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Nein, er mußte kämpfen, die Hörner gebrauchen und fiegend fich eine Freundin gewinnen, fie mit Gewalt einem anderen weg­nehmen, fie erobern traft der Stärke feines Nadens! Und er ging weiter und brüllte leise vor sich hin, und hier und da unternahm er einen furzen und entfchloffenen Sprung. Ach, er wird nicht mehr fänge des Weges dahingehen! Er wich jest bald hier ab, bald dort, spähte durch sede Lichtung, fam an frischgepflügtes Land, wo ein Safe auf den zwei Hinterfüßen faß und ihn neugierig anftarrte. Er fenkte das Haupt und wendete das eine Horn dem Häschen zu, so daß er ganz erschroden in die Wacholderbüsche floh.

So weit draußen war er noch niemals gewesen. Aber nach allen Anzeichen zu schließen, muß sich dort weiter vorn ein Hof mit einer großen Kuhherde befinden. Er schnupperte auf dem Boden, schnupperte in der Luft, und während er schon die Hügel fentung niederschritt, fühlte er sich veranlaßt au fichern.

Nachdem er so eine Weile vor sich hingetichert hatte, schlug er einen vollen Trab an und stürmte direkt auf den nächtlichen Weideplatz beim Stalle los, auf dem die Kühe lagerten, als ob fie seiner Ankunft gewärtig wären. Ohne weiter an die Folgen zu denken, stürzte er durch die offene Bauntür und padte die erste befte Kuh beim Naden,

Diese wendete sich nach ihm um, suchte sich zu verteidigen, erfchrat aber und flüchtete sich zu den anderen. Der Jungstier prang nach, der Stier des Hofes tam dazwischen, der Jungstier frieß ihn in die Seite, das erbitterte den anderen, fte ftolperten aber die Leitkuh, die arglos bort lag, und stampften schließlich in einen Haufen Baumstämme, der zum Verkohlen dort Tag, so daß die Asche in der Luft umherflog. Die Kühe erschraten und rannten brüllend umher. Das Gesinde im Hofe erwachte." Gin fremder Stier, schließt den Baun!" rief es in der Hütte, und die Mädchen und Knechte stürzten mit atvei großen Hunden auf den Ruhe ftörer los.

Man schlug auf den Jungstier los, von vorn und von rüdwärts, Fon rechts und von links. Kaum, daß er sich von dem einen Hunde burch die Hörner befreit hatte, sprang der nächste schon auf ihn los und biß ihn in das Hinterbein. Der Hausstier schlug mit den Hörnern quf ihn los und die Kühe spießten ihn. Er wollte bei der Stalltür Bosten faffen, aber da ging von hinten eine Kanonade mit Heugabeln und Anütteln auf ihn los, so daß er als über Kopf fliehen mußte. Er sprang hoch über den Zaun, benn er hatte nicht Beit gehabt, die Bauntür zu suchen, und rannte, unbekümmert um die Steine, die um ihn herflogen, feines Weges weiter. Als er fich aber etwas beruhigt hatte, befand er sich unten im Tale am Walde. Na, da draußen in der Welt ist es auch nicht viel besser wie zu Hause! Hier gibt es Hunde und Knüttel und Heugabeln ebenso wie dort!

Aber ich laß mich nicht prügeln!" brüllte er. Ich werde es euch schon zeigen!" brüllte er noch einmal:" Noch habt ihr mir nicht die Haut abgezogen, und das werdet ihr auch niemals tun fönnen. Noch steht mein Horn fest da!" Und er brüllte ein drittes Mal, ein viertes und noch ein fünftes Mal, jedesmal länger und wütender. Aber beim fechften Male hörte er plöblich in der Mitte auf und ging in ein heftiges, zorniges, vernichtendes Geheul über, das wie eine fürchterliche Drohung über Täler und Berge hin­fchwebte, über Seen und Sümpfe sich hinzog und fernen Dörfern und Städten und aller Welt von des Jungstiers grenzenlofem Born Kunde gab.... Auf daß alle Schuldigen erzittern mögen! So faßte es mindestens der Jungstier selbst auf, und da er dicht Bor fich einen großen schwarzen Baumstumpf sah, welcher ganz offenkundig fich dort bloß erhob, um ihn zu ärgern, so frümmte er den Naden und stürzte mit der ganzen Stärke seiner Rachegier auf ihn los. Der Stumpf stürzte nieder, die Späne flogen hoch in die Luft und die abgebrochenen Wurzeln zerstreuten sich nach allen Seiten. Noch einmal stürzte der Jungstier auf ihn los, stieß feine Hörner, die furzen festen Stümpfe, tief in die Erde und riß noch einen zweiten und noch einen dritten Baumstumpf los, so daß der Staub nach allen Seiten in der Luft wirbeite.

Aber dann beruhigte er sich, zürnte nicht mehr und war über. zeugt, daß er gefiegt und sich wegen aller Aergernisse gerächt hatte. Fühlte sich auch ein wenig schläfrig... ließ sich auf der Seite nieder, schüttelte den Kopf und verfiel bald in einen holden und fanften Schlaf.

Der Völkerkrieg der fürften.

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1813/15.

Von Kurt Eisner. III.

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Die englische Landung in Deutschland zu erreichen, gelang Gneisenaus Bemühungen nicht; alles was er bei dem allgemeinen Geiftesstupor" auszurichten vermochte, war, daß fich England itte Januar 1813 endlich bereit erklärte, die Geldmittel für eine in russischen Diensten stehende deutsche Legion, etwa 10 000 Mann, herzugeben. Auch bewilligte England Ende Januar Gneise­nau endlich die Mittel, die Garnison von Kolberg in Sold zu nehmen und von diesem Stüßpunkt aus die militärischen Opera­tlonen zu leiten. Damals hatte Yord bereits die ruffische Besehung Preußens herbeigeführt.

Am 80. Dezember 1812 hatten Vord und der ruffische General major Diebitsch , in der Boscherumschen Mühle, jene Konvention unterzeichnet, beren zweiter Artikel das preußische Korps ver pflichtete, bis zu ben eingehenden Befehlen Sr. Majestät des Königs neutral stehen zu bleiben, wenn Höchstgedachte Se. Majestät den Zurüdmarsch des Korps gur fra szösischen Armee befehlert sollten, während eines Beitraums von zwei Monaten nicht geget die kaiserlich russische Armee zu dienen".

Schon der Wortlaut dieses Vertrages zerstört all die oft ver fuchten Bemühungen dienstwilliger Geschichtsschreiber, zu beweiser, daß Yord in geheimem Einverständnis mit dem König von Preuße gehandelt habe. War doch durch den Artikel 2 sogar bestimmt, daß felbst in dem Falle, wo Friedrich Wilhelm III. befehlen sollte, fich an die französische Armee wieder anzuschließen, das preußische Korps fich weigern sollte, bis zum Ende Februar die Waffen gegen Rußland zu führen; ein förmlicher vertragsmäßig vereinbarter Waffenstreit.

Neuerdings wurde die Handlung Yords mit dem Saze ver herrlicht: So dachte Yord, als er sich unter dem gewaltigen Bwvange der Verhältnisse zu dem Entschluffe durchrang, das ihm anvertraute Korps, des Restes der großen Armee, zu retten und wieder unter den Oberbefehl des Königs zu stellen." Diese Säkular. verherrlichung beruht auf zwei sehr wesentlichen Irrtümern. Ein mal war das preußische Korps nicht im mindesten gefährdet. Der zweite Irrtum ist die Ansicht, daß Yord das preußische Korps wieder unter den Oberbefehl Friedrich Wilhelms III. gestellt hätte. Er hat es im Gegenteil, nach den Lehren Arndts, dem eigenen König entfremdet und dem Baren unterstellt.

