Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 234.
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Albertine.
Dienstag den 3. Dezember
( Nachdrud verboten.)
Quer über das fleine, niedrige Fenster mit den vielen Fensterscheiben war eine verschlissene Halbgardine gespannt. Davor faß fie, über die Nähmaschine gebeugt, unter dem hereindringenden Wintertag, der ein dünnes, bläuliches Randlicht über den feinen Hinterkopf herabsandte und über den Haarknoten und den Nacken und über den gestreiften weißen Strich in dem Halsausschnitt.
Die Stahlfläche schimmerte talt in dem grauen, ärmlichen Licht, und der weiße Tarlatan, an dem sie nähte, wurde ganz bläulich. Die Schere lag daneben und zitterte, und die Spulen und der Fingerhut warfen Schlagschatten auf die Mahagoniplatte.
Das Randlicht glitt weiter vom Kopf hinab über den gebeugten Rücken und verlor sich im Schatten.
Ihr Gesicht verschwand im Halbdunkel, aber das Profil hob sich von der hellen Halbgardine ab. Die graue Kleider taille saß stramm über den Schultern und die waren gerade und breit. Am meisten leuchtete die Hand, die groß war und auf der blanken, falten Stahlfläche lag und den Stoff unter die Nadel führte. Das Licht reichte nicht weit hinein. Auf der blaugestrichenen, getäfelten Wand ihr gegenüber gelangte es gerade bis an den Deldruck von Kronprinzeß Viktoria, die in hellblau ausgeschnittenem Kleide, eine farmoisinrote Rose am Busen, da saß, und zu der einen von Kronprinz Gustavs gelben Epaulettes daneben.
In der Ecke am Ofen war es am dunkelsten. Dort stand Mutter Christiansen und fochte Effen. Das war die Küche. Ihr Rücken war eingefallen und schmal und hatte zwei helle Flicken auf dem dunkleren Stoff.
Daneben saß ein blaffer, zwölfjähriger Junge und las im „ Tag" und buſtete. Er huftete hohl und angestrengt und räusperte sich, spie etwas aus und trat darauf.
Albertine sah von ihrer Arbeit auf.
,, Du, Eduard!"
" Ja!"
"
1912
Das Winterlicht glitt bleich über das Gesicht, in dem die Haut ebenso weiß war wie der Nacken über dem gestreiften Strich, der am Halsausschnitt hervorguckte, und über dem breiten, hohen Busen mit der grauen Taille darüber, in der eine Menge Stecknadeln steckten.
Die Nase war gerade, die Augen waren groß und müde, die Lippen schmal.
-
" Ja, es ist gräßlich, daß es so dunkel ist man follte glauben, es sei Nacht. Ob es wohl wieder gutes Wetter wird?" Na ja, ihr konnte es ja eigentlich einerlei sein, ob es gutes Wetter würde oder nicht, sie mußte ja doch den lieben langen Tag an der Nähmaschine figen.
" Du, Mutter!"
" Ja."
-
Wie lange, glaubst Du, hab' ich hier auf diesem Fleck
gesessen?"
"
"
Das weiß ich wirklich nicht."
Drei Wochen und fünf Tage."
" Ja, ich weiß nicht, warum Du nicht ausgehst." " Ich soll ausgeben? Kann ich vielleicht nackt auf die Straße gehen? Magit Du es, daß ich mit einem gestrickten Tuch um den Kopf gehe wie ein Fabrifmädchen? Nein, lieber will ich das tun, worüber ich nun die lezte halbe Stunde nachgedacht habe. Aber ich sag' ja auch gar nicht, daß ich aus will, ich fag' bloß, daß ich jetzt affurat drei Wochen und fünf Tage in der Stube geseffen hab' weiter sag' ich ja gar nichts!" " Ich will Dir gern meinen feinen Schal leihen, wenn den haben willst." Albertine lachte.
Du
„ Das Umschlagetuch, womit Du fonfirmiert bist, ach nein, am hellen Tage im Maskeradekostüm!"
" Ja, aber raus mußt Du, sonst wirst Du mir noch ganz elend, wenn das so weiter geht." „ Ach was!"
,, Kannst Du denn nich' hingehen und Deine Sachen einlösen?"
