Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 27.
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Freitag, den 7. Februar.
Geschichte einer Bombe.
Von Andreas Strug.
Ist das nun wirklich Orawiec oder auch bloß sein gemtaltes Bild? Wunderlich. Das Bild bewegt sich. Orawiec Hat die Hand an die Stirn gelegt, wie vor der Sonne, blickt auf die Umgitterung herab, wo seine Bauern sigen. Er blickt vor sich hinunter- auf die Richter.. Greift in den Busen, zieht seine Maschine heraus, beugt sich über die Holzverkleidung, zielt niedrig vor sich und schießt; aber es ist still, man hört nichts.
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Zuerst trifft er den, der gerade spricht den Offizier, der seitlich von seinem Tischchen steht, dann den Dicken, der mitten an dem langen Tisch sißt, dann.
Wojtek erwachte vor großer Freude. Er kam zu sich, segte sich auf und sprach ein Gebet für die Seele des Genossen, der dicht neben ihm von einem Kosaken erschossen worden war: der Kosak hatte sich schießend hinter seinem getöteten Pferd gedeckt und ließ nicht an sich herankommen. Ach, dies Schlafen... Mochten die Träume kommen wie sie wollten! Nur nicht nachdenken! Nur nicht sich quälen!
Und quälen mußte man sich, denn es tat einem das Weib leid, die Kinder, die Wirtschaft. Man quälte sich, denn das alles war zu seltsam für einen menschlichen Kopf. Leichter war es schon mit den Kameraden, als er die drei Monate mit ihnen zusammensaß. Noch einmal wird er sie sehen! Man wird sie wohl zusammen hinausführen! So wird's besser sein!
Am meisten aber nagte es an ihm, daß er nur so furze Zeit bei der Sache war, daß er so wenig vollbracht hatte. Hätte er bloß gewußt, daß es so bald ein Ende nehmen würde. Kein Wächter im ganzen Bezirk wäre am Leben geblieben.
Dagegen war es ihm ein Trost, daß er gekämpft, daß er nichts gefürchtet hat, daß er für alle fich zur Verteidigung gestellt, und daß er als Kampfgenosse gehängt werden wird, das heißt, so wie viele gute Kameraden, welchen die Zeitung der Partei Nachruf und Belobung in einem schwarzen Rähmchen widmete. Den Tod fürchtete er nicht, wie er überhaupt nichts fürchtete. Nur dies ungewohnte Nachdenken, das peinigte ihn.
Er schlief schon den vierten Tag fast bis zum Abend. Als er aus dem Schlaf auffuhr, war es bereits dunkel, denn der Soldat hatte das Lämpchen noch nicht gebracht. Es schien ihm, als size jemand auf dem Tischchen und rauche eine Zigarette. Die Zigarette glomm im Dunkeln und beleuchtete einen kleinen Teil eines fremden Gesichts. Wie im Traum.
Kielza betastete sich und überzeugte sich, daß er nicht mehr schlief.
Wer ist denn hier?" fragte er, noch unsicher, ob er überhaupt eine Antwort bekommen würde.
Ich bin's!"
Wer denn?"
Man hat mich hier zu Euch hineingelassen bis morgen. Es ist kein Blak, es sind wieder Neue gebracht worden.
Und was geschieht morgen?" fragte Rielza, und es lief ihm kalt über die Haut. Denn wenn es schon schlimm war, allein zu sein, so war es doch noch viel schrecklicher zusammen mit einem, der morgen hingerichtet werden sollte.
,, Morgen werde ich entlassen?"
Ah, da sieh!"
Kielza war tief erfreut.
,, Und von welcher Partei seid Ihr?" fragte er.„ Oder hat man Euch zu Unrecht verhaftet?"
Statt zu antworten, fing der Unbekannte zu pfeifen an. Als Licht gebracht wurde, erblickte Kielza einen jungen Burschen von etwa neunzehn Jahren, in zerlumpten Kleidern. Das Haar fiel ihm lang herab, und die Augen waren groß, hell, glühend und blickten gerade aus und unschuldig wie bei einem großen Kind. Kielza hatte noch bei feinem Menschen solche Augen gesehen.
Seid Ihr aus der Stadt oder vom Dorf?" Ich bin aus der Welt. Ich bin dort und da."
Sie scheinen Euch nicht schlecht zugesett zu haben, die Schufte. Ihr habt wenig Fleisch an Euch! Wollt Ihr essen?
1918
Ich habe hier Wurst und Käse. - Wenn man Tee bringt, eßt doch etwas!"
Gut. Ich werde essen. Danke!"
Wo habt Ihr gesessen? Denn solange ich zusammen war mit meinen Kameraden, kleifte: wir nach allen Seiten. Ich kenne fast alle von den Aclteren."
" Ich habe da oben über der Weichsel gesessen." ,, Mit wem?"
,, Sie sind nicht mehr. Wir saßen zu dritt. Heute nacht haben sie zwei geholt und gehenkt. Das waren meine Kameraden." Kielza seufzte.
" Dann sind sie offenbar von unserer Partei. Denn andere werden nicht hingerichtet. Wir gehören also zueinander."
,, Scheint nicht."
Ich bin von der Kampfgruppe der polnischen Partei. Am Dienstag wurde ich verurteilt."
,, So wird man Euch also morgen in der Nacht hängen, oder übermorgen."
,, Ja, so denke ich auch," antwortete Kielza betroffen, daß der Bursche sich nicht einmal wunderte und vom Tode eines anderen wie von der alltäglichsten Sache sprach. Und er dachte bei sich: sicher ein Bandit! Freilich etwas wunderlich für einen Banditen. Und auch seine Aussprache ist so eigentümlich.
,, Seid Ihr ein Pole?" fragte er. Ihr sprecht etwas fremdartig."
,, Weder ein Pole noch sonst was. Ich bin ein Mensch und wurde in Warschau geboren. Dann war ich einige Jahre in Amerifa und in anderen Länderr, wo man andere Sprachen spricht." So, so... Aber in Amerika geht's den Unsrigen gut?" " Je nachdem. Es ist das gleiche Unrecht auf der ganzen
Welt."
,, Amerika , das ist ein reiches, freies Land! Jeder tut, was er will."
Ja, jeder, der reich ist. Genar wie bei uns...." „ Das ist Gerede. Dort gibt es reine zarische Regierung, sondern die Republik ....
,, Dort regiert das Geld."
„ Das Geld ist überall obenauf, aber dafür gibt es Gerechtigkeit, Schulen, ordentliche Gerichte, allgemeines Stimmrecht, viel freien Boden....
,, Dort kauft man und verkauft sich. Der Wähler und der Deputierte und der Präsident und die Führer der Sozialisten...
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„ Das ist Verleumdung! Einen sozialistischen Abgeord neten hat noch niemand bestochen! So dumm bin ich doch nicht, obwohl ich nicht über der Grenze war. Ihr redet Unsinn. Wenn Ihr die Sozialisten fennen würdet, dann würdet Ihr wissen.
,, Was wißt Ihr, was ich kenne?"
Mir scheint, nicht viel; denn wer auf die Sozialisten schimpft, ist entweder unwissend, oder er hält es mit den Bourgeois und mit den Adeligen!"
" Ihr sprecht so, wie man's Euch gelehrt hat. Es gibt noch bessere Leute als die Sozialisten. Solche, die in Wahrheit das Gute für das arbeitende Volk wollen, und die wirklich die ganze Welt umgestalten werden."
So, so.... Ihr scheint ja sehr klug zu sein! Nun, sagt mir doch, wer ist denn das, damit ich Dummer was lerne!" „ Ich will mich nicht anstrengen. Was soll es auch nüßen, Euch zu belehren, wenn Ihr morgen nicht mehr seid?" Ja, das stimmt. Was soll es mir!"
um
Kielza streckte sich wieder aufs Bett, drehte sich zur Wand und schlief ein.
Der Zellengenosse weckte ihn.
,, Steht auf, wir wollen essen!"
Ich habe keine Lust. Eßt selbst und laßt's Euch gut bekommen! Was soll mir das Essen? Ich bin schon eine Leiche!"
-
Komischer Mensch! Morgen oder vielleicht erst übermorgen soll er gehenkt werden und will jeg nicht mehr essen! Schämt Euch!"