Schutze gegen das auf natürlichemWege in seine Blulbahn gelangte blntfremde Eiweiß; ihre Bildungkann aber auch künstlich bei jedem beliebigen Individuum angeregtwerden, dem man das blutfrcmde Matfiol, also in unserem FalleZellen des Mutterkuchens, in die Blutbahn bringt. Damit ist auchexperimentell bewiesen, daß die Schutzfermente, die stch im BlutsSchwangerer finden, wirklich durch die abgerissenen gellenanlaßt sind.