Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 28.
28] ht
Sonnabend. den 8. Februar.
Gefchichte einer Bombe.
Von Andreas Strug.
Ruhig zu leben? Was heißt das?"
So wie Menschen leben. Dem Bourgeois soll es gestattet fein, bon flein auf gar nichts zu tun, sein Leben lang, und einem anderen Menschen nicht einmal ein Jahr? Wir wollten nach Wien reisen, dort ausruhen und eine Propagandaschrift herausgeben. Wir haben dort einen Kameraden, einen Schriftsteller und noch einige Bekannte."
,, Und habt Ihr das Geld bekommen?" ,, Viertausendachthundert Rubel." ,, Donnerwetter!"
" Der Kaufmann, der kannte uns. Denn wir waren schon früher einmal bei ihm, daß er's freiwillig hergibt. Man mußte ihn töten, damit er uns nicht verriet."
So, so. Und was habt Ihr mit dem vielen Geld ge
macht?"
Wojtek wurde von großer Neugierde ergriffen, wie bei der Erzählung eines Märchens, als er noch klein war.
Ja, es gelang nicht, es so zu machen, wie wir beabsichtigt hatten. Zuerst fiel einer herein mit seinem Teil. Er wurde berhauen, eingesperrt, und das Geld steckte der Chef der Landgendarmerie ein. Ein Jude unternahm es, für fünfzig Rubel dem Chef einen Brief zu überbringen. Ich schrieb, er möchte den Gefangenen freilassen, wofür er fünfhunderf Rubel zurüdbehalten kann. Das übrige aber solle er abgeben, sonst drobe ihm der Tod. Er war einverstanden, ließ den Kameraden frei, und schon sollten wir alle drei weiterziehen, als der Freigelassene erklärte, daß er im ganzen nur zweihundert Rubel bekommen, habe, während ihm mehr als tausend gebührten. Wir töteten den Chef, aber das Geld war hin. Wir schossen noch zwei Gendarmen nieder, denn sie ließen uns nicht ruhig fort. Wir gehen also weiter, fommen in ein Kleines Städtchen, voller Juden es rauchte noch, es war ganz abgebrannt. Not, Elend, Geheul, alles kampiert unter freiem Himmel. Wir verteilten das Geld, und es blieben uns nur noch hundert Rubel."
Wojtek begriff nichts.
Was? Tatet Ihr das aus Barmherzigkeit? Oder um zut büßen?"
Und bei sich dachte er: Alles gelogen und erstunken! Ich verstehe Euch nicht. Wofür büßen? Die Menschen waren in Not, so haben wir Geld unter sie verteilt. Natürlich erhob sich dabei ein Geschrei, ein Gedränge entstand, wie das bei Juden ist. Als sie fahen, daß wir Geld verteilen, da hätten sie einander fast totgedrückt. Gerade um die Zeit kommen zwei Offiziere und zwei Damen geritten, um sich den Brand anzusehen; zehn Werst in der Nähe stand Artillerie. Wir hinderten sie nicht, spazieren zu reiten. Sie hielten und saben zu. Sie sehen das viele Geld. Alle hatten Baviernoten in der Hand, und wir geben immer mehr. Sie fragen, wer wir seien. Wir antworten: Menschen. Ah, sagen sie, ihr seid von der Partei? Wo habt Ihr das Geld her? Wo sind die Pässe? Und: Hände hoch!- Ja, was wollen die Idioten? Der eine zieht einen Revolver heraus. Wir haben beide totgeschossen. Die Damen fielen von den Pferden. Darauf haben sie natürlich auf uns eine Treibjagd in der ganzen Umgebung eröffnet. Wir saßen eine Woche lang in den Wäldern und sind vor Hunger fast umgekommen." Und was geschah dann? Bloß keine Lügen! Denn was foll das?"
ch lüge nie. Nur wenn es nötig ist, und hier ist gewiß feine solche Notwendigkeit." ., Mancher lügt nur aus Brahlerei! Und weiß selbst nicht
marum."
Ich bin nicht so. Uebrigens hat es auch in der Zeitung gestanden." ,, und durch die Geschichte mit den Offizieren seid Ihr Hereingefallen?"
3wei wurden bei einem Bauern ergriffen, jene Damen erkannten sie sofort, denn sie ritten mit den Soldaten überall hin mit. Ich war allein. Dann haben sie mich auf der Station erwischt, recht weit von jenem Ort, aber ich konnte noch
1913
rechtzeitig den Revolver fortwerfen, und mein Baß war In Ordnung. Jene Damen aber erkannten mich nicht. Wir wurden dann allen diesen abgebrannten Juden vorgeführt, aber keiner wollte etwas wissen. Man verhaftete auch einige von ihnen, mußte sie aber freilassen."
