Er setzte sich wieder. Da wo die bleiche, ovale Linie der Wange verschwindend über den Hals hinabglitt, verlor sich das warme gelbe Licht ohne irgendwelche Grenze in den Schatten unter dem Ohr und kehrte dann zum letzten Mal an der gestreckten Muskel des Halses wieder zurück. Tann siegte der Schatten und mischte sich in unmerklichen Uebergängen mit dem bodenlosen, dunklen Abgrund in dem Samt. Er wünschte, er wäre Maler oder er hätte einen Maler hier. Wie schön sie war eine sörmliche Schönheit. Helgesen war ein großes Rindvieh, wenn das wahr war, was er ihm erzählt hatte, daß er sie nicht angerührt hatte, ein großes Rindvieh! Er beugte sich vor und betrachtete sie ganz genau. Sollte die Nase nicht ein wenig zu spitz sein? Nein Helgesen war ein großes Rindvieh! Schöner als Oline!" Er erhob sich vorsichtig und ging in das Zimmer hinter der Portiere, aus dem der rötliche Schimmer herausdrang und pusselte vorsichtig mit etwas drinnen. Er war wieder hereingekommen und setzte sich wieder hin und betrachtete sie. Ein großes Rindvieh!" murmelte er. Er hatte lange so gesessen, schließlich nahm er eine Nuß und knackte sie auf. Sie schlug die Augen auf und sah sich verwundert um, dann richtete sie sich schnell und verlegen im Stuhl auf. Gott , es ist gewiß schon spät, nu muß ich schnell gehen. Entschuldigen Sie, ich war so schrecklich müde, ich Hab über Nacht nich geschlafen." Bleib nur noch ein wenig sitzen und trink erst noch ein Glas Wein, Du siehst so elend aus." Ihr wurde ganz wirr im Kopf von dem Wein, und alles erschien"rhr viel leichter. Winther schenkte ihr noch ein Glas Sherry ein und fing wieder an, Nüsse zu knacken. Sie trank. Auf einmal wurde ihr bange, sie konnte gewiß dazu kommen, etwas zu tun, was ganz verkehrt war. Sie stand auf und bat, ob sie nicht nach Hause gehen dürfe. Sie bat, wie man einen Lehrer bittet, es war etwas an ihm, als sei er ein sehr strenger Lehrer. Darf ich jetzt nicht gehen?" Aber es war, als bitte sie um etwas Verkehrtes, und sie schäme sich fast, es zu tun, und sie wußte, während sie bat, daß sie keine Erlaubnis be- kommen würde. Sie sah seinen kurzgeschorenen dunklen Kopf über den Teller gebeugt, die kurzen, weißen Hände, die den Kern vor- fichtig aus der Schale pellten. Nein," sagte er,setz Dich nun wieder hin. Es ist besser, wenn Du jetzt nicht gehst, denn dann kommst Du auf die Station." Er sah nach seiner klhr.Nein, es geht nicht, denn dann bringen sie Dich möglicherweise auf die Station. Setz Dich nur hin." Er nahm die Karaffe und füllte ihr Glas. Sie wollte nicht länger bleiben, sie würde schon glücklich nach Hause kommen, aber es war wohl am besten, wenn sie sich erst wieder setzte, da er es ja sagte. Sie setzte sich wieder und trank ein wenig Sherry. Er legte ihr ein paar Nußkerne hin. die, Albertine, sie sind gut, sehr gut sehr gute Nüsse." Trink Sherry!" Nein, jetzt wollte sie gehen, sie wollte aufstehen und fragen, ob sie jetzt nicht gehen dürfe. Darf ich jetzt nicht gehen?" Sie hatte sich erhoben. Setz Dich, Albertine," sagte er, ohne aufzusehen. Nein, nein, jetzt wollte sie gehen, das stand fest. Aber sie konnte ja auch ebenso gut noch ein wenig warten, da er es sagte, und sie setzte sich wLilvr. Er knackte Nüsse, und sie setzte sich und starrte die feine grüne, wollige Tischdecke an, es war ihr, als kenne sie sie schon sehr gut! Was die wohl gekostet hatte? Jetzt wollte sie gehen. Trink trink Sherry Prost, Albertine Trinke, sag ich! Du siehst elend aus. Es ist wohl am besten, wenn Du nach nebenan gehst urd Dich dort ein wenig auf dem Bett ausruhst. Und er zeigte mit einer Kopfbewegung auf die Portiere. Dahinter war es dunkel mit einem rötlichen Schimmer. Sie erhob sich schnell. Gott , wie müde sie war und wie wirr im Kopf. Sie wunderte sich, daß sie sich selber, während sie auf der Schwelle stand, sagen hörte: Aber ich will mich nicht ausziehen!" Ja," erwiderte er, ohne aufzusehen,es ist am besten, wenn Du Dir die Kleider ausziehst, ja, das ist das beste." Die Wände waren dunkel und eine Ampel verbreitete eine rötliche Dämerung darüber. Das Zimmer war schief, das fand sie sonderbar. Das Bett stand an der schrägen Wand hart an der Tür. Sie hatte ganz genau