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auch später, so oft ich an sie dachte und von ihr träumte, I noch fah, war ein erstürmter explodierender fleiner Dampfer, der immer trug fie die Böpfe aufgebunden und hatte ein graues in einer meterhohen Feuergarbe, in einem ungeheuern Strudel weißgetüpfeltes Kleid an wie an jenem Herbstabend, als sie von Gischt und Schaum die ganze Gesellschaft zu verschlingen schien. Um Gotteswillen!" wird hier der entsetzte Leser ausrufen. mich an der Hand durch den Bürgerwald hinauf nach dem Was war denn das? Warum hat diese ergreifende Liebestragödie Wäldi geführt. nicht in der Zeitung geftanden? Wie war es weiter gegangen? Hat man den armen Maler ertränkt, erschossen, mit der Bratpfanne erschlagen, mit dem Schußmannssäbel halbiert oder sonst auf irgendeine interessante Weise gelyncht? Und was gab es sonst für Tote?"

Sie hätte doch nicht sterben sollen, schon wegen der herr­lichen Rebtage im Frühling! Und alles hatte sie so schön ausgedacht! In die kleine Wohnung zwischen Mettlers und dem Schuhmacher Napf wären wir gezogen nach Ostern. Und ich hätte meiner Mutter gewiß bald viel helfen können.. Hierauf spann ich mit großer Sorge den Gedanken aus: wenn die Mutter auch gar nicht in den Himmel fommen würde? Denn sie hatte oft über den Armenpfleger Stocker fehr böse Worte geredet. Er habe den Vater in den Boden hineingebracht und uns das Heimeli( Heinvesen) abgestohlen. Immer behauptete sie, wir hätten uns mit der Zeit schon aus den Schulden herausgebracht, wenn dieser Schlufi uns nicht in der bösesten Zeit mit dem Rechtstrieb bedrängt hätte und zu den Bankherren gelaufen wäre. Einmal hatte sie dem Stocker von der hinteren Treppe aus nachgerufen, er sei ein fchlechter Hund, wenn es einen Herrgott gäbe, so könnte ihn der nicht mit gesunden Gliedern herumlaufen laffen. Bu mir fagte fie zwar nachher, sie habe das nur in der Täubi" ge­rufen; es gäbe schon einen Herrgott. Aber für so etwas fönne er sie nicht strafen.

Ich grübelte hin und her, wie ich wohl Gewißheit dar­über bekommen könnte, ob meine Mutter in den Himmel ge­kommen sei, oder nicht. Im letzteren Falle wollte ich kein einziges Mal mehr nachts beten, wollte dann überhaupt mit dem Liebgott keine Freundschaft mehr haben. Denn für mich gab es keine Frage: wenn irgend ein Mensch es verdient hatte, im Himmelsgarten spazieren zu dürfen, so war das meine Mutter.

Das letzte Erlebnis auf dem Wäldi , an das ich mich er­innere, war, daß an einem flaren falten Wintertag viele Leute auf dem freien Platz vor dem Hause standen, alle schvara ge­fleidet und mit sehr ernsthaften Gesichtern. Der Götti stand vor dem Spiegel und schabte fich den Bart, wobei er beständig über das schlechte Messer schimpfte.

Da klopfte es, der Armenpfleger Stocker fam herein. Der Götti gab ihm nur einen schiefen Blick über die Achsel hinweg und fuhr dann mit Rasieren fort, ohne sich um den Gast im geringsten zu fümmern. Nachher wusch er sich den Seifen­schaum vom Gesicht und zog sich mit Umständlichkeit die Halsbinde an.

( Fortsehung folgt.)

Gabriel Schillings flucht.

Ein Kunstfilm; Länge 914 Meter. Von Wilhelm Cremer .

