Anterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 241�Donnerstag den 12. Dezember1912ORaABrua eecboten.)8]Hlbertine.Roman von Christian Krohg.„Ja— dazu gehört was. bis sie mich so weit haben—da kannst Du Gift auf nehmen, Jossa!— Herr Gott, es istwirklich gräßlich, wie sie mich anglotzen— die feinen Damensehen sie doch sicher nicht so an-- davor werden sie sichwohl hüten! Sehen wir denn aus wie ein paar Dirnen?Jossa, komm, wir woll'n nach Magwrs rüber gehen und unsmal spiegeln!"„Nein, wart' mal, wart' mal. Herr Gott, da kommt jader König— da kommt er!— Gott, ich glaub' kriegHerzklopfen— und hinter ihm kommt der himmlische PrinzKarl— sieh doch bloß, wie die Damen rennen und grüßen.Sieh Helgesen- an und Fräulein Möller— sieh, wie reizendsie knixt."Fräulein Möller und Helgesen und Smith machten tiefeVerbeugungen votr dem König, der dann an Albertine undJossa vorbeikam, die sich ganz allein auf dieser Strecke derStraße befanden.Der König nahm höflich den Hut ab und der Prinzgrüßte ebenfalls.Albertine und Jossa bemühten sich, in ihrem Gruß dieFräuleins Möller so viel wie möglich nachzuahmen.Die Uhr war gegen drei. Die meisten feinen Damen undHerren waren bereits nach Hause gegangen— schließlich kamdie Musik die leere Karl-Johann-Straße hinab, in einerkleinen, stummen Gruppe, ohne Vortrab und Gefolge. Vordem Reichstagsgebäude kamen ihnen zwei dicke, elegant ge-kleidete Mädchen entgegen mit hohen, spitzen Absätzen mittenunter den Schuhen, die sie auf eine herausfordernde Weiseauswärts setzten, mit wallenden Federn auf den großenHüten, dick aufgelegter Schminke und einer Atmospäre vonMoschus um sich her.Sie redeten eifrig miteinander und lächelten: die einehatte einen von ihren Vorderzähnen verloren. Sie bogen ineine kleine Nebengasse ein.Albertine und Jossa blieben eine Weile stehen und gucktenin die Ladenfenster, dann gingen sie schnell nach Hause. Oedeund wie ausgestorben lag die Karl-Johann-Straße da.Schräg über den Markt, durch die Große Straße, dieNeue Straße und die Steuerstraße waren sie wieder in dieBrostraße gekommen.Der Himmel hatte sich überzogen, und es wehte einscharfer Wind.Nachdem sie Oline den Mantel wieder abgeliefert hatte,rannte Albertine, so schnell sie konnte, nach Hause.Die Erbsen standen auf dem Ofen und waren noch warm,Mutter Christiansen saß auf Eduards Stuhl und schlief, amFenster wartete die Nähmaschine.Sie füllte sich selbst die Erbsen auf, setzte sich an den Tischund aß.„Jetzt wollen wir uns eine gute Tasse Kaffee machen,Mutter?"Mutter Christiansen erwachte, füllte Wasser in den Tee-kessel und setzte sich wieder auf den Stuhl, um zu schlummern.Albertine schmierte die Maschine gründlich und holte dieArbeit, die sie fertig machen wollte, heraus, dann öffnete siedie Schachtel mit den Nähutensilien und kramte ein wenigdarin herum.Sie wollte noch nicht mit dem Nähen anfangen.Nein, erst wollte sie ihren Kaffee haben!Hinten auf dem Ofen fing das Wasser an, lustig zusummen.Mutter Christiansen erwachte.Als sie Kaffee getrunken, und Albertine ein wenig vondem erzählt hatte, was sie gehört und gesehen hatte, setzte siesich, und während Mutter Christiansen abwusch, fing sie mitaller Kraft an zu nähen, und die Maschine sauste dahin.An mehreren von den folgenden Tagen kam Jossa in derMittagsstunde und holte sie ab, um mit ihr in der Karl-Johann-Straße zu gehen.Sie ging immer mit und spazierte ein paarmal