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Naturwiffenfchaftliche Ueberficht. Busammenhang mit den übrigen zu existieren vermag. Troßdem

Bom Nrtier zum Zellenstaat.

ist es wohl zulässig, auch den Körper eines höheren Organismus, ja auch unseren eigenen Leib als eine Kolonie einzelner, mehr oder weniger selbständiger Elementarorganismen oder, fürzer aus

Es ist heutzutage bereits eine Binsenwahrheit, die jedem, der gedrückt, als einen Zellenstaat aufzufassen. Wenn wir daher fich überhaupt für naturwissenschaftliche Fragen interessiert, ge- die einzeln lebende Belle, mag es sich um ein Urtier hen oder eine läufig ist, daß die in großem Arten- und Formenreichtum, Wasser einzellige Pflanze handeln, als ein Individuum erster und Land bevölkernden niedersten Lebewesen, die sogenannten Ür- Ordnung" bezeichnen, so hätten wir in der Bandorinakolonie tierchen, nichts anderes als selbständig lebende einzelne Zellen sowie in jedem höheren Lebewesen ein Individuum zweiter find. Alle die verschiedenen zum Leben notwendigen Funktionen: Ordnung" vor uns.

Nahrungsaufnahme, Atmung, Verdauung, Fortbewegung usw., die Da bei der Pandorina, im Gegensatz zu den höheren Tieren bei den höheren, bielzelligen Lebewesen, deren Körper fich oft und Pflanzen, die einzelnen Zellen untereinender gleichwertig sind, aus Millionen solcher Bellen aufbaut, von den verschiedenen Or- besitzt bei ihr natürlich auch noch jede Zelle die Fähigkeit, sich ganen und Geweben in strenger Arbeitsteilung ausgeübt werden, durch Teilung fortzupflanzen und eine neue Sechzehnzellenfolonie muß auch das einzellige Urtierchen leisten können. Gleich den zu erzeugen. Bei uns dagegen ist bekanntlich die Fähigkeit zur Er­höheren Tieren und Pflanzen nehmen auch die Einzeller Nahrung zeugung eines neuen Individuums nur auf ganz bestimmte Zellen auf, verarbeiten sie und scheiden die unbrauchbaren Reste wieder unseres Körpers, die männlichen und weiblichen Geschlechts­aus, wie jene bewegen sie sich fort, wachsen heran und pflanzen ellen, beschränkt, während die ganze Masse der übrigen sich endlich, nachdem sie eine bestimmte Größe erlangt haben, fort, törperzellen zur Fortpflanzung unfähig ist und dem Tode indem sich die eine große Zelle, die Mutterzelle", in zwei oder verfällt. Die Pandorina gehört also noch zu den glüdlichen Ge­mehrere fleinere Zellen teilt. Allmählich wachsen auch diese wie- schöpfen, denen wenigstens idealiter ein ewiges" Leben beschieden der heran und teilen sich, wenn ihre Zeit gekommen ist, von ist. Wenn nämlich die Bandorina eine Zeitlang im Wasser umher­geschwärmt ist und ihre einzelnen Zellen infolge reichlicher Nah­

neuem.

Auf Grund der Abstammungslehre nehmen wir an, daß sich rungsaufnahme zu einer bestimmten Größe herangewachsen sind, die heute lebenden höheren vielzelligen Organismen allmählich dann beginnt jede von ihnen sich durch allmähliche Zweiteilungen im Laufe von Jahrmillionen aus einzelligen Vorfahren entwickelt zu vermehren. So entsteht endlich eine große Kolonie von sechzehn haben. Es entsteht nun die Frage: in welcher Weise sich dieser sechzehnzelligen Bandorinen, die anfangs alle noch durch eine Bald jedoch ver­Borgang wohl abgespielt haben mag. Die Erfahrung läßt uns gemeinsame Hülle zusammengehalten werden. hier natürlich im Stich. Auch die Erdgeschichte mit ihren Ver- lassen die jungen Kolonien den mütterlichen Stock und beginnen steinerungen ausgestorbener Lebewesen vermag uns feine Antwort ein selbständiges Leben..

zu geben, wohl aber vermögen wir uns auf Grund von Analogie- Noch ein Schritt weiter zu den Vielzellern hin ist bei der schlüssen doch ein ungefähres Bild des Entwidelungsganges zu großen Kugelalge Volvog getan. Auch Volvor wird noch met machen. stens zu den einzelligen Lebewesen gerechnet, stellt aber in Wahr­

( Schluß folgt.)

