Nnterhaltungsblatt des'VorwärtsNr 61.Sonnabend den 29. März1913Das gelobte Land»Eine Erzählung aus dem Bornholmer Nordlandvon Martin Andersen Nexö.Der Steinhauer erwachte erschrocken bei dieser direktenFrage.„Das wird Wohl nicht möglich sein für mich," sagteer,„für mich Krüppel. Wär's in meinen jungen Tagen ge-Wesen..., da Hab ich oft gewünscht, übers Meer zu fahren."Die Augen erzählten, daß er Wohl Lust hatte.„Ich kann mirja nicht selber helfen!"„Dann geben wir Ihnen jemanden mit," sagte der Arzt,i,und nun bloß keine Dummheit."Die Frau kam herbeigestürzt.„Worein will man Dichhineinlocken?" rief sie und stellte sich schützend vor ihm. IhreAugen wanderten herausfordernd von dem Arzt zumSchulzen.„Wir wollen Ihren Mann dazu verlocken, nach derHauptstadt zu reisen," sagte der Arzt lachend.„Und amliebsten sähen wir ja, wenn seine zuverlässige liebe Frau ihnbegleiten würde— dann wäre er in guten Händen."Die Frau sah unschlüssig vom einen zum andern.„Ichwürde ihn schon gut hinüberbringen— da ist nichts im Wege;es sollte ihm nichts passieren! Aber es ist doch wohl allesGeschwätz— ebenso wie das mit der Entschädigung?"„Nein, die sollen wir ja eben von drüben holen," wandteHans ein.Der Arzt nickte:„Ja. hoffentlich habt Ihr Glück! Aberdas beste ist, Ihr wartet noch eine oder zwei Wochen, dannhat der Hans mehr Kräfte."„Ach, ich kann auf der Stelle reisen, wenn's sein muß,"meinte Hans und stand ohne Hilfe auf. Das eine Beinbildete einen Bogen und schmerzte, wenn er sich darauf stützte.Der Doktor musterte das Beiii.„Wartet lieber doch dievierzehn Tage, dann könnt Ihr auch erst Eure Sachen einbißchen in Ordnung bringen. Anders Olsen wird für Euchauslegen: die Verwaltung bezahlt auf alle Fälle Eure Aus-gaben, wie es auch mit der Entschädigung kommen mag."Die Frau schlug die Hände zusammen:„Dann bekommich also auch ein neues Kleid! Das ist nicht passiert, seitdemich ein junges Mädchen war und mich auf die Hochzeit vor-bereitete. Zwanzig Jahre ist das jetzt her."„Na, seht Ihr mich nun mit milderen Augen an," sagteder Arzt und gab die Hand zum Lebewohl.„Ich Hab ja bloß gemeint, die Doktors wären Leute, diedavon lebten, andre totzumachen," sagte sie geradeheraus.„Du hast einen so losen Mund, Marie," mahnte der alteOle vorwurfsvoll, als die beiden Männer fortgegangenwaren.Aber Marie- lachte bloß und warf ihren Körper hin undher, sie war ganz übermütig.„Wir lassen uns in der Stadtphotographieren," sagte sie.„ganz bestimmt tun wir das."„Wenn Ihr Glück habt, könnt Ihr den König zu sehenbekommen," meinte der Großvater.Nur Hans Kämpe schwieg. Das Viele nahm ihm immerdie Worte weg.7.Wie ein schönes Lächeln ging der Frühsommer über diebarschen Züge des Nordlands hin. Die wilden Apfelbäumeund die von den Vögeln gesäten Kirschen ließen der Reihenach ihren Blütenregen auf die Felsen herabrieseln. Wiehelles Gestöber aus tiefblauem Himmel trieben die fallendenBlüten durch die Klüfte, und das Heidekraut wurde einwenig lichter in seinem Ernst und begann, langsam wieder zuduften. In seinem dichten Pelz gärte die Sonnenwärme undbrütete allerlei Gewürm aus, Igel und Kreuzottern— undunsichtbare Wesen, die Betäubung ausdünsteten. Es war ge-fährlich, im Heidekraut zu schlafen, mehr als einem warenseine Fähigkeiten gestohlen und andere dafür gegebenworden, die ihn ungeeignet machten, unter den Menschen zuleben. Der verrückte John hatte hier seine Seele eingebüßt.Jeden Sommer um diese Zeit zog seine Frau ihn in dieHeide und saß bei ihm, während er von der heißen Aussftah-lung in Schlaf gelullt wurde. Aber noch war kein Tier inseinen offenstehenden Mund geschlüpft, und doch war das es,was ihm fehlte: denn der verrückte John ging immer mitoffnem Munde. Seine Seele befand sich wohl besser imFreien; aber die Frau fuhr fort zu hoffen.Wenn die beiden Kinder sich wieder nach den Klippensehnten und auf den„Knägt" hinauf wollten, um das Meerzu sehen, dann begleitete Großvater sie immer.