Mnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 42. Freitag den 28. Februar. 1913 42 6ercbichte einer Bombe. Von Andreas©trug. Der alte Onkel tröstete ihn so gut er konnte und lvar be- müht, ihn zur Heinikehr w bewegen. Doch Weszycki dachte: Wenn die Lage jetzt so schlimm ist, so wird die Bombe und das Geld um so mehr zustatten kommen. Er forschte also den Alten aus, ob der ihm nicht einen Weg zeigen könnte, einen Hinweis, oder doch ivenigstens eine Spur, um zu den übrig- gebliebenm! Leuten von der Partei zu gelangen. „Mein lieber Junge, ich möchte Dich wahrhaftig nicht ins Verderben stürzen. Aber wenn Du's durchaus willst, so könnte man schließlich hingelangen. In so einem Ladeir kann man alles erfahren, denn die Leute bringen die Nachrichten von selbst. Aber erstens sind alle Parteileute, die ich kannte, so weit zu sehen ist, verhaftet. Zweitens können die, die noch übrig geblieben sind, in der Tat unniöglich etwas wissen, ob- wohl sie scheinbar irgendwohin gehören. Und drittens— es ist jetzt viel Schufterei nach der Revolution zurückgeblieben. Du kannst dahin gelangen, wohin Du gar nicht wolltest. Also nimm Dich zusanmien, sei vorsichtig mit jedem." „Ich hätte jemand von der Kampfgruppe nötig," wagte sich Weszycki endlich heraus und fügte traurig hinzu:„Frei- lich, wenn es derartiges überhaupt noch gibt..." „Oho I Das willst Du?" Der Onkel war so erschrocken, daß er ganz blaß wurde. Tann schämte er sich und begann dem Neffen weitläufig seine Meinung auseinanderzusetzen, immer in der Absicht, ihn zu bewegen, daß er noch am selben Abend nach Hause zurückkehre. „Ja, die Kampfgruppe... Entweder sie ist, oder sie ist nicht mehr. Wenn sie nicht ist, ist ja gut. Aber wenn sie noch existiert, hält sie sich in diesen Zeitläuften so gut verborgen, daß nicht nur wir, sondern die gerissensten Spitzel und Provo- kateure sie nicht wittern könnten. Da ist alles vergebens. Nimm Vernunft an und laß die Sache in Frieden. Bei diesen schrecklichen Verfolgungen, da die Leute einfach für nichts eingesteckt werden, mußten sich jene aber schon ganz gehörig verkriechen. Sie werden am ehesten alle in ein Köfferchen hineingekrochen sein und haben nur einen, den letzten, zurück- gelassen, der sie mit einem englischen Schloß eingesperrt, den Schlüssel in die Tasche gesteckt hat und ins Ausland gereist ist, um bessere Zeiten abzuwarten. Wenn die Kampfgruppe existiert, so könnte sie jetzt nur so verfahren." „Und wer schießt die Spitzel auf der Straße und in den Schenken nieder?— Sie selbst sagten doch, daß kein Tag vergeht, ohne daß dergleichen Dinge sich ereignen." „Wer da schießt?— Es fehlt, nicht an solchen Liebhabern. Aber der Teufel weiß, wer sie sind. Sie schlagen die Spitzel tot und die Verräter, wie sie sagen— aber ebensogut kann es uns passieren, daß wir totgeschossen werden, wenn wir abends ausgehen, ein Glas Bier trinken. Dem einen wird es scheinen, ein anderer wird falsch gesehen haben. Auch unschuldige Leute gehen auf diese Weise zugrunde und haben dazu noch die Schmach für ewige Zeiten. Denn wenn man ihre Namen im „Kurjer" veröffentlicht, glauben alle, daß es Spitzel waren. Ferner gibt es auch Kampfgenossen, die für irgendeine Ge- mencheit von der Partei geschaßt worden sind, und solche, die rebelliert haben, sich dann zu einer Bande zusammengetan und auf eigene Faust operieren. Es gibt welche, von denen die Partei wegen schlechten oder unvorsichtigen Betragens die Waffen zurückforderte, die sich aber weigerten und nun weiter auf Posten und Spione schießen! um jedoch leben zu können, geht mancher einfach auf Raub und Erpressung aus. So ein Kerl kommt auch manchmal hierher— ein alter Bekannter. Ein anständiger Bursch, vagabundiert er mit der Waffe in der Hand durch die Stadt und beklagt sich über sein Schicksal. — Sie haben mich zu Unrecht fortgejagt, sagt er. Weil ich ohne Aufdrag einen Banditen getötet habe, der in einer Schenke unsere Leute bedrohte. Und ich selbst habe sechs Attentate auf den? Kerbholz, und mein Name ist dreimal schon als verdächtig notiert— jetzt muß ich init dem falschen Paß herumlaufen und kann keine Arbeit annehmen, denn ich habe eine Schuß- wunde in der Hand, die noch iricht geheilt ist... Da siehst Dir, er dient der Sache, sucht seinen Unterhalt, so gut er kann — ein solches Schicksal! So oft er kommt, kriegt er etwas Geld von mir, einen Laib Brot, Käse, ein halbes Pfund Ge- räuchertes und ein Päckchen Zigaretten. Ich unterstütze ihn aus Gutmütigkeit, und doch ist es wieder eine Art Steuer. Davon lebt er. und wenn ihn einer nicht freiwillig unter- stützen will, ze'gt er ihm den Lauf seines Revolvers... Er kommt regelmäßig einmal in der Woche. Wenin er einmal ausbleibt, so bedeutet das, daß er verhaftet worden ist, und dann wird er sicher gehenkt. Solcher kenn' ich einige, die so durch die Stadt wandern— den Tod suchend. Aber so einer kann Dir nichts nützen. Dem er hält sich selbst von der Partei fern, und dann kann er jeden Tag andere Gesinnun- gen haben:— heute schießt er auf die Polizei, und morgen geht er mit derselben Polizei und hilft auf den Straßen seine alten Genossen verhaften. Die Zeiteis sind gemein lind wer- den immer häßlicher. Kehr' Du nach Halls zurück, mein Junge. Was hast Du für ein Geschäft? Ist es so wichtig? — Was kann es denn jetzt schon geben? Jetzt ist es gewiß entbehrlich." Weszycki bedauerte, die Ueußernng wegen der Kampfgruppe vor dem Onkel getan zu haben und begann wieder hinten herum. „Gott, " sagte er.„was die Kampfgruppe betrifft, so ist mir ja das gar nicht so wichtig. Eigentlich wollten wir unsere Zuckerfabrik in die Bernfsgenossenschaft anmelden. Offenbar kann man doch hier so eklvas machen." „Das ist ja ganz was anderes! DaS ist eine anständige Sache, die das Licht nicht zu scheuen, braucht, und bis vor kurzem ging alles auch sehr gut. Ich kenne viele, die dahin gehören, aber jetzt bat man angefangen, sich auch an die zu machen. Man schließt diese Verbände einen nach dem andern, und wo man nicht schließt, verhaftet man erst die Leitung, dann die Mitglieder und so weiter. Darauf läßt mall sie wieder frei, und die Arbeit beginnt aufs neue. Dann steckt man sie wieder ein. So geht es immer im Kreise. Es ist ein Wunder, daß diese Leute nicht verrückt werden." Weszycki traf im Verlaufe der nächsten drei Tage mit ver- schiedenen Leuten zusammen, die Spur verfolgend, die ihm der Onkel gab. Aber die Mitglieder der Berufsgenossenschaft sprachen mit einem solchen illtensit>en Widerwillen, mit einem förmlichen Haß von den Parteien, daß von irgendeiner Unter- stützung ihrerseits nicht die Rede sein konnte. Eine Wäscherin aus der Piwnagasse, deren Sohn und Mann seit langem im Gefängnis saßen, wurde wütend und antwortete auf die artige Bitte um einen Hinweis: „Gehen Sie nur aufs Rathaus. Dort finden Sie alle beisammen! Oder weim Sie e? vorziehen, begeben Sie sich zu der Ochrana . Dort dient jetzt eine ganze Anzahl der Euren! Die werden Sie am besten hinbringen." Als er sie aber, ohne ihren Hohn zu beachten, zu bitten begann, sagte sie gutmütig: „Ich sehe, daß Sie ein dummer Mensch sind, wenn Sie es jetzt so eilig zur Partei haben. Doch ich habe Mitleid mit Ihnen und will meine.Hand nickt dazu geben, Sie zugrunde zu richten. Allein schon mit Rücksicht auf Ihren Onkel, den ich seit zwanzig Jahren keime." Die Beziehungen des Onkels waren in der Tat unerschöpflich. Doch der jüdische Kaufmann, mit dem der Onkel Geschäfte hatte, kannte nur einen Weg zu den jüdischen Parteien. Der Metzger von gegenüber wußte noch gestern, wie man zu der linken Gruppe und zum eigenltlichen Warschauer Komitee gelangt! was ließ sich jedoch tun, wenn man just gestern den betreffenden Herrn von der Straße weg verhaftet hatte? Und ohne ihn wußte der Metzger ebensoviel wie seine Würste. Ein Dienstmädchen in dem Hause, in dem der Laden sich befand, hatte einen Bräutigam in der revolutionären Frak- tion. Aber zum Unglück mußte gerade um diese Zeit ein Bruch erfolgen, und das Mädchen berichtete unter Tränen- güssen im Laden vor ihrem alten Vertrauten, daß ihr Bursche aus Verzweiflung über„«hren dummen Widerstand" sich jetzt sicher zugrunde richten, daß er jetzt ernsthaft„losgehen" und niemals wiederkehren werde, kenn er hatte die Waffe, die bei ihr verborgen war, mitgenommen. Die Geschichte war schwierig. Aber der Onkel geriet in Hitze und vergaß alle seine Befürchtungen. Er war in seinem Ehrgeiz getroffen und schämte sich, daß eS ihm nicht gelang.