Wer vor einigen Tagen des Morgens in aller Frühe am Landwehrkanal vorbeikam, der konnte dort eine hochdramatische Szene beobachten. Ein junger Mann, dem man schon von weitem an der Samtjoppe, den wallenden Locken und der farbenbefferten Palette, die er in der Hand hielt, den Kunstmaler ansah, wurde von zwei Damen verfolgt, die in großer Aufregung waren und wilde Mordrufe ausstießen. Die eine schwang wie ein Indianer­häuptling in der hocherhobenen Rechten eine Bratpfanne, die andere fuchtelte in dirett lebensgefährlicher Weise mit einer Browning­pistole in der Luft herum. Vergebens suchte der unglüdliche junge Mann in seiner Angst verschiedene Bäume zu erklettern, auf bor­beirasende Autos zu springen, durch Umwerfen von Obstständen, Passanten, Handwagen und Schußleuten Hindernisse zwischen sich und seinen Verfolgerinnen aufzutürmen immer näher und näher rückten ihm die Unbarmherzigen auf den Leib. Da ein Verzweiflungsschrei, ein kühner Schwung über das ciferne Ge­länder, und schon schlugen die hochgehenden Wogen des wilden Landwehrkanals über ihm zusammen.

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Alles war erstarrt, aber nur einen Moment. Denn schon folgten ihm in mutigen Kopfsprüngen die beiden Damen, die Obst­händler, Passanten, Handwagenbesizer und Schußleute. Nie in seinem Leben hat der Landwehrkanal eine solche wilde Jagd, ein folches verzweifeltes Wettschwimmen gesehen. Es ging über alle Hindernisse hinweg, über Teer- und Mörtelschiffe, deren Inhalt jeden der Teilnehmer in eine teigartige Figur verwandelte, über Apfelkähne, die dabei den größten Teil ihrer hoch aufgetürmten Schäße verloren, über die zufällig dort verankert liegende schwim­mende Schiffertirche, deren höchst entsetzter und vollständig um­geworfener Pastor in Bäffchen und Talar vergebens zum Frieden mahnte. Und das lehte, was man schließlich von der wilden Jagd

Leider erlebt hier der mit Recht gespannte Leser eine schwere Enttäuschung. Nämlich, nichts dergleichen ist geschehen, auch nicht die fleinste Leiche schwamm in dem hierfür sonst ja bekannten und biel befungenen Landwehrkanal, und Maler, Schauspielerinnen, Obsthändler, Passanten, Schußleute, Mörtel- und Teerschiffer, ja selbst der Bastor saßen zehn Minuten später einträchtig in dem Hinterzimmer eines in der Nähe gelegenen Cafés und wärmten, trodneten, restaurierten fich. Vorn im Lokal aber hatte sich eine illustre Gesellschaft versammelt: Herr Gerhart Hauptmann als Dichter, Professor May Reinhardt als Regisseur, Richard Strauß , der fich fortwährend Einfälle für die begleitende Musik notierte, Oberregierungsrat v. Glasenapp, der sich sichtlich bemühte, in seinem Aeußern und Benehmen seinen Londoner Kollegen zu fopieren, die Herren Sudermann, Wedekind, Eulenberg, Dehmel als Vertreter des Verbandes deutscher Kinodichter, Josef Lauff, und vor allem der große Filmunternehmer Franz Xaver Brüden­geländer, der als Fachmann das große Wort führte.

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" Ich sage Ihnen, Herr Hauptmann, laffen Sie mir man machen! Gabriel Schillings Flucht" wird ein Schlager werden, wie wir ihn in der Branche noch nicht erlebt haben. Was war Jhr Stück früher? Na, ich will Sie nicht kränken, mir sind schon noch langweiligere Sachen vorgelegt worden. Zwar der Titel ist gut. Eine Flucht zieht immer. Je mehr Flucht, desto besser. Wir werden da noch Berschiedenes hineinbringen. Morgen probieren wir am Wannsee­ufer mit einer Indianer- und Buffalo- Bill- Truppe.

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Aber lieber Herr Brüdengeländer," warf hier Gerhