Mnterhaltuttgsblalt des HorwärtsNr. 249.Dienstag den 24. Dezember.1912i(Nachdruck verbolen.)iq)Zlbertme.Roman von Christian Krohg.Fetzt kam wieder jemand: � ach. wenn er es doch wäre!Sie konnte nicht dahinsehen. sie wußte genau, wie esaussehen würde, wenn er es wäre, da hinter den Bäumen.— Natürlich war e r es. er m u ß t e es ja sein, er. der so klugwar. er konnte ihr doch nicht ein solches Leid tun. daß er esnicht war,— und er mußte es sein! Nein, das würde zuschön sein! Sie sah dahin.Großer Gott, es war der Polizeiinspcktor.Ob er gesehen hatte, wie sie Helgesen geküßt hatte, viel-leicht durfte sie hier nicht sitzen!Wenn er sie jetzt gleich mit auf die Polizei nahm?Er stand vor ihr. Sie war so bange, sie war ganzruhig.„Guten Abend. Albertine: Du bist ja noch sehr spätUnterwegs. Auf wen wartest Du denn da?— Helgesen binich oben in der Straße begegnet."Dann hatte er also gesehen, daß sie ihn hier draußen ge-küßt hatte, und nun sollte sie gewiß auf die Polizei.— Ach-ja. ihr war jetzt doch alles ganz schnuppe.— Er dachte natürlich, daß sie von Helgesen ausgehalten würde.„Was für ein Helgesen?" fragte sie und sah auf. schlugaber gleich die Augen nieder.„Quatsch!" sagte er uud lachte.„Weißt Du nicht, daß es nicht taugt, so spät draußen zusein? Die Uhr ist gleich zwölf. Es wird wohl am bestensein, wenn ich mal ein bißchen mir Dir rede."Mit mir reden?„Geh jetzt nach Hause und leg' Dich schlafen, und kommdann morgen abend um 8 Uhr zu mir. Zollbudenstraße Nr. 5,drittes Stockwerk. Wie geht es Oline?"Sie erhob sich schnell und ging die Allee hinab.—Na ja. nun konnte ihr ja alles schnuppe sein.Zollbudenstraße fünf, drittes Stockwerk.—Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, und am näch-sken Tage saß sie an der Nähmaschine, ohne zu nähen, etwasGewaltiges, Schreckliches. Finsteres vor sich, was ihr Graueneinflößte— heute abend.Zollbudenstraße fünf— drittes Stockwerk.— Sie konntesich noch freuen, daß sie nicht gleich nach der Polizeistation zukommen brauchte.— Vielleicht besann er sich nochAls der Schutzmann vorüber ging, wurde sie bange, dennsie konnte ihn nicht gleich erkennen vor allen den grauenRegentropfen, die an der Fensterscheibe waren, und die unaufhörlich wiederkamen.Die Alte sah sie den ganzen Tag von Zeit zu Zeit anund fing an, ihr etwas Amüsantes von Olsens zu erzählenund tat so. als sei sie vergnügt, aber sie begriff recht gut, daßdas nichts als lauter Angst war.— Sollte sie ihr alles sagenund sie bitten, mit ihr zu gehen?Sie wollte, es wäre erst so weit, und doch war sie bange,als es Mittagszeit war, denn nun wdr es ihr auf einmal soviel näher gerückt.Die Alte sah. daß sie nichts aß. obwohl es Erbsen gab.das beste, was sie sich denken konnte.„Und heute morgen hast Du ja auch nichts gesessen.Was fehlt Dir nur einmal, Kind?"Nach einer Weile sagte die Alte:„Nächsten Donnerstagkommt Vater!"Sie erwiderte nichts.„Ich hoffe, daß Eduard bis dahin noch am Leben ist."Sie erwiderte nichts.Um fünf Uhr zog sie sich an und ging. Sie konnte nichtmehr still sitzen.>„Ich will nnch mal nach Eduard umsehen," sagje sie,Z o l l b ri d e n st r a ß e fünf.Endlich hatte sie gesdjellt. um der Sache ein Ende zumachen, sie war so müde und elend und verweint und dieFußsohlen taten ihr so weh von dem Aufundabgehen in derKarl-Johann-Straße.Er machte selbst auf, am Riegel hing seine Uniform«mütze. Sie ging an ihm vorüber, in die Stube hinein.Ein starker Duft von Eau de Lubin erfüllte das Zimmef-In der Mitte stand ein Tisch mit einer feinen, dicken Tisch«decke und mit Wein und Kuchen. Nüsse, Mandeln undRosinen. Er erwartete offenbar Gesellschaft.„Leg' ab, Albertine!"Links war eine Tiir mit grünen Portieren davor, eillroter Schein drang daraus zu ihnen herein.„Mir deucht. Du siehst elend aus."Sie setzte sich auf den Rand eines Lehnstuhls.Er schenkte aus einer Karaffe ein: auf einer kleinen,silbernen Platte, die an einer Kette um den Hals der Karaffohing, stand Sherry. Sie betrachtete von neuem die Tisch«decke, ja, die war dick und wollig und fein mit roten Blumenund gelbbrauner Kante. Ob sie sie wohl einmal befühlendurste? Sie war noch nie in einem so feinen Zimmer ge«Wesen, sie hatte ein Gefühl von etwas Bösem, das langsamund sicher heranwuchs wie eine lauernde Furcht.Er legte Mandeln und Rosinen auf einen Teller und fingselbst an, Nüsse zu knacken, und er plauderte während er dieNüsse kaute, aber sie hörte nicht viel, denn sie wartete aufdas, was kommen würde.„Ein häßliches Wetter!" sagte er.„Beinah, als wärenwir schon im Herbst."„Ja."„Du. Albertine," sagte er,„was ich Dir eigentlich sagenwollte. Du darfst nicht mit Jossa gehen, hörst Du. Jossa stehtunter Kontrolle, sie muß sich auf Vorladung einfinden."Wollte er weiter nichts von Ihr?„Ja." sagte sie hastig,„nicht wahr.— ich darf nicht mikJossa gehen. Jossa ist nicht anständig, sie ist von der Polizei!vorgeladen, ober ich bin die letzten beiden Monate gar nichtmit Jossa zusammengewesen, und mit Valeria Eriksen geh'ich auch nich mehr, denn die is gewiß noch ärger als Jossa, diais ja ganz öffentlich!"„Ja, Valeria, die muß sich alle acht Tage präsentieret,Sie is im Krankenhaus gewesen."„Ne, was Sie sagen, ja, das könnt' ich mir ja denken,daß es so mit ihr kommen mußte! Dafür holt ich mich vielzu gut. als daß ich mich mit solchen Mädchen abgeb'. Sie hatt'mal von mir ausgebracht, daß ich jm Krankenhaus täg'.Finden Sie Valeria eigentlich hübsch?"„Ach— nein—."„Und dabei hat sie solchen gräßlichen Geschmack und ziehtsich so abscheulich an— so—" Sie schwatzte eifrig.Winther schenkte ein Glas aus der Karaffe ein und legteihr Mandeln und Rosinen hin.Es tat gut, Wein zu trinken, und sie wurde ein wenigmutiger, aber entsetzlich schläfrig, und sie trank noch einGlas, um so recht wach zu werden.„Setz Dich doch bequem in den Stuhl, Albertine," sagteer. Er hatte eine Weile da gesessen und Nüsse geknackt. Jetztsah er von seinem Teller auf.---— Sie war eingeschlafen. Der Kopf lag aufder Seite, die Wange hob sich bleich von dem dunkelgrünenSamt ab von dem warmen Oberlicht der Hängelampe. Einegroße Muskel, die sich streckte, hob sich kräftig von derRundung des Halses ab, und breit und jugendlich hob sichdie Brust regelmäßig unter der enganschließenden, schnür-besetzten Trikottaille�— Sie war in den weichen, dunkel-grünen Samt hintenüber gesunken.Er blieb sitzen und sah sie an.Gerade und schmal wie mit einem Lineal gezogen gingder Scheitel leuchtend über die feine Kopfform hin, durch dasdunkle Haar hindurch.„Sie hat ja herrliches Haar!"Das abgeschnittene»Vorderhaar hatte sich ein wenig geteilt, ein Dreieck der Stirn schimmerte hervor.Er stand vorsichtig auf und teilte es noch ein wenig mehr.Unter den Augenbrauen fielen tiefe Schatten, und daheraus wölbten sich die geschlossenen Lider fest über dasAuge und mit einem müden, leidenden, bläulichen Emaille-schimmer darüber.„--- lange Wimpern."