„Warumsollen wir Dich bei uns haben?" sagten sie. Es war ja viellustiger, auf eigene Faust umherzuspringen, als den blindenGroßvater zu führen.„Um Euch zu behüten," erwiderte der Alte.„Willst Du uns etwa führen?" riefen sie neckend undklatschten in die Hände.„Man kann seine Augen nicht überall haben," antworteteder alte Ole ruhig.„Ihr achtet auf die offenbaren Steineund ich auf die versteckten Schäden."Wenn sie aber erst oben auf dem„Knägt" saßen und dasMeer auf beiden Seiten lag und sie weit in der FerneSchweden und Christiansö erblickten, dann war es schön.Großvater bei sich zu haben.. Er sah die Welt noch einmalmit den Augen der Kinder und erklärte ihnen alles: wo dieWelt entstanden sei, und woher der liebe Gott zu essen be-kommen habe..., das Ganze!„Wieviel Du weißt, Großvater!" sagten sie.„Aberwarum geht das Meer weit dahinten zum Hinimel hinauf?"„Das ist so, damit die Schiffe leicht hier herunter, ansLand gleiten können! Wenn die Seeleute nach Hause fahren,sehnen sie sich immer."„Und wo ist denn die Sonne des Nachts?"Großvater zupfte sich am Barte.„Das ist nicht so leichtzu beantworten," sagte er vorsichtig,„denn die Sonne bringtja das Ganze hervor! Aber sie muß die Nacht anwendendürfen, wie sie Lust hat, wenn üe bloß die Zeit einhält."„Woher hast Du nur all Dein Wissen, Großvater?"„Ich begreife es selber nicht," sagte der Alte erstaunt,„denn lesen habe ich nicht gelernt und in der Schule bin ichnicht gewesen. Aber mein Großvater war noch klüger: derwußte so viel, daß die Leute ihn Lügenstock nannten. DessenGroßvater wieder stammte vom Ackerland: aber die andernMenschen versahen sich an ihm, wie die Hunde einer Stadtsich an einem einzelnen Hund versehen können, ohne daß eretwas getan hat. Dann wird er überall, wo er sich sehenläßt, verjagt und muß wieder nach dem Walde und ein Fuchswerden. Dieser Mann ist also hierher in die Felsen geflohenund in den dunklen Nächten stieg er hinunter und nahm denBauern weg, was er brauchte..., den Fuchs von Blaaholtnannten ihn die Leute. Auf d i e Art kam der Fluch in unserGeschlecht— und der Frondienst folgte. Aber jetzt ist dasgleichgültig, denn Euer Vater hat den Kampf mit den Mäch-ten aufgenommen, und er hat uns alle erlöst."*„Wir wollen viel lieber hier wohnen bleiben," erklärtendie Kinder und starrten auf die Reste der kleinen Hütte ander Felswand hinab— die Bauhnlze: und das Beste vom Dachehatte der Vater mit hinuntergenommen, um einen Kuhstallzu bauen. Aber da wurde der Großvater ärgerlich über soschwarzen Undank, und auf dem Rückweg herrschte Verstim-mung zwischen ihm und den Kindern.Unten auf dem Ackerland ging Hans Kämpe und wußtenicht, was er von sich selber denken sollte. Er hatte NielsMöllers Grundstück für die 2V� Tausend Taler gekauft, dieer als Entschädigung erhielt, und wälzte nun die Erde umwie ein Maulwurf, vom Aufgang bis zum Untergang derSonne, schob sich vorwärts in langen Gräben, füllte Steineauf den Grund und deckte hinter sich zu. Er war nicht gutzu Fuß: wenn er sich über das flache FeÄ schleppte, auf einGerät gestützt, glich er einer Hünengestalt, die im Racheneines Ungeheuers zur Unförmigkeit gekaut und dann wiederausgespien worden war. Nichts bei ihm saß, wie es sitzensollte, und er pflegte selber zu sagen, der Doktor habe ihnwohl, während er bewußtlos gewesen sei. auseinander-genommen und verkehrt wieder zusammenszesetzt— genau soso wie Janus Köller, als er sie Uhr reinmachen wollte.Möchte wissen, ob der Doktor auch etwas übrigbehaltenhat," setzte er meistens hinzu, und dann wurde nicht schlechtgelacht. Denn Janus Köller behielt immer ein Rad zuviel,so oft er die Uhr auseinander nahm.