Die Stimme vom Ofen her flang immer weinerlicher. ,, Hab' ich vielleicht die zehn Kronen?- Müssen wir nicht morgen die Miete bezahlen? Ne, das geht nich'. Ach, nein
-
-
Ist es da nicht zu dunkel zum Lesen? Du verdirbst Dir es ist ja auch gar nicht so notwendig. Die Sache ist ja die Augen."
" 1
Ach ne, ich glaub nich'."
-
" Daß es auch so gräßlich dunkel sein muß, noch dazu mitten am Tage."
" Ja, das kommt von dem Seenebel da draußen
Fjord."
,, Wieviel mag die Uhr eigentlich sein?"
" Ich denk' mir, es is' so um eins herum." ,, Dann mußt Du wohl gehen, Eduard
-
im
sonst kommst Du zu spät für den Doktor, und dann wird er böse, das weißt Du."
"
Ach was, das is' nich' so schlimm!" Er hustete und räusperte sich.
nur, daß ich heut akkurat drei Wochen und fünf Tage in der Stube gesessen hab', zum Weinen ist das doch nich'! Denn am 19. März haben wir die ganze Geschichte verpfändet- und am 20. hat sich Vater für das Geld das Billett gekauft und den 21. ist er abgereist." Eduard hustete.
-
Mutter Christiansen wandte sich um, auf ihrer einen Wange schimmerte eine Träne dahinten im Dunkeln."
„ Kannst Du nich'- Dline bitten, daß sie Dir was
leiht?"
-
-
,, Nein. Lieber sit' ich hier bis an den jüngsten Tag, als daß ich sie um ihren Regenmantel bitte. Ja lieber will ich wie eine Fabrifarbeiterin mit' m gestrickten Stopftuch gehenDie Alte wandte ein vergrämtes, verweintes Gesicht um aber zum Beinen if das doch nich' Mutter! Ich bin ja gar nich' so auf's Ausgehen erpicht, und gutes Wetter haben wir doch auch nich'!"
und sah ihn an.
Ja, es is' schrecklich dunkel," sagte sie.
Albertine hatte sich über die Maschine gebeugt und trat und zog, nahm hin und wieder die Schere und schnitt die Fäden ab und legte sie wieder auf die Tischplatte, so daß sie flirrte, wechselte die Spule, beugte sich wieder herab unter dem kalten Licht und nähte weiter.
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Die Sachen einlösen? Ja wenn sie die zehn Kronen hätte es follt' nicht lange dauern, bis sie beim Pfandleiher wär', das war gewiß.
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Den Regenmantel von Oline leihen! Nein- neinSie hatte eine halbe Stunde ununterbrochen genäht, der sie hatte es sich ja fest vorgenommen, nie etwas von Oline Fuß hielt mit dem Treten inne, mit der rechten Hand hielt zu leihen. Am liebsten wollt sie nicht einmal Olinens sie das große Rad an, richtete sich ein wenig auf und streckte Namen nennen hören, geschweige denn ihren Regenmantel sich. Mit der Linken schob fie die Halbgardine ein wenig leihen. Das konnte ihr nicht einfallen nicht einmal im Nein lieber wollt sie fie wußte nicht was zurüd und fah in die Norderstraße hinaus. Da stand ein Traum. Olime war ja außerdem so besorgt um den Regenhoher, grauer Bretterzaun mit einem Fabritschornstein daer hatte ja hinter, der zu dem schweren, fast schwarzen, falten Himmel mantel. Und das war ja auch so erflärlich gerade gegenüber aufragte. Auf der Straße lag schmutziger fünfzig Stronen bei Mantel- Holm gefoitet das war für fie Schnee und Eisschlamm. Kein Mensch war zu sehen. nun freifid nicht der Grund, aber sie wollte nichts von Oline Sie ließ die Gardine fallen. leihen e mollte nichts mi: Oline zu schaffen haben.
Ehe sie wieder zu nähen anfing, lehnte sie sich in den Korbstuhl zurück und legte den Kopf hintenüber.
und
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Mit der linken Hand hob sie die Halbgardine in die Höhe. Noa) ebenso dunkel und schwer. Ein schwarzer Rauch stieg