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ideen" in seine Dramen hineingegrübelt hat, ist für uns Nachgeborene ohne Belang. Für den historischen Inhalt seiner Zeit fehlte ihm das Organ. Was er hier zu geben glaubt, find underständliche Runen, die man ohne Kommentar überhaupt nicht entaiffern fann.
Auch seinen wirklich großen Dramen gegenüber kann man die Schwächen ruhig einräumen, die seine Gegner so oft unterftrichen haben. Im Hinblick auf die funkelnde Wortpracht bei Schiller , sagt Jean Paul einmal, daß Schiller die Leier mit einer von Demanten ftarrenden hand schlage. Wenn ihn das auch nicht am Epielen hindere, so hindere das Funkeln doch uns mitunter am Schauen.
In derselben Weise kann man von Hebbel sagen, daß sein grübelnder Verstand mitunter verschlungene psychologische Wege wandelt, die ihn nie hindern, das Ziel zu erreichen, wohl aber uns das Mitkommen erschweren. Auch daß seine Geschöpfe auffallend viel Verstand haben und noch im äußersten Wirbelsturm der Leidenschaft mit den Gründen der spisfindigsten Logit räfonieren, fann nicht gut beftritten werden. Er hatte in diesem Punkt mehr mit Leffing gemein, als ihm selber angenehm gewesen wäre. Selbst aber, wenn man auf diese Weise einräumt, was eingeräumt wer den muß, bleiben noch geniale Taten zurüd. Wer eins seiner herrlichen Dramen etwa Herodes und Mariamne", an sich erfahren hat; wer durchlebt hat, wie in der verfaulenden römischen Welt Gift und Dolch und Leidenschaft gegeneinander wüten und gegeneinander wüten müssen; wer gesehen hat, wie zum Schluß die Morgenröte einer neuen Zeit das blutige Chaos beleuchtet, wird auch empfunden haben, daß neben Hebbel in seinen besten Stunden bis auf Shakespeare alles andere versinkt.
Und davon läßt sich so wenig etwas abmarkten, wie man die Unendlichkeit durch das Abziehen endlicher Größen verkleinern Erich Schlaifjer.
fann.
Die menschliche Gesellschaft.
Wenn du verkörpert wärst zu einem Leibe, Mit allen deinen Sagungen und Rechten, Die das Lebendig- Freie Schamlos fnechten, Damit dem Toten diese Welt verbleibe; Die gottberflucht in höllischem Getreibe, Die Sünden felbst erzeugen, die fie ächten, ind auf das Rad den Reformator flechten, Daß er die alten Ketten nicht zerreibe:
Da dürfte dir das schlimmste deiner Glieder, Red, wie es wollte, in die Augen schauen. Du müßtest ganz gewiß vor ihm erröten!
Der Räuber braucht die Faust nur hin und wieder, Der Mörder treibt sein Wert nicht ohne Grauen, Du hast das Amt, zu rauben und zu töten.
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Das revolutionäre Fieber.
Freilich, ein Fieber das Bolts, das revolutionäre, Aber, wie seltsam, es stirbt immer der König daran!
Modernes Privilegium der Wissenschaft. Bhilosophiert, nur tut's im Kreise des Staats und der Kirche! Wirklich? Sagt doch einmal: wißt Jhr, was Ihr erlaubt? Einen Beweis, daß alles in Beiden vortrefflich bestellt ist; Aber ich dächte denn doch, diesen führet Ihr selbst!
Ich size so fest in meiner Haut, wie irgend einer; aber ich würde mich schämen, der objektiven Welt, die ich darstelle, meine Privatversöhnung als eine allgemeine aufzudringen, ich würde mich deshalb schämen, weil sie auf Resignation beruht, und ich als Individuum wohl für mich refignieren darf, nicht aber für die Menschheit mit ihren ewigen Rechten und Intereffen.
( Aus einem Brief an Ruge v. 11. Dez. 1847.) Taten? Was sind denn Taten? Kunstwerke und wissenschaftliche Entdeckungen! Der Kreislauf des Blutes, die Theorie des Lichts, der König Lear können den Engländern durch hundert Schlachten nicht verloren gehen, wohl aber die Flotte, Indien und Australien , ja Old- England selbst! Lord Palmerston wirde länger dauern, wenn er ein Komma im Shakespeare wäre, als jetzt, num er Hauptvokal im Staatsrat ist.
( Aus Rollettaneen, Gedanken und Erinnerungen.)
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Natur, du kannst mich nicht vernichten, Weil es dich selbst vernichten heißt,
Du fannst auf fein Atom verzichten, Das einmal mit im Weltall freist;
Du mußt sie alle wieder weden,
Die Wesen, die sich, groß und Klein, In deinem dunklen Schoß verstecken
Und träumen, nun nicht mehr zu sein.
Natur, ich will dich nicht beschwören: Veränd're deinen eto'gen Lauf! Ich weiß, du fannst mich nicht erhören, Nur wede mich am letzten auf! Ich will nicht in die Luft zerfließen,
Ich will, auf langen Schlaf entbrannt, Gestorben, mich im Stein verschließen, Jm härtesten, im Diamant.
Db der in einer Krone gaulle,
Ob er bei heller Kerzen Licht Auf einer Mädchenbrust fich schaufle, Ich schlafe tief, ich fühl' es nicht. Er wird bei tausend Festestänzen, Als Mittelpunkt im Strahlenglana Bielleicht, wie nie ein andrer, glänzen, Doch feiner ahnt, woher der Glanz. Erst, wenn ich mich erwachend dehne, Sag' ich dem Träger still in's Dhr, Daß einst ein Mensch zerrann zur Träne Und die zum Edelstein gefror!
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மதி
Wenn eine Revolution verunglüdt, so berunglüdt ein ganzes Jahrhundert, denn dann hat der Philifter einen Sachbeweis.
Es gibt nur eine Sünde, die gegen die ganze Menschheit mit allen ihren Geschlechtern begangen werden kann, und dies ist die Berfälschung der Geschichte.
An den Tragiker.
Bade den Menschen, Tragödie, in jener erhabenen Stunde, Wo ihn die Erde entläßt, weil er den Sternen verfällt, Wo das Gesetz, das ihn selbst erhält, nach gewaltigem Rampfe, Endlich dem höheren weicht, welches die Welten regiert! Aber ergreife den Punkt, wo beide noch streiten und hadern, Daß er dem Schmetterling gleicht, wie er der Puppe entschwebt.
Die bürgerliche Geschichtsforschung, die an Darstellung und Auf flärung der deutschen Revolution noch so vieles schuldig geblieben ist, hat sich im Laufe der letzten Jahre mehr und mehr in die Borgeschichte der Revolution vertieft. Eine Modeftrömung, die unser Bürgertum aus unseren lärmenden, leidenschafterfüllten Tagen sehn süchtig nach der idyllischen Ruhe der Biedermeierzeit des Vormara verlangen läßt, schafft sich immer breiteren Raum in der Kunst, besonders in der Literatur. Ein Neudruck alter Schilderungen oder Memoiren, in denen das gelobte Zeitalter anheimelnd" lebendig wird, folgt dem anderen. Es ist gut, daß die historische Kritik diese neue Legende vom Vormärz zerstört, während sie sich noch bildet.
Das Berlin vor der Märzrevolution, dessen Bild uns eine neue gut angelegte, alles Quellenmaterial verwertende Schilderung ver mittelt( Dora Meyer, Das öffentliche Leben in Berlin im Jahr vor der Märzrevolution. Berlin 1912), war eine ausgesprochene Stadt individualität bei allen Widersprüchen, die es in sich vereinigte. Berlin war damals in einer raschen Fortentwidelung von alten Zu ständen zu neuen hin. Es begann Großstadt zu werden, ohne die Kleinstadt in sich überwunden zu haben. Schon damals bewirkte seinen Bevölkerungszuwachs hauptsächlich die Anziehungskraft seiner stets steigenden wirtschaftlichen Bedeutung. Dieses Neuberlinertum brauchte natürlich Zeit, um zu einer gleichartigen Masse zu ver schmelzen. Aber tiefer als diese Gegenfäße taten sich schon die sozialen auf. Unterhalb des Bürgertums und des ehrsamen Handwerks sammelte sich bereits ein starkes Proletariat. Die Berliner Maschinenindustrie begann schon Ansehen zu gewinnen. Das Handwert aber litt unter der Konkurrenz fapitalfräftigerer Unter nehmungen, die z. B. im Schneidergewerbe viele Meister in Abhängigkeit brachten, das Engros- und Exportgeschäft der Berliner Konfektion fing damals an, auf Kosten des Handwerks zu gedeihen. Dafür war die Hausindustrie mit ihrer schrankenlosen Arbeitszeit und all ihrem Elend zahlreich. Aber dieses Elend war noch stumm und deshalb fast umbeachtet.
Der Revolution gingen bekanntlich schwere Not- und Hunger johre voraus. Die Getreidepreise waren ungeheuerlich gestiegen. Die Semmeln sind so flein," schrieb ein Satiriler damals, daß fie einer Müde in die Augen fliegen fönnen." Die Kartoffel, das Brot der Aermsten, war ganz mißraten. Der Preis für die Meße wurde von wucherischen Händlern zeitweilig bis zu der damals unerschwinglichen Summe von einem Silbergroschen in die Höhe getrieben. Es war kein Wunder, daß es schließlich zu offenen Aus brüchen der Verzweiflung fam.
Während das Bolt so Not litt, erwartete es von Stadt und Gemeinde vergeblich Abhilfe. Nur mit fleinen Palliativmittelchen wurde an seinen Gebresten herumturiert. Was fonnten hier die Gaben bürgerlicher Suppenvereine helfen oder die 6000 Brot