Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 237. Freitag öen 6. Dezember� 1912 LNachdruS verdolen.) )Zlbertine. Roman von Christian Krohg . Nein, sie wollte ja nicht an Oline denken! Es galt, nur flißig zu sein— und sie beugte sich herab und gab acht, daß die Säume ganz gerade und glatt wurden, und daß die Stiche lang waren.— Ja. es sollte fein werden, wenn sie einmal Geld vordiente, viel Geld mußte es sein, und wenn sie sich das schon jetzt vornahm, so würde es wohl gehen. Dann wollten sie nicht hier wohnen bleiben. Sie würden dann in die Stadt hineinziehen, in eine bessere Wohnung mit hübschen Möbeln und ordentlichen Gardinen, keine Halbgardinen, nein! Und die Alte sollte dann eine ordent- liche Küche haben und brauchte das Essen nicht mehr auf dem Ofen in der Stube zu kochen— und Eduard— der ärmste— ja, der sollte auf dem feinen Kirchhof begraben werden, und einen Marmorsiein sollte er haben mit seinem Namen in vergoldeter Schrift darauf, und sie wollte eine grüne Bank neben das Grab setzen lassen, damit die Alte da sitzen konnte, wenn sie auf den Friedhof hinausging,— und sie wollte ein ganzes Jahr um ihn traue-rn— mit langem, schwarzen Schleier— und einem feinen, schwarzen Kleid mit seidenen Spitzen darüber, denn schwarz stand ihr so gut, sie war wirk» lich hübsch in Schwarz . Wenn er bloß nich noch diesen Früh- ling starb— denn jetzt hatten sie ja kein Geld, um Trauer- kleider zu kaufen. Aber der Frühling sollte so schlimm für alle Brustkranken sein. Sie sah hinaus. Es wurde heller und heller.„Ja, ich glaub' wirklich, wir kriegen heut' noch Sonnenschein!" Aber das war ja wahr, sie wollte ja fleißig und tüchtig sein, so daß sie Geld verdienen konnte! Und sie beugte sich über die Maschine. Dann wollten sie in die Stadt ziehen, weit weg von hier — in ein Haus, wo sie wie andere Menschen angesehen wurden, wo ihr niemand Schlimmes weissagte,— wo niemand Oline kannte und die ewige Schande, wo niemand wußte, daß sie Rosalie geheißen und in der Mittelgasse ge- wohnt hatte— nein, sie wolle ja nicht mehr an Oline denken! Und die Maschine rasselte dahin— sie trat und zerrte, weiter und weiter rasselte sie mit einem kleinen, un- ausiiörlichen, prickelnden, fleißigen Geräusch. Knack— knack— knack— auf einmal ging das Treten so schwer, der Faden hatte sich zu einem großen Knoten verfilzt. Endlich gelang es ihr. das Gewirre wieder auseinander zu lösen, und nun ließ sie die Maschine vorsichtiger gleiten. Auf einmal war es ihr, als streiche ihr etwas mild und warm über die eine Wange, sie sah auf. Auf der Halb- gardine zeichnete sich ein breiter, blauer, ordentlich blauer Fleck. Ja, da war sie endlich— die Sonne! Sie war da! Der Fabrikschornstein, der ganz schwarz gewesen, war plötzlich an der einen Seite gelb. „Nein! Weiß Gott , wir kriegen ordentlichen Sonnen- schein!" Eduard hustete und sah auf.„Ja, nu is sie endlich durchgekommen!" sagte er. Die Maschine lief eine kleine Strecke von selber, aber dann stand sie plötzlich still, Albertine hatte sich in den Stuhl zurückgelehnt und ließ den Sonnenstrahl über ihr Geficht und die geschlossenen Augenlider laufen. Sonnenschein— und Frühling— und die Karl-Johann- Straße— die Karl-Johann-Straße in Sonnenschein und Frühling— sie wußte ganz genau, wie es jetzt da draußen aussah. Nein, nun mußte sie hinaus, mm mußte sie hinaus! Die Sachen auf der Leihbank waren ihr jetzt ganz einer- lei— mochten die da liegen, bis es wieder Winter wurde— die brauchte sie jetzt nicht mehr— aber— einen Frühlingsmantel. den mußte sie haben, und zwar einen, der hübsch war, daß Valeria vor Neid Platzte, wenn sie ihn sah, einen, mit dem sie eines Tages im Sonnenschein, wenn die Musik spielte, nach der Karl-Johann-Straße