Ist sonach an der rechtlichen Bedeutung der Yorckschen Tak fein Zweifel möglich, so ist sie auch moralisch keineswegs allait rühmlich. Selbst preußische Offiziere empfanden damals die Hand lungsweise als verwerflich, daß Yord seinen Borgefeßten Macdonald in demselben Augenblid berriet, als die Armee nicht durch eigene Schuld, sondern durch die Schreden der Elemente in die furchtbarste Lage geraten war, in dem jemals ein Heer sich befunden. Die einzige Betrachtungsweise, durch die man dem immerhin energischen Entschluß Yords gerecht werden kann, ist die rein politische Würdigung. Die Kunst der Politik ist, Tatsachen schaffen, und wenn diese Tatsachen die Zwede erreichen, um derentwillen sie vollzogen waren, so ernten sie gemeinhin den Ruhm der Nach­welt; nur soll man weder von Recht noch Moral reden. Das erste Schreiben, in dem Yord seinem König seinen Schritt mitteilte, schloß: Ew. Majestät lege ich willig meinen Kopf zu Füßen, wenn ich gefehlt haben sollte; ich würde mit der freudigen Beruhigung fterben, wenigstens nicht als treuer Untertan und wahrer Preuße gefehlt zu haben."

" Jezt oder nie ist der Zeitpunkt, wo Ew. Majestät sich von den übermütigen Forderungen eines Alliierten losreißen können, dessen Pläne mit Preußen in ein mit Recht Besorgnis erregendes Dunkel gehüllt waren, wenn das Glüd ihm treu geblieben wäre. Diese Ansicht hat mich geleitet. Gebe der Himmel, daß sie zum Heile des Vaterlandes führt."

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Friedrich Wilhelm III. ließ Yords Brief zu seiner eigenen Rechtfertigung Napoleon mitteilen; nur änderte er den ersten Ab­saß und strich den zweiten. Yord war so wenig bereit, dem König willig seinen Kopf zu opfern, daß er sich nicht einmal seiner von König beschlossenen Abfehung fügte. Friedrich Wilhelm III. liek öffentlich erklären durch die Spenerfche Zeitung" vom 19. Ja­nuar daß er die Konvention von Tauroggen nicht ratifiziert habe, sondern sofort Yords Abseßung verfügt habe. Er fchickte auch seinen Flügelabjutanten nach Königsberg , um die Verhaftung Yords vorzunehmen. Die Ruffen ließen ihn aber gar nicht zu Yord, und im übrigen erklärte der General troßig, daß er feine Verhaltungsbefehle durch Zeitungen entgegennehme und weiter fortfahren werde, seine Funktionen auszuüben.

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Friedrich Wilhelm III. hatte durchaus nicht etwa um Napo­ leons Zorn zu beschwichtigen, die wirkungslosen Maßnahmen gegen Yord verfügt. Der llebergang des preußischen Korps zur russischen Armee war nicht nur ohne Wissen und Willen des Königs geschehen, sondern durchkreuzte auch seine Politik, die auf Erhaltung und Be­festigung des Bündnisses mit Napoleon gerichtet war. An einen Krieg gegen Napoleon dachte weder er noch sein Staatskanzler Hardenberg, dessen Anschauung war, Napoleon würde in seiner gegenwärtigen Lage bereit sein, Preußen Konzessionen materieller Art zu machen. Wäre damals Napoleon bereit gewesen, Preußen etta Gebietserweiterungen zuzugestehen, so hätte sich Friedrich Wilhelm III. niemals von ihm abgewandt.

Der preußische König hatte keinerlei Staatsbegriffe; er faßte alle Dinge ganz persönlich privatwirtschaftlich auf. So grämte ihn auch 1807 am Frieden zu Tilsit nicht sowohl die Berstückelung des preußischen Staates, als vielmehr das Unglüd, daß nicht nur feine polnischen, sondern auch seine linfselbischen Privatdomänen in Ber­lust tamen. Damals hatte auch seine Gemahlin Luise schluchzend ihre Schmerzen dem Papier anvertraut: Saiser Napoleon nimmt die Domänen des Königs in Besib und läßt sie für sich durch Ber­jonen, die er dazu bestimmt, adminiſtrieren. Wir haben alles ber­loren. Leben tun wir noch, und dieses Leben weniger unangenehm zu machen, fann jeßt unser einziger Troft sein."

So dachte auch Friedrich Wilhelm jezt nicht an irgendwelche nationale Erhebung des Volkes, sondern nur daran, auf welche Weise man die ungünstige Lage Napoleons sugunsten des preußi