Anterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 12 Freitaq ften 17. Januar. 1913 12] Gcfcbichtc einer Bombe. Von Andreas©trug. Obiobhl sie beide Deutsche waren, war Fritz polnisch, Moritz deutsch. Moritz verachtete Polen : er träumte von der Vereinigung Lodzs und ganz Polens mit dem großen Vater- lande. Fritz nannte die Deutschen Schwaben und Kartoffelfresser, obwohl er selbst recht mangelhaft polnisch sprach. Dieses Thema war oft der Gegenstand öffentlicher Dis- kussionen und des Zankes unter den Brüdern, und bildete eine beliebte Zerstreuung für die Gäste. Die Anlässe dazu waren sehr verschieden. Meistens handelte es sich um irgendeine aktuelle Frage. Der eine sprach dann vom Standpunkt der polnischen Partei, der andere von dem der 8v., und da sie beide scharfe Zungen hatten, waren diese Vorstellungen oft viel interessanter als die ernsthaften Diskussionen, welche die intelligenten Mitglieder der Partei führten, obwohl Fritz und Moritz als gewöhnliche Wirtsleute niemals so gelehrt und mit so gemeinen Ausdrücken übereinander herfielen wie die offiziellen Polemiker,- welche im Namen der Partei sprachen. Eines Abends, als die beiden Brüder hinter ihrem Schenktisch sich zankten und perorierten, stürzte ein Mädchen mit Geschrei herein und brachte die Mitteilung, daß in der Wolczanskagasse Militär alle Kneipen revidiere, und daß es in einer Viertelstunde an der Eecke erscheinen werde. Es kochte auf wie in einem Kessel, die Gäste begannen sich zum Ausgang zu drängen, in der großen Verwirrung eilig zahlend oder auch nicht zahlend. Es blieben nur einige sehr Betrunkene zurück, die auf keinen Fall weichen wollten, weil sie das für schmählich hielten. Moritz warf sie, so gut er konnte, schreiend und schimpfend hinaus, dann stolperte er hinter den Schenktisch zurück, blieb ruhig stehen und wartete auf die Revision. Als er aber seinen Bruder ansah rief er aus: ,.Gott der Gerechte! Was ist Dir Fritz?" Fritz stand mit hocherhobenen Händen da und starrte mit seinen verzweifelten Schielaugen zur Decke hinauf. „Was schneidest Du für Grimassen, verrückter Hund? Du machst mir Angst!" Fritz, von seinem Bruder geschüttelt, kam zu sich und bekannte zähneklappernd, daß dort bei ibm oben unter dem Bett ein„Paket" liege, das jemand zurückgelassen hatte, der es heute holen wollte, aber noch nicht gekommen sei, und daß infolgedessen die Kneipe geschlossen und sie beide gehenkt werden würden. „Was für ein Paket?" „Frag nicht, Moritz!" Der Jüngere verlor völlig den Kopf. „Sprich, was es ist. Du dickes Sdswein!" „Reg Dich nicht auf. Moritz... Sie kommen schon!" brüllte Fritz, als er das dumpfe Stampfen zahlreicher schwerer Schritte vernahm, und stürzte wie ein Wahnsinniger aus dem Laden, während Moritz schimpfend und fluchend die dunkle Treppe hinaufstieg. Rasch machte er Licht und suchte. Unter dem Bett zwischen Fritzens Pantoffeln und einer Mulde mit Würsten stand das hübsche Etui aus gelbem Leder am langen Riemen. Da unter dem Bett nichts Geringeres war als der bare Tod, ergriff Moritz das Etui. Als er aber merkte, wie schwer es war, wurde er blaß, seine großen Obren füllten sich mit Blut und begannen ihn zu brennen. Er ahnte etwas Schreckliches. Indessen hörte man auf der Treppe schon die Soldaten heraufpoltern. Moritz schob die Würste auseinander, legte das Etui zu unterst auf den Boden, deckte es zu, und die Mulde mit beiden Händen hochhebend, trug er sie fort. Auf der Schwelle stieß er mit der Polizei zusammen. „Zum Teufel, Herr Jerke, was ist denn das?" rief der Reviervorsteher. Niemand im Laden? Wo ist der Bruder? Wo sind die Gäste?— Achtung! Mas haben Sie denn da?" „Blutwllrstchen, Herr Vorsteher— frische, ganz heiße! Bier wird gleich dasein. Eben habe ich ein neues Viertel aufgelegt!" „Nehmen Sie sich mir in acht! Ein Offizier ist unten! Nehmen Sie sich zusammen! Für das Geringste setzt es Ohrfeigen!" Unten war das Zimmer voll Soldaten. Die einen tranken aus den Flaschen, die anderen fraßen, was sie gerade im Büfett fanden. Moritz stellte die Mulde mit den Würsten auf den Tisch und prüfte die Situation. Draußen vor der Tür stand der Offizier und beschimpfte jemand mit den gemeinsten Aus- drücken. Die Soldaten schienen jemand zu mißhandeln. An der klagenden Stimme erkannte Moritz den Bruder und stürzte hinaus. Er hörte den Offizier rufen: „Wer bist Du? Warum bist Du fortgelaufen?" Moritz griff ein. „Es ist mein Bruder, Herr Oberst. Er ist nicht weg- gelaufen. Er lief einem Gast nach, der sich gedrückt hatte, ohne zu bezahlen. Nicht er— der Gast ist weggelaufen, und er hat ihn nur verfolgt." „Bist Du der Bruder?" Eine Weile betrachtete der Offizier aufmerksam die beiden Gestalten, brach in Lachen aus, spuckte aus, sah nochmals bin und fluchte befriedigt: „Also jetzt heraus mit der Sprache, wo sind die Bomben? Wo sind die Revolver? Sonst werde ich Euch das ganze Beisel auf den Kopf stellen!" Moritz begann, in der Absicht, den Offizier zum Lachen zu bringen, Komödie zu spielen. Er demonstrierte sein lahmes Bein, schwor bei seinen Ohren, aber, als er durchs Fenster sah, wie die Soldaten sich an die Würste in der Mulde machten, schrie er mit durchaus nicht gemachter Verzweiflung auf. „Was ist los?" fragte der Offizier. „Herr.Kommandant, meine Würstel Sie essen ja alles auf! Was ist das für eine Revision?" Der Offizier schrie die Soldaten an, ließ sie antreten und führte sie fort. So kamen die Brüder mit dem Schreck davon. Und da man sicher sein konnte, daß sich heute kein Gast mehr zeigen würde, schlössen sie den Laden. Moritz sagte nichts und auch Fritz schwieg. Doch kaum waren sie oben, da warf sich Moritz auf seinen Bruder und begann in wahrer Berserkerwut seine dicken Backen zu be» arbeiten, Moobei er jedesmal in die Höhe springen mußte. Der Bruder bückte sich demütig, um ihm die Arbeit zu er» leichtern, und stöhnte nur leise. Bis spät in die Nacht dauerte Moritzens Schimpfen. Wie könne er es wagen, auch nur für einen Augenblick einen so gefährlichen Gegenstand ins Haus zu nehmen? Wie konnte er nur das Geschäft aufs Spiel fetzen, das ihr Vater mit seiner siebzigjährigen Arbeit hochgebracht hat�e! Da sehe man, wahin einem die UUS. verführen kann! Dann nannte er ihn einen ekelhaften Feigling, der in der größten Gefahr davonrenne und seinen leiblichen Bruder der Willkür überlasse!— Darauf befahl er ihm, die Bombe zu nehmen und sie fortzubringen, wohin es ihm gefiele, denn er würde eine solche Schweinerei im Hause nicht dulden. Dann stürzte er sich wieder mit den Fäusten auf ihn und bearbeitete ihn mit seinem pinkebein. Und zum Abschluß schmiß er ihm noch seinen Stiefel ins Gesicht, den er eben ausgezogen hatte, um sich schlafen zn legen, und begann sein Nachtgebet:„Vater unser, der du bist im Himmel.. Nachdem er gebetet, wandte er sich mit sanfter, warmer Stimme an den Bruder: „Fritz. Du sagst ja nichts! Tut Dir vielleicht etwas weh? Haben Dich die Soldaten so gehauen? Fritz weinte. Das eine traurige, tränenüberströntte Auge blickte auf den Bruder, das andere sab durch einen Tränenschleier auf die Bombe, welche auf dem Tisch stand und zur Sicherheit mit dem Riemen an einem in der Wand steckenden Haken befestigt war. „Geh h nunter, Fritz, und bringe zwei Flaschen Bier, von dem, das der Reviervorstehcr trinkt. Laß uns trinken! Fritz. geliebter Bruder, ich bin nicht mehr bös auf Dich!" Lange unterhielten sich die Brüder, denn sie konnten nach den familiären Auseinandersetzungen nicht so bald einschlafen. Auch beunruhigte sie die Bombe, welche ganz unschuldig da-