auf undnieder, sie begegneten Helgesen und Smith und denselbenLeuten wie gewöhnlich.Albertine fing an, sie zu kennen: die Herren sahen siealle an— auf eine so sonderbare WeistDas kam gewiß daher, weil sie mit Jossa ging.Wenn die Musik vorbei war, ging sie nach Hause undnähte den ganzen Nachmittag.Des Sonntags ging sie in die Kirche.Ein paarmal hatte Jossa sie auch des Abends mit hinaus-bekommen in das Menjchengewimmel in der Dunkelheitunter Gaslaternen, vor erleuchteten La tenfenstern.Mehrmals waren sie Helgesen und Smith begegnet, dUdann gegrüßt hatten, ohne jedoch einen Gegengruß zu er-langen.Sie ging früh nach Hause und nähte eine Weile, ehesie sich schlafen legte.Es war in der Dämmerstunde.„Heute, glaube ich, gehe ich, ehe Jcssa kommt!"Sie ließ den Stoff fallen, an dem sie nähte— hob dieHalbgardine in die Höhe— ja— ganz herrliches Wetter—richtiges Frühlingswetter.Sie nahm den Stoff wieder auf und nähte den Saumfertig— hob dann den Hebel der Maschine, nahm die Nadelheraus, schnitt den Faden ab, der darcu hing und legte dieArbeit zusammen.Die Spulen, die Schere und den Fingerhut legte sie indie Schublade des Maschinentisches und wischte einige Fäden,die aus der Platte lagen, herunter.Aber wenn Jossa nun kam?Schnell zog sie alle Haarnadeln aus dem Haarknoten imNacken heraus, so daß es herabfiel.Sie nahm das lange, dicke, braune Haar, drehte es umdie Hand und am Hinterkopf in die Höhe und legte esschließlich auf den Scheitel und befestigte es dort mit Haar-nadeln.Und dann ging sie zu Oline.„Kann ich Deinen Mantel leiben?"„Ja, bitte.— Du gehst ja jetzl. so oft aus?"Sie lächelte in der Türöffnung, als sie hinter ihr schloß.Es war noch hell, und in der Karl-Johann-Straßeherrschte fast Gedränge.Sie ging bis an die Universitätsuhr, wo sie umkehrte,nachdem sie nachgesehen hatte, wie spät es war, und ging dieStraße wieder hinab und begegnete deiUelben Gesichtern unddenselben Hüten und Mänteln.Beim Posthaus kehrte sie wieder um und ging zurück undbegegnete beständig denselben Menschen.Es wurde ein wenig dunkler.Sie kehrte wieder bei der Universitätsuhr um und gingbis an das Postgebäude zurück— mehrmals auf und nieder.Es wurde dunkler, fast dämnrigHeute sah niemand sie so an wie sonst— sie hielten siefür eine feine Dame, aber jetzt durfte sie wohl nicht längerfo auf und nieder gehen, denn das ging wohl nicht an, soallein und im Dunkeln.Dies sollte das letzte Mal sein, daß sie bei der Uhr um-kehrte und wieder zurückging. Jetzt wollte sie nach Hause.Wie amüsant es doch war, so ullein mit ihrem Paket inder Hand zu gehen und für eine feine Dame gehalten zuwerden, die sich beeilen muß, um nach Hause zu kommen,zum Abendessen, die aber erst noch einige Besorgungen zumachen hat.Jetzt ging sie auf einmal schneller, da glaubten die Leutegewiß, daß sie viel zu tun habe. Ab u die Photographiendort im Schaufenster mußte � sie doch noch ansehen.Das ganze Fenster stand voll von Photographien vonMusikern und Schauspielern und Schauspielerinnen, großeBilder, und die Schauspielerinnen hatten Atlaskleider an—ausgeschnitten— da standen auch viele Noten mit hübschenBildern vorne auf dem Umschlag.Ob sie hineingehen und nach ein paar Noten fragensollte? Ob sie sie wohl für eine Dame halten würden, dieKlavier spielte? � �Das könnte ganz amüsant sein— aber nein, sie hattedoch nicht den Mut dazu.,Es wurde dunkler, und eine Gaslaterne obett bei Berg-