üDeryeyangen, nnfe währet sich lder erstere mit einer grüßenden HanÄbcwegung noch seinem Hause zurückwandte, trabte Hans Kirch liminterer als seit lange die Straße hinauf nach seinem großen Speicher. ES war am Tage danach, als der alte Postbote dieselbe Straße hinabschritt. Er ging rasch und hielt einen dicken Brief in der Hand, den er schon im Vorweg« aus seiner Ledertasche hervorgeholt zu hoben schien; aber ebenso rasch schritt, lebhast auf ihn einredend, ein etwa sechzehnjähriges blondes Mädchen an seiner Seite.„Von einem guten Bekannten, sagst Du? Nein, narre mich nicht länger, alter Marten! Sag's doch, von wem ist er denn?" „Ei, Du junger Dummbart," rief der Alte, indem er mit dem Briefe ihr vor den Augen gaukelte,„kann ich das wissen? Ich weiß nur, an wen ich ihn zu bringen habe." „An wen, an wen ibenn, Marten?" Er stand einen Augenblick und hielt die Schristseite des Briefes ihr entgegen. Die geöffneten Mädchenlippew versandten'inen- Laut, der nicht zu einem Wort gedieh. „Bon Heinz!" kam es dann schüchtern hintennach, und wie eine helle Lohe brannte die Freuide aus dem jungen Antlitz. Der We sah sie freundlich an.„Bon Heinz?" wiederholte er schelmi sch. �Ei, Wiebche n, mit den Augen ist das nicht darauf zu lesen!" Sie sagte nichts; aber als er jetzt in der Richtung nach dem Kirchschen Hause zuschritt, lies sie noch immer nebenher. „Nun?" rief er,„Du denkst wohl, daß ich auch für Dich noch «inen in der Tasche hätte?" Da blieb sie plötzlich stehen, unid während sie traurig mit dem Köpfchen schüttelt«, ging der Bote mit dem dicken Briese fort. Als er die Kirchsche Wohnung betrat, kam eben die Haus- mutier mit einem dampfenden Schüsselchen aus der Küche; sie wollte damit in das Oberhaus, wo im Giebolstübchen die kleine Lina an den Masern lag. Aber Marten rief sie an:„Frau Kirch! Frau Kirch! Was geben Sie für diesen Brief?" Und schon hatte sie die an ihren Mann gerichtete Adresse ge- lesen und die Schrift erkannt.„Heinz!" rief sie,„o von Heinz!" und wie ein Jubel brach es aus dieser stillen Brust. Da kam von oben her die Kinderstimme:„Mutter! Mutter!" „Gleich, gleich, meiu Kind!" Und mit einem dankbaren Nicken gegen den Boten flog sie die Treppen hinauf.„O Lina, Lina! Von Hinz, ein Brief von unserm Hinz!" Im Wohnzimmer unten saß Hans Kirch an seinem Pulte, Zwei aufgeschlagene Handelsbücher vor sich; er war mit seinem Ver- lustkonto beschäftigt, das sich diesmal ungewöhnlich groß erwiesen hatte. Verdrießlich hörte er das laute Reden draußen, das ihn in seiner Rechnung störte; als der Postbote hereintrat, fuhr er ihn an: „Was treibt er denn für Lärmen draußen mit der Frau?" Statt einer Antwort überreichte Marten ihm den Brief. Fast grollend betrachtete er die Aufschrift mit seinen scharfen Augen, die noch immer der Brille nicht bedurften.„Bon Heinz," brummte er, nachdem er alle Stempel aufmerksam besichtigt hatte, „Zeit wär's denn auch einmal!" Vergebens wartete der alte Marten, auch aus des Baters Augen «inen Freudenblitz zu sehen; nur ein Zittern der Hand— wie er zu feinoin Trost bemerkte— konnte dieser nicht bewältigen, als er jetzt nach einer Schere langte, um den Brief zu öffnen. Und schon hatte er sie angesetzt, als Marten seinen Arm berührte:„Hrr Kirch, ich darf wohl noch um dreißig Schilling bitten!" —„Wofür?"