Interhattungsvlatt des Vorwärts Nr. 21. Donnerstag, den 30. Januar. 1913 21, Gefdrichte einer Bombe. Von AndreasStrug. Man verschob den Tod auf den sechsundzwanzigsten Juli, bis zum Namenstage des Fräulein Anulja. Schablon machte dem Freunde diese Konzession, denn ihm wäre der Tod in dem kalten Wasser am vierten März süßer gewesen. Dann lasen sie im Schatten der Weiden  , im duftigen Gras und von ferne blickten die Türme und Kirchen der alten Stadt herüber. Um die Mitte des Juli waren sie bereits Sozialisten. Sie schworen einander zu, für die Allgemeinheit zu leben, da sie es für sich selbst nicht konnten, und das fatale Datum ging vorbei, ohne daß ein Unglück geschah. Der Kollege Schablowski bebte vor geheimer Rührung, während er auf den Freund blickte. Er sah auf seinem abge- magerten Gesicht die Spuren schwerer Erlebnisie, las in seinen Augen die Veränderungen, die der Hauch des Todes bewirkt hatte. Er war von seiner Tapferkeit ergriffen, von seiner wunderbaren Errettung und auch davon, daß er seine frühere Tätigkeit nicht aufgab. Am liebsten hätte er ihn umarmt und ihm gesagt, wie gern er ihn hat. Er hatte nur den einen Wunsch, daß alles so wäre wie einst, daß er ihm verspreche, einander wieder zu treffen. Tausend Dinge hatte er ihm zu sagen, so viel hatte sich angesammelt, und nun war es nicht möglich, vom Fleck zu kommen, sich ihm zu nähern. Es baute sich zwischen ihnen eine Brücke aus lauterer, treuer Herz- lichkeit, und dennoch konnte jeden Augenblick ein Wort fallen, das zu einem hitzigen Geschimpfe, wie in einer Volksversamm- lung. führte und dazu, daß man einander die Augen ausstach. Sie beobachteten einander, von dem heißen Wunsch be- seelt, daß dieser Zustand schließlich ein Ende nehme. Wie weit fährst Du?" fragte Schablon. Noch drei Stationen..." Hast Du Verwandte da, oder Freunde?" Nein, ich fahre in die Ferien. Ich habe dort Geschäfte." Geschäfte? In dem Nest?"-. Bauern find auch Menschen." Schablon warf unwillkürlich einen Blick auf Mareks Ge- Pack. Marek lächelte ebenfalls unwillkürlich. Ja, lach' Du nur! Spaßig ist die Angelegenheit nicht." Freilich. Etwas weiß ich auch davon." Auch ich weiß, daß Du in den Tod gegangen bist und wieder gehst, und sicher wird man Dich noch hängen!... Da. siehst Du. ich habe eine Dummheit gesagt. Man sagt so was nicht, aber es ist nun mal geschehen. Ich wollte damit nur sagen, daß man bei Euch alles verstehen kann, aber wie Ihr da so mit dem Blut umgeht, nein! Denn das Leben, ver- stehst Du, die Verhältnisse sind noch nicht gereift, um Euch ein solches Recht zu geben. Ich sag's im Ernst, ich will Dich nicht verletzen... Und ich will's Dir offen sagen, denn ich will und kann mit Dir nicht anders reden. Wenn ich Dich so sehe, wie Du in dieses grüne Land, in diese stille Gegend mit Deinen unheilvollen Koffern fährst, hier, wo inan noch so wenig weiß und noch so gar nichts versteht, ein solches stilles Dörfchen, sieh nur!" Er zeigte durchs Fenster. Marek sah hinaus. ... so will es mir scheinen, daß ich einen Irrsinnigen sehe, einen dämonischen Nihilisten oder einen fanatisierten Mystiker, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Unglück zu ver- vielfachen, von dem es ohnehin überall voll genug ist. Ist es schon bös, so soll es noch schlimmer werden! Gibt es noch irgendeinen Winkel, wo Menschen ruhig leben, wohin die Gewalt der zerstörenden Mächte noch nicht gedrungen ist vorwärts! Auch das muß mit!... Was wirst Du da zurück- lassen? Nur Unglück! Dasselbe niacht Ihr in den Städten mit den Arbeitern. Das läßt sich immerhin noch verstehen. Ich freilich muß mich dagegen wehren, wie gegen einen Feind aber dort ist schließlich ein lebendiges Terrain, ein aufgewecktes Element, Massen, die ihr Recht kennen, dort darf man experimentieren, dort darf man sich vielleicht irren... Aber diese ungeheure Verblendung, diese Massenhysterie, welche alles und alle bis in den abgelegensten Winkel ver- seuchen will,... nein, das kann kein Mensch verstehen!.. Mein Verstand ist nicht so empfindsam. Ich habe das Recht, überall anzugreifen. Mein Sozialismus und meine Revolution machen bei den städtischen Schlagbäumen nicht Halt. Ich mache mir nichts aus dieser bäuerlichen Jung- fräulichkeit, ebensowenig ans irgendwelchen eisernen Rechten... So manches Recht wurde im Feuer eines gemeinsamen Willens erweicht... Blut! Blut!... Seit wann hat das Volk sein Recht auf Blut aufgegeben?' Ein Umschwung in menschlichen Dingen ohne Blutvergießen ist das möglich?" Nein, nein. Ick) spreche nicht aus Gefühl so. Auch ich kenne harte und unmenschliche Notwendigkeiten... Es niuß auch Schrecken und Katastrophen geben. Meinetwegen Blut. Aber dies alles qjuß vom kühlen Verstand gelenkt werden und von dem Grundsatz: Alles zu seiner Zeit. Jetzt aber ist es uns nicht erlaubt, Blut zu vergießen. Nicht erlaubt, weil es unnütz ist." Was ist das denn für ein Jetzt? Und was will es?" Jetzt heißt es warten, ausharren, erwecken, die Er- kenntnis vertiefen, alle Mittel versuchen und eine ungeheure Massenbewegung hervorrufen..." Ja, irgendwann und irgendwo! Das ist Deine Mei- nung, das ist Dein Glaube..." Das ist eine Wahrheit, gestützt auf alle Tatsachen der allgemeinen russischen Revolution." Nein. Das meinst Du nur so. oder Deine Partei.... Nichts kannst Du beweisen. Wir aber glauben, daß die Zeit gekommen ist." Wundervoll! Die Zeit ist gekommen, die Unabhängig- keit aufzubauen durch das Ausrauben von Staatskassen und durch das Totschlagen von Polizisten! Weißt Du, ich fange an zu glauben, daß es eine Art Geisteskrankheit gibt, welche ganze Volksmengen ergreift. Ihr seid alle vergiftet, betäubt, und kein Mensch denkt für Euch." Totschlagen von Polizisten.... Unabhängigkeit.... Was für ein Gerede! Kann man denn nicht mit Dir wie ein Mensch sprechen? Wir sind doch nicht hier in einer Ver- sammlung. Kein Mensch stört uns fo laß uns doch wie Menschen miteinander reden. Sprechen wir vom Kampf! Es gibt eine Idee der Passivität und eine Idee des Kompfes. Es gibt Geduldige und solche, die es eilig haben..." Ja. und es gibt auch Irrsinnige, die durchaus mit dem Kopf durch die Wand wollen...." Und eine Art von Verrückten, die sich ntit Vergnüge» mißhandeln lassen! Das sind entweder Märtyrer oder.. Ach. lassen wir das. Wohin soll das führen? Laß uns von was anderem reden!" Aber Marek antwortete nicht. Lange schwiegen sie beide, bemüht/ einander nicht anzusehen. Sie saßen einander gegen- über und berührten sich fast mit den Knien. Diefcr Zwang lastete auf ihnen. Es bedrückte sie un- erträglich die Scham, daß sie den Augenblick nicht zu bc- herrschen vermochten, um sich anständig aus der heiklen Situa- tion zu ziehen. Sie beobachteten sich heimlich, rind jeden Moment trafen sich ihre flüchtigen besorgten Blicke. Sie glaubten bald in Lachen ausbrechen zu müssen und daß sich schließlich alles anfklären würde. Bald wieder erfaßte sie Ungeduld: wozu sich quälen, zum Teufel? Wozu sich dumm stellen und sich später mit der Erinnerung daran vergiften? Bald auch blitzte bei dem einen und bei dem anderen aus den verstohlenen Blicken der Haß hervor. Mit der Be- sinnung kam auch der ratlose Gedanke: schließlich muß man ja hier fertig werden! Endlich nahm Schablowski das Wort: Hast Du nicht gelegentlich einmal in den letzten Jahren eine von unseren grausamen, entzückenden Domen gesehen? Was machen Sie denn eigentlich?" Marek sah ihm gerade in die Augen, und den Blick fesj auf ihn gerichtet, antwortete er nach einer Weile: Sprich aufrichtig, wie denk:- Du? Wäre es nicht eins Schmach für das Proletariat, wenn im Verlaufe der ganzen Revolution auch nicht ein Schuß von unserer Seite losginge? Wenn nicht ein Feind für die vielen getöteten Unsrigen fiele..." Gewiß. Das wäre allerdings sehr seltsam. Aber be- ruhige Dich nur! Tie Rächer würden schon von selbst aus dewl