Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 63.

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Mittwoch, den 2. April.

Die Bauern von Steig.

1913

er mir das Butterbrot aus der Hand und warf es zum Fenster hinaus auf die Hofreite. Mir gab er einen Buff, daß ich unter den Küchentisch flog, wobei ich mich unflugerweise am Roman von Alfred Huggenberger . Milchkübel festhalten wollte. Mir war's jämmerlich zu Mut, Also ein Oberdörfler bin ich. Und zwar einer, der eine als ich jetzt die blaue Kälbermilch in fleinen Bächlein immer Idee hat. Es gibt im Oberdorf gern solche Leute, die eine weiter über den Lehmboden hinschleichen und in den Ver­dee baben. Wie zum Beispiel der Schuhmacher Napf, der tiefungen schmutzige Lümpel bilden sah. Ich wußte schon, daß drei Ziegen sein eigen nennt, und der auf seiner magern Holz- die Base es nicht wagen durfte, mich zu beschützen, deshalb wieje jedes Jahr Versuche mit acht bis zehn Arten der wun- berkroch ich mich so gut es ging unter den Tisch und schaute wiese jedes Jahr Versuche mit acht bis zehn Arten der wun- mit zitterndem Herzen zu, wie sie mit dem Haderlumpen die derlichsten Düngmittel macht. Er sagt, er bereite auf dem Gebiete der Landwirtschaft als ein Bahnbrecher große Um- Milchpfüßen auftrodnete. wälzungen vor. Nur der Mangel an Vermögen hindere ihn, Die gefürchteten Schläge blieben zu meiner Verwunderung aus. Der Götti nahm den leeren Milchkübel und ging. diese schneller ins Werk zu setzen. Er redet gern davon, sei es auf der Straße oder im Wirtshaus beim Glase Wein, und Unter der Türe sagte er noch mit verbissener Schadenfreude: wenn er einen aufmerksamen Zuhörer findet, ist er glücklich.hr könnt dann am Morgen den Kaffee schwarz trinken, Man kann dann immer wieder von neuen Blänen erfahren, zu denen er sich mit den Worten Mut zuspricht: Wenn ich's nicht herausbringe, bringt's feiner heraus."

Was nun meine Idee betrifft, die freilich mit den Jahren ein anderes Gesicht angenommen hat, mache ich für alles meinen ersten Pflegevater verantwortlich; den Schneider Wui", der sechzehn Modelle besaß und der aus mir, feinem Kostbuben, einen Maler machen wollte.

Gnadenbrot.

Meine Mutter, von Merger und Mühsal krank und nieder­gebeugt, hatte in ihrer legten Zeit bei ihrer Schwester auf dem Wäldihofe Zuflucht nehmen müssen. Wir hätten zwar für die Not von der Armenpflege eine Wohnung bekomunen fönnen. Die Gemeinde hatte nämlich seinerzeit im Oberdorf um billigen Preis drei ganz ineinander verbissene Nester ge­fauft, in welchen sie unterstützungsbedürftige Leute ohne Hauszins wohnen ließ. Der Anstoß hiezu war von Armen­pfleger Stockers Bater ausgegangen; ich habe den Pfleger später oft prablen hören, daß die Armensteuer durch seinen Alten um einen Drittel niedriger geworden sei. Denn wenn auswärtswohnende Gemeindeangehörige um Unterstüßung einfamen, stellte man ihnen solche zwar in Aussicht, jedoch mit der Bedingung, daß sie im Armenhaus Wohnung be­zögen. Verdienst wolle man ihnen zur Genüge zuhalten, Daraufhin ließen die meisten nichts mehr von sich hören. Nur solche, die sich gar nimmer anders helfen fonnten, die ganz Ausgeschämten, wie man auf der Steig sagte, machten von der Begünstigung Gebrauch. So stand dieses Armenasyl, das im Munde der Dorfbewohner zutreffend die Burdi" ( spr. Buurdi, Dialektausdruck für Bürde, Laft) hieß, dennoch

nie ganz leer.

Aber ich erinnere mich, daß meine Mutter dem Pfleger, als er mit seinem Anfinnen kam, den Bescheid gab, eher mache sie etwas anderes, als sie mit mir in die Burdi zöge. Und sie fonnte doch wohl wissen, daß auf dem Wäldi auch nicht viel Gutes auf uns wartete.

Die beiden Höfe, das große" und das kleine" Wäldi liegen in einer schönen Waldlichtung oberhalb des Bürger­waldes, fast eine halbe Stunde vom Dorf entfernt. Der Bauer im großen Wäldi war mein Taufpathe, aber ich für tete ihn wie ein Schwert, er war immer verdrießlich und ge­hässig gegen mich. Ich wußte, daß er mir und der Mutter jeden Bissen scharf mißgönnte.

Einmal hatte mir die Base Stäther, meiner Mutter Echavester, heimlich in der Küche ein Butterbrot gestrichen. Sie sagte: B es schnell! IB es schnell, bevor der Götti tommt!"

"

Ich bin tapfer hinein, da ging hinter mir die Türe auf, der Bauer kam herein; er wollte die abgerahmte Kälbermilch holen, die in einem Stübel neben dem Küchentisch bereit stand. Ich versuchte zwar, mein Brot zu versteden, aber er hatte es gleich gesehen. Er warf seiner Frau einen bösen Blick zu, vor dem sie wie vor einem Schlage auswich. Sie war als die Magd auf den Wäldihof gekommen und hat es nie dazu gebracht, dort eine andere Nelle zu spielen.

Das hat man," polterie der Götti heraus, wenn man derlei Lumpenpad ins Haus nimmt! Die sollen uns aber nicht arm fressen, die, das will ich jest gesagt haben!" Dann riß

Milch gibt's heute keine mehr. Die Kälber müssen eineweg ( auf jeden Fall) ihr Ordinäri haben! Und mit dem Bad, das will ich jetzt jagen: Die haben ausgefressen im Wäldi !" Ich betete in jener Nacht, als ich neben dem Sohn des Hauses, dem etwas älteren halb blödsinnigen Kari, in dem großen Himmelbett in der Windenkammer lag, inbrünstig zu Gott, daß er meine Mutter bald gesund machen möge; wenig­itens bis im Frühling, bis das Rebwerk beginne. Denn die Mutter hatte viel Rebarbeit übernommen, und sie sagte, ich dürfe dann immer bei ihr in den Reben sein und wir werden es schön haben miteinander...

Am folgenden Morgen, als ich die Kammerstiege her­unterkam, stand die Base Käther unter der Küchentüre. Sie jab berstört und übernächtig aus; wie sie mich anjah, bedeckte sie das Gesicht mit den Händen und fing heftig an zu weinen und zu schluchzen.

Augenblicklich fam eine schwere Ahnung über mich. Ich wollte gleich nach der Kammer der Mutter hinüber.

Aber die Base hielt mich zurück. Bleib nur da und fei gar nicht traurig. Hest( gleichbedeutend mit Siehst du", jedoch mit tröstender Nebenbedeutung) es ist ihr wohl ge­schehen. Was hätte sie auf der Welt noch haben fönnen? Und wegen Deiner da bin ja ich immer noch da."

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Mit

Ihr Reden half nichts, so gut es gemeint war. plößlicher Bestimmtheit fam mir mein ganzes Elend zum Bewußtsein, so klar und deutlich, daß sich mir das Herz zu­sammenkrampfte. Ich schlich leise wieder in die Kammer hinauf und legte mich mit den Kleidern ins Bett. Allmählig löste sich die Spannung in meiner Seele, ich konnte weinen, immer lauter und heftiger.

nicht so, Lällt, jaudummer!" Mit diesem Kosewort pflegte ihn der Götti, fein Vater stets anzureden.

Stari stieß mich an und näjélte ärgerlich: Brüll doch

Bald darauf stand die Base Käther neben dem Bett. Ich heulte noch lauter, als ich sie anjah. Als sie mir aber mit ihrer harten Hand über die Wangen fuhr und bittend jagte: Bis( jei) jeßt still, gäll!" Da wurde ich sogleich ruhi­ger, es war mir, als sei es ziemlich lange her, seit die Mutter gestorben.

Ich ging mit der Base in die Küche herab. Es lag ein großes Stüd didgestrichenen Butterbrotes mit einer Schicht Bienenhonig darüber auf dem Herd. Ist das nicht etwas Gute?" fagte sie. Sie konnte sehr lieb sein mit allen, wenn der Götti nicht da war. Mit der Kaze, mit dem Fido; und besonders mit dem Kari, den sein Vater beharrlich haßte und vor den Leuten berbarg. Sobald jedoch der Mann in der Nähe war, tat sie ganz mägdisch.

.Geh, sit jetzt auf's Defeli und! Ganz fröhlich kannst Du's essen, der Götti ist in's Dorf hinab zum Pfarrer."

Da ging ich in die Stube, sette mich, wie sie mich ge­heißen, auf das warme Kunstbänklein und nachdenklich mein Honigbrot. Ich sah, wie draußen Schneeflocken nieder­wirbelben, und es fiel mir ein, daß vielleicht das Butterbrot von gestern noch hinter dem Haus auf dem Hofe liege und mun ganz und gar zugedeckt würde. Dann dachte ich darüber nach, ob es wohl jetzt im Himmel auch schneie und ob meine Mutter num ihr schönes braunes Haar auch aufgelöst tragen müsse, wie die andern Engel, die ich in einem Bilderbüchlein gesehen. Ich konnte mir das gar nicht recht vorstellen. Und