— er warf die Schere hin—„ich bin der Post Nichts schuldig!" „Herr, Sie sehen ja wohl, lder Brief ist nicht frankiert." Er hatte cS nicht gesehen; Hans Adam biß die Zähne aufein- ander: Dreißig Schillinge; warum denn auch nicht die noch zum Berluft geschrieben! Aber— die Bagatelle, die war's ja nicht; nein— was dahinter stand! Was hatte doch der Pastor neulich hingeredet? Er würhe nicht mit leeren Händen komm! Nicht mit leeren Händen!— Hans Adam lachte grimmig in sich hinein.— Nicht mal das Porto hatte er gehabt! Und der. der sollte im Ma- gistrat den Sitz erobern, der für ihn, den Vater, sich zu hoch er- wiesen hatte! Hans Kirch saß stumm und starr an seinem Pulte; nur im Gehirne tobten ihm die Gedanken. Sein Schiff, sein Speicher, alles, was er in so vielen Jahren schwer erworben hatte, stieg vor ihm aus und addierte wie von selber die stattlichen Summen seiner Arbeit. Und das, das alles sollte er diesem... Er dachte den Satz nicht mehr zu Ende; sein Kops brannte, es brauste ihm vor den Ohren. „Lump!" schrie er plötzlich,„so kommst Du nicht in Deines Vaters Haus!" Der Brief war dem erschrocknen Boten vor die Füße geschleu- dert.„Nimm," schrie er.„ich kauf ihn nicht; der ist für mich zu teuer!" Und Hans Kirch griff zur Feder und blätterte in seinen Kontobüchern. Der gutmütige Alte hatte den Brief ausgehoben und versuchte bescheiden noch einige Ueberredung; aber der Hausherr trieb ihn fort, und er war nur froh, die Straße zu erreichen, ohne daß er der Mutter zum zweitenmal begegnet wäre. Als er seinen Weg nach dem Südende der Stadt fortsetzte, kam Wieb eben von dort zurück; sie hatte in einer Brennevei, die hier dws letzte Haus bildete, eine Bestellung ausgerichtet. Ihre Mutter war nach dem plötzlichen Tode„ihres Mannes zur See" in aller Form Rechtens die Frau„ihres Mannes aus dem Lande" geworden und hatte mit diesem eine Matrosensckenke am Hafenplatz errichtet. Viel Gutes wurde von der neuen Wirtschaft nicht geredet; aber wenn an Hrbstabenden die über der Haustür brennende rote La» tevne ihren Schein zu den Schiffen hinabwarf, so saß es da drinnen in der Schenkstube bald Kopf an Kopf, und der Brenner draußen am Stadtende hatte dort gute Kundschaft. Als Wieb sich dem alten Postboten näherte, bemerkte sie so- gleich, daß er jetzt recht mürrisch vor sich hinsah; und dann— er hatte ja den Blies von Hinz noch immer in der Hand.„Marten«!" rief sie— sie hätte es nicht lassen können'—„der Brief, hast Du ihn noch? War denn sein Vater nicht zu Hause?" Marten machte ein grimmiges Gesicht.„Nein, Kind, sein Vater war wohl nickst zu Hause; der alte Hans Kirch war da; aber für den war der Brief zu teuer." Die blauen Mädchenaugen sahen ihn erschrocken an.»Zu. teuer, Marten?" —„Ja, ja; was meinst Dm, unter dreißig Schillingen war er nicht zu haben." Nach diesen Worten steckte Marten den Brief in seine Leder- tasche und trat mit einem andern, den er gleichzeitig hervorgezogen hatte, in das nächste Haus. Wieb bliek auf der Gasse stehen. Einen Augenblick noch sah sie aus die Tür, die sich hinter dem alten Mann geschlossen hatte; dann, als käme ihr plötzlich ein Gedanke, griff sie in ihre Tasche und klimperte darin als wie mit kleiner Silbermiünz«. Ja, Wieb hatte wirklich Geld in ihrer Tasche; sie zählte es sogar, und es war eine gange Handvoll, die sie schon am Vormittage hinter dem Schenktisch eingenommen hatte. Zwar, es gehörte nicht ihr, das wußte sie recht wohl; aber was kümmerte sie das, und mochte sie doch ihre Mutter immer dafür schlagen!