gewußt, daß es da stand und aus Mahagonie war. Sie hörte, daß er sich da drinnen erhob. Sie ließ erst die eine Portiere fallen und dann die andere. Es entstand ein langer, leuchtender Streif in der Mitte. Auf dem Fußboden lag ein Teppich. Sie entkleidete sich, es war, als müsse es so sein. Sie legte ihre Strümpfe unter die anderen Sachen, denn es fiel ihr ein, daß Löcher drin waren. Sie war schrecklich müde. Sie stieg in das Bett und legte sich tief hinein» und schnellte wieder in die Höhe. Ach so, das war das, was sie eine Sprungfedermatratze nannten. So hatte sie noch nie ge- ruht, es war herrlich, da zu liegen, und der Kopf sank nach und nach in das weiche Kissen. Anfangs war es so, als wage der Kopf es gar nicht so recht. Gott , wie grob und wie grau doch ihr Hemd war gegen all das feine Weiße! Auf einmal war der hellgelbe Streifen zwischen den Por- tieren weg, und es kam jemand herein. Es kam einer und streichelte ihr den Kopf und küßte sie auf die Stirn. Eau de Lubin!__(Fortsetzung folgt.) 81 f)an9 und Fteinz Kirch. Von Theodor Storni. Hans Kirch erwiderte nichts; der andere aber war auf- gestanden uich sah aus die Gasse, wo in Stößen der Regen vom Herbstwinde vorbcigetrieben wurde.Eins aber," begann«r wieder, indem er sich finster zu dem Alten wandte,mögt Ihr mir noch sagen! Warum damals, Ida ich noch jung war, habt Ihr das mit dem Brief mir angetan? Warum? Denn ich hätte Euch sonst mein altes Gesicht wohl wieder heimgebracht." Hans Kirch fuhr zusammen. An diesen Vorgang hatte seit dem Tode seines Weibes keine Hand gerührt, er selbst hatte ihn tief in sich begraben. Er fuhr mit den- Fingern in die Westen- tasche und biß ein Enidchen von der schwarzen Tcchaksroll«, die er daraus hervorgeholt hatte.Einen Brief?" sagte er dann;mein Sohn Heinz war nicht für das Briefschreiben." Mag fein, Vater; aber einmal einmal hatte er doch ge- schrieben: in Rio hatte er den Brief zur Post gegeben, und später, nach langer Zeit der Teufel hatte wohl sein Spiel dabei in San Jago, in dem Fiebernest, als die Briefschaften für die Mann- schaft ausgeteilt wurden, da hieß es:Hier ist auch was für Dich." Und als der Sohn vor Freude zitternd seine Hand ausstreckte und mit den Augen nur die Aufschrist des Briefes erst verschlingen wollte, da war's auch wirklich einer, der von Hause kam, und auch eine Handschrift von zu Hause stand darauf; aber es war doch nur sein eigener Brief, der nach sechs Monaten uncröffnet an ihn zurückkam." Es sah fast aus, als seien die Augen des Alten feucht geworden; als er aber den trotzigen Blick des Jungen sich gegenüber sah, ver- schwand das wieder.Viel Rühmliches mag auch nicht darin ge- standen haben!" sagte er grollend. Da fuhr ein hartes Lachen aus des Jüngeren Munde und gleich darauf ein fremdländischer Fluch, den der Vater nicht ver- stand.Da mögt Ihr recht haben, Hans Adam Kirch; ganz regulär war'S just nicht hergegangen; der junge Bursche wär auch damals gern vor seinem Vater hingefallen; lagen aber tausend Meilen zwischen ihnen; und überdem das Fieber hatte ihn geschüttelt, und er war erst eben von seinem elenden Lazarettbeit aufge- standen! Und später dann was meint Ihr wohl, Hans Kirch? Wen Vaters Hand verstoßen, der fragt bei der nächsten Heuer nicht, was unterm Deck geladen ist, ob �Kaffeesäcke oder schwarze Vögel, die eigentlich aber schwarze Menschen sind, wenn'S nur Dublonen gibt; und fragt auch nicht, wo die der Teufel holt, und wo dann- wieder neue zu bekommen sind!" Die Stimme, womit diese Worte gesprochen wurden, klang so wüst und fremd, daß Hans Kirch sich unwillkürlich fragte:Ist das Dein Heinz, den der Kantor beim Amen-Singen immer in die erste Reihe stellte, oder st es doch der Junge aus der Armenkate, der nur auf Deinen Beutel spekuliert?" Er wandte wieder seine Augen prüfend auf des andern Antlitz; die Narbe über Stirn und Auge flamsiite blutrot.Wo hast Du Dir denn das geholt?" sagte er, an seines Pastors Rede denkend.Bist Du mit Piraten- im Ge- fecht gewesen?" Ein desperates Lachen fuhr aus des Jüngeren- Munde. Piraten ?" rief er.Glaubt nur, Sans Kirch, es sind auch dabei brave Kerle! Aber laßt das; das Gespinnst ist gar zu lang, mit wem ich all zusammen war!"