Die Geschichten unterhielten Rielza einige Stunden. Er. vergaß ganz sein Schicksal, so ungewöhnlich war ihm dieser Bursche mit seinen Abenteuern. Und am meisten wunderte ihn, daß er gar keiner Partei angehörte, auch kein Bandit und fein Kämpfer war, der auf eigene Faust etwas unternimmt sondern etwas ganz Fremdes, Unbekanntes. Ungewöhnlich verständig für sein Alter, und auf alles hatte er eine Antwort bereit. Man mochte sich noch so sehr den Kopf zerbrechen, es war nicht zu verstehen! Dabei mußte man alem, was er sagte, unwillkürlich zustimmen, obwohl seine Meinun gen so ganz unähnlich dem waren, was Kielza selbst wußte.
Und jezt? Gesezt, man läßt Euch frei, was dann?" ,, Nichts. Ich werde für mich leben wie bisher. Bielleicht reise ich, wieder auf ein Jahr nach Amerika . Ich habe dort Freunde, Italiener , mit denen ich meist verkehrte. Es find Arbeiter in den Minen."
der
,, Also nehmt Ihr doch zuweilen auch Arbeit an?" ,, So dumm bin ich nicht. Was ein anständiger Mensch ist, soll nicht arbeiten, sondern kämpfen."
,, So! Und was soll die Welt essen?"
,, Eben, weil die Welt immer essen will, so wird die Ordnung bald wieder zurückkehren, wenn einmal alles gründlich zerstört ist."
So, so. Und wie wollt hr. nach Amerika fommen? Habt Ihr irgendwo Geld versteckt?"
Ich habe überall Geld. Ich hole es mir, wo ich es finde. Im Laden. Auf der Straße."
das
,, Staatsgeld, meinetwegen; aber so von jedem Beliebigen, gefällt mir nicht. Regierungsgeld, das ist erlaubt... ,, Alles ist erlaubt. Das versteht Ihr nicht."
Ich verstehe. Und ohne Euch kränken zu wollen, ich weiß wohl, daß nur Banditen..."
,, Das ist nur ein Name, Bandit"! Denn in Wirklichkeit. Ach, was soll man reden! Ihr habt Eure Meinung, wir unfere! Ein ganz gemeiner Räuber bringt mehr Nugen als so ein Sozialist, der Fremdes nicht anzurühren, oder dem Reichen einen Stoß zu verseßen wagt.... Die Sozialisten denken, das sei gerade qut, denn so hat es Gott eingerichtet! Vorurteile! Aber allmählich kommen die Leute zu Verstand. Eine neue Zeit formt. Die große Revolution kommt, und die ganze Welt geht aus den Fugen. Alles, was besteht, wird zerstört werden. Die halbe Menschheit wird zugrunde gehen, aber was übrig bleibt, wird glücklich leben. So wird es sein!"
Als er dies sprach, veränderten sich seine Augen. Sie wurden hell und wurden dunkel, Tiefen öffneten sich in ihnen, und sie blickten so schrecklich, daß Wojtef ein Schauer überlief. unschuldig drein, ganz findlich, so daß man hätte schwören mögen, daß, wer so blicke, nicht fähig sei, eine Fliege zu fränken. Wojtek versant in Schweigen.
Doch bald beruhigten sich diese Augen, sahen gutmütig..
Die Neugierde für den wunderlichen Burschen verließ ihn. Er erinnerte sich an sein Schicksal, und es überfiel ihn der beftige Wunsch, zu schlafen. Er hatte sich bereits zurechtgelegt, als ihn ein überraschendes Gefühl von Freude plöglich wieder aufriß. Etwas Gutes mußte geschehen sein oder sollte geschehen, und zwar sofort. Was war es?
Eine große Sorge war ihm von der Seele gefallen. Wie durch ein Wunder zeigte sich ein Ausgar g aus diesem engen Ort, wie aus der Falle. Was war es nur? So lange hatte diese Sorge auf ihm gelaftet, und plöglich war die Erleichterung da. Jeßt wußte er es und setzte sich aufs Bett.
Hört doch, unbekannter Mensch, denn ich weiß ja nicht, wie Ihr Euch nennt!"
Erst
Mein Name ist Gryziak, wenn Ihr das braucht." Nichts kann mir ein Name nüßen. Sondern Ihr selbst. aber sagt mir: Könnt Ihr Wort halten? Euch ist ja nichts heilig, darum weiß ich es nicht. Wenn nun jemand in der Todesstunde Euch um etwas bittet, wollt Ihr es ehrlich tun? Wollt Ihr es halten? Bei uns sagt man: Auf Ehre!