gehen konnte. Der, den Fräulein Möller im vorigen Jahre gehabt hatte, war hübsch— er war grünblau und aus der Brust. tasche guckte ein kleines, rotes, seidenes Taschentuch heraus, und vorn herunter waren Knöpfe. Ja. der war hübsch— aber er war schon im vorigen Jahr nicht mehr ganz modejcn gewesen. Diesen Frühling mußten sie ja alle goldbraun sein— nein, einen goldbrauenen wollte sie nicht haben, sie wollte einen haben, der ein wenig anders war, als wie alle Welt sie trug. Fräulein Smith hatte im vorigen Jahr einen, der gar nicht übel war. Ach nein, der paßt d-ich nicht für mich— hellgrau— wie würd' ich damit wohl aussehen.— Laß mal sehen— ach— ja— nein— das steht nicht zu meinem Ge- llicht.— Wie soll er denn sein? Na. ich muß wohl nähen, nvenn auch die Sonne scheint— sonst wird nichts aus dem Frühlingsmantel, ich krieg keinen grünen und auch keinen grauen! „Heut spielen sie im Stndentenhain," sagte Eduard. „Es steht hier in der Zeitung." „Spielen sie den Kadcttcnmarsch?" „Nein, was anderes," antwortete er mit schwacher, heiserer Stimme. Sie sah auf. Wie deutlich das kleine, durchsichtige Ge- ficht jetzt dahinten zum Vorschein kam, jetzt, wo die Sonne das ganze Zimmer erhellte und mit einem goldenen Schimmer anfüllte— golden, warm und strahlend. Das Geficht blieb aber gleich bleich und kalt— deutlich konnte sie das alles sehen— den ganzen Winter hindurch hatte sie es nicht so deutlich gesehen— selbst die blauen Adern in den Schläfen sah sie, und da, wo sie angestrengt draußen am Halse pochten. Ja, jetzt sah sie es— es war in diesem Winter schnell bergab gegangen mit Eduard.-- Den ganzen Tag hielt sich die Sonne am Himmel, und auch noch am nächsten Tag schien sie noch ebenso golden. Albertine saß da und nähte Stoßlitzen an und zog hinter« her die Heftfäden heraus. Ein Schatten war schnell über die Halbgardine hinge- huscht,— jetzt klopfte es hastig an die Tür. „Josia!" „Guten Tag! Zieh Dir schnell was über, Tine. und komm mit hinaus— es ist so herrliches Wetter! Hab' ich mir mein Kleid nich fein herausgeputzt? Und was sagst Du zu dieser Tournüre?" Die kleine, schneidige Person mit der spitzen Stutznase und den großen Nasenlöchern dreht sich rund herum, eine große Hinterpartie tanzte auf und nieder. „Komm nur und spute Dich!— Deine Sachen sind noch beim Färber?— Du kannst nicht?— Unsinn!— Ja, einige nennen das Institut„Färber"! Für wieviel hast Du es ver- setzt?— Für neun Kronen?— Ja, so viel Hab' ich nich. Aber die Musik kannst Du Dir darum doch anhören! Am Ende kriegen wir auch den König zu sehen er ist in der Stadt. — Und den himmlischen Prinz Karl— Du hast nichts anzuziehen?— Leih Dir doch was!— So sput' Dich doch — leih Dir was von Oline— ihren Regenmantel— und die Pelzmütze— denn bist Du fein.— Weißt Du, was sich die Leute erzählen?— Du wärst auf die Polizei bestellt, und nu lägst Du im Krankenhaus— und darum liefest Du Dich nich blicken.— So was von Dir zu sagen, die Du doch die Unschuld selber bist!" „Ich— ich war' auf die Polizei bestellt?" „Ja, Du— die Du doch ganz unschuldig bist." „Du hast'neu Strich! Du lügst?" „Ich soll lügen?— Weißt Du. was sie sich sonst noch erzählen?— Du lägst im Krankenhaus! Ich lüg' nie" „Ja, im Krankenhaus—" Jossa hatte den Satz nicht vollendet, erschreckt sah sie sich um. Albertines feiner Kopf war auf die Nähmaschine ge- funken, die starke Hand ballte sich um die Schere, und an dem Zucken' der breiten Schultern sah man, daß sie weinte. Plötzlich richtete sie sich auf und schlug auf die Mal, agonieplatte des Nähmaschinentisches. »Das hat Valeria ausgebracht— das will ich ihr heim-
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29 (6.12.1912) 237
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