Es ist bekannt, daß auch jedes höhere Lebewesen zu Beginn heit eine typische Uebergangsform zu den vielzelligen dar. Auch feiner individuellen Entwidelung aus einer Belle, dem befruchten- hier haben sich die einzelnen Zellen noch eine ziemliche Selb­den Ei, besteht. Die Eizelle teilt sich dann in zwei, vier und so ständigkeit bewahrt und besitzen alle zum freien Leben notwendigen fort in immer mehr Zellen, die sich dann später zu Geweben Organe. Aber trotzdem ist hier die Zusammengehörigkeit und der und Organen zusammenschließen. Doch die Teilungen der wechselseitige Einfluß weit bedeutender, da die Zellen hier nicht embryonalen Zellen sind keine vollständigen, sondern die einzelnen nur, wie bei der Pandorina, durch eine gemeinsame Gallerthülle Abkömmlinge bleiben durch feine Verbindungsbrücken lebender zusammengehalten werden, sondern noch unmittelbar durch Plasma­Substanz miteinander in Beziehung und beeinflussen sich wechsel- brücken miteinander in Verbindung stehen. feitig. Das Wichtigste aber ist, daß bei Volvor bereits eine Sonde­Der wichtigste Unterschied zwischen der Teilung einer Eizelle rung in Keimzellen, die nur der Fortpflanzung, der Erhal und der Fortpflanzung eines einzelligen Urtierchens besteht nun tung der Art dienen, und in Körperzellen, die mit dem indivi offenbar darin, daß in dem letteren Falle die Trennung der duellen Tode der Volvorkolonie zugunde gehen, eingetreten ist. Tochterzellen eine vollständige ist und die beiden neu entstandenen Unter dem Mikroskop erkennt man, wie sich bestimmte Zellen der Zellen sich in feiner Weise mehr gegenseitig zu beeinflussen ver- Kolonie erheblich vergrößern und sich zu Eizellen umwandeln. mögen. Seben wir nun den Fall, aus irgend welchen äußeren Diese lösen sich dann aus dem Verbande der übrigen Zellen ab Gründen würde sich einmal ein solches Urtierchen auch nicht völlig und fallen ins Innere der Kugel. Andere Zellen vergrößern sich durchschnüren, es bliebe vielmehr zwischen den beiden Tochter- ebenfalls, teilen sich aber dann wieder in zahllose winzig fleine individuen eine lebende Verbindungsbrüde erhalten, so wäre damit Zellen, die sich mit Geißeln versehen und zu den männlichen der erste Schritt zu einem mehrzelligen höheren Tier getan. Keimzellen oder Spermatozcen umbilden. Wie bei den höheren Sielten nun die bewirkenden äußeren Bedingungen an und würde Lebewesen suchen auch hier die Spermatozoen die Eizellen auf, sich diese unvollständige Durchtrennung als vorteilhaft im Daseins- dringen in fie ein und befruchten sie, und geben dadurch den tampfe erweisen, so wäre damit die Möglichkeit einer erblichen Anstoß, daß sich jede Gizelle durch Teilung und Differenzierung Firierung gegeben. Das etwas Aehnliches wirklich in der Natur zu einer neuen Volvorkolonie umwandelt, vorkommt, zeigen verschiedene Arten von Geißelinfusorien und anderen Urtierchen. Ich möchte hier als Beispiel nur das Ver­halten einer in unseren Teichen sehr häufigen fleinen Kugelalge, der zierlichen Bandorina Morum anführen. Das Einzel­wesen besteht hier aus sechzehn zu einer Kugel vereinigten grünen Bellen, die völlig gleichartig und gleichwertig sind, und von denen jede Belle die gleiche Arbeit für sich und die Gesamtheit verrichtet. Wir können also mit dem gleichen Recht von einer aus sechzehn Einzeltieren bestehenden Geißeltierchenkolonie wie von einem aus Aus Otto Ludwigs Dichterwerkstatt. Otto Ludwig  , dessen fechzehn Zellen bestehenden Individuum sprechen. Was die kleinen 100. Geburtstag wir in diesen Tagen feiern, hat den Rausch und Geißeltierchen zu dieser Vereinigung oder, wohl richtiger, zu dieser die Qual des Genies wie wenige Künstler durchgekostet, denn die unvollständigen Trennung bewogen haben mag, ist natürlich schwer Natur hatte ihn mit einer so starten Phantasietätigkeit begabt, daß festzustellen. Jedenfalls muß aber dieser Zusammenschluß von die inneren Bisionen ihm Leben und Kunst zu zerstören drohten. Vorteil sein, da er sich zu einer ständigen Einrichtung ausgebildet Die ererbte und durch seine fünstlerische Arbeit gesteigerte Nervosität hat, obwohl auch die Einzelzellen oder Einzeltiere scheinbar noch verstärkte noch dies qualvolle Ueberwuchern des Phantasieelements. vollständg zum selbständigen Leben befähigt wären. Er hatte direkt Halluzinationen, sah z. B. beim nächtlichen Nachhause­Die sechzehn Zellen einer solchen Pandorinafolonie sind gehen seinen Freund Schaller über Schlangen und durch Teppiche übrigens nur sehr lose miteinander vereint. Der Zusammenhalt tragende Tiroler hindurchschreiten"; später umlagerten die Gestalten wird hauptsächlich durch eine zarte gallertartige Hülle bedingt, seiner unausgeführten Novellen- und Dramenpläne wie blutdürftige die fich die Tiere in gemeinsamer Arbeit erzeugen. Jede einzelne Bampire sein Krantenlager und verlangten Leben von ihm, wie er selbst Belle der Kugel hat sich jedoch, wie bereits erwähnt, ihre volle mit Entfeßen gesteht. Bisweilen konnte er sich von dieser ibn bedrängenden individuelle Selbständigkeit bewahrt; jede besitzt nicht nur alle Fülle fünstlerischer Borstellungen durch Phantasieren am Klavier befreien. typischen Bellorgane, wie Bellförper und Kern, sondern auch noch Ein interessantes Bild des im Schaffen begriffenen Ludwig bietet eine pulsierende Vakuole( ein der Ausscheidung der durch den Stoff- uns einer seiner Bekannten A. Krepichmar: Einen höchst eigen­wechsel verbrauchten flüssigen Substanzen dienendes Bläschen), tümlichen Anblick bot Ludwig besonders dann dar, wenn man ihn Geißeln, Blattgrüntörnchen usw., so daß sie alle zum Leben er bei der Arbeit überraschte. In eine fast undurchdringliche Wolfe forderliche Arbeit zu leisten bermöchte. Da die Pandorinen aber von Tabalsdampf gehüllt, faß er tief über den Tisch gebeugt. Das ftets in dieser Vereinigung von sechzehn Einzelindividuen ange- bei arbeitete er höchst unregelmäßig, wie nur eben sein förperlicher es gestattete". Wenn der Dämon der Krontheit troffen werden, darf man sie wohl mit Recht als erste Vorstufe Zustand erzählt ein anderer Freund, zu höheren vielzelligen Organismen betrachten. Der wesentlichste ihm einige Zeit Ruhe ließ", erhob sich seine schöpferische Kraft wohl plöglich Unterschied zwischen ihnen und echten vielzelligen Organismen liegt ba wohl darin, daß bei diesen die einzelnen Zellen zu Geweben und und staunenswert mächtig, da entquollen ihr Bilder von über­Organen vereinigt, und der streng durchgeführten Arbeitsteilung raschendem Glanz und Töne von wundervoller Tiefe und Innigcit". entsprechend tiefgreifend umgestaltet sind, so daß jede nur ganz In folchen Stunden hat der Poet, dem zugleich eine scharfe pincho­bestimmte Lebensaufgaben zu erfüllen und daher nur noch im logische Bearbeitung und feine kritische Analyse eigenen wie fremden

Kleines feuilleton.