„Marten." sagte sie hastig, als dieser jetzt wieder aus dem Hause trat, und sireckt« eine Handvoll kleiner Münzen ihm ent- gegen; üda ist das Geld, Marten; gib mir den Briest" Marten sah sie voll Verwunderung an. „Gib ihn'doch!" drängte sie.„Hier find ja Deine dreißig Schillinge!" Und als der Alte den Kopf schüttelte, faßte sie mit der freien Hand an seine Tasche:„O bitte, bitte, lieber Marten, ich will ihn ja nur einmal zusammen mit serner Mutter lesen." „Kind," sagt« er, indem er ihre Hnd ergriff und ihr freund- lich in die angstvollen Augen blickte,„wenn's nach mir ginge, so wollten wir den Handel machen; aber selbst der Postmeister darf Dir keinen Brief verkaufen." Er wandte sich von ihr ab und schritt auf seinem Botenwege weiter. Aber sie lies ihm nach, hing sich an seinen Arm, ihr einfältiger Mund hatte die hol-desien Bitt- und Sckuneichelworte für den alten Marten und ihr Kaps die allerdümmsten Einsäll«; nur leihen sollte er ihr zum mindesten den Brief; er sollte ihn ja noch heute eckend wieder haben. Der alte Marten geriet in große Bedrängnis mit seinem weichen Hrzen; aber ihm blieb zuletzt nichts übrig, er mußte das Kind gewaltsam von sich stoßen. Da blieb sie zurück; mit der Hand fuhr sie an die Stirn unter ihr goldblondes Haar, als ob sie sich besinnen müsse; dann lieh sie das Geld in ihre Tasche fallen und ging langsam nach dem Hafen - platze zu. Wer den Weg entgegen kam, sah ihr verwundert nach; denn sie hakte die Hände auf die Brust gepreßt und schluchzte überlaut. (Fortsetzung folgt. 1 Sturmfluten an cler I�orclleeKufte. Von Hugo W i s l i c e n y. Wieder einmal bläst der Westwind mit vollen Backen über die Nordsee dahin, bald aus Südwest, öfter noch aus Nordwest. Wie ein schwerer Druck von ungeheuerem Gewicht preßt sich die in einen einzigen Wirbel zusammengeballte Luft auf die weite Fläche des Atlantik, der sich unter der Last in millionenfachen Krümmungen windet, seufzt und stöhnt. Gen Osten wälzen sich die ungeheueren Wogen, bis sie in der Nordsee ein Sammelbecken finden und hier gegen die Ufer branden. So ist denn auch der„blanke Hans" wild bewegt, aber in diesem konvulsivischen Zucken zeigt er erst sein» eigentliche Schöne und Erhabenheit; aber auch seine Gefährlichkeit. In diesen stürmischen Tagen wendet sich der Blick zurück aus die furchtbaren Ereignisse, die in geschichtlicher Zeit an der Nordsee - küste sich abgespielt haben, jene Ereiginsse. die als Sturmfluten unauslöschlich in der Erinnerung der Küstenbewohner fortleben. Reich ist die Literatur über diesen Gegenstand; alte Chroniken be- richten darüber, und in neuerer Zeit sind mancherlei Bücher ge- schrieben worden, die von den Sturmfluten erzählen, die Dichter verherrlichen kühne Taten aus jenen schicksalsschweren Tagen, in denen Tausende von genügsamen Menschen samt ihrem Eigentum zugrunde gingen, ja ganze Städte und Dörfer von der gierigen See verschlungen wurden. Dichtung und Sage verewigten, was für alle Zeiten entschwunden ist.„Was unsterblich im Gesang soll leben, muß im Leben untergehen." Neuerdings hat der Professor an der Universität in Kiel , Dr. Hippolyt Haas, ein Buch erscheinen lassen („Was uns die Steine erzählen"), das ein« zusammenfassende Dar*
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29 (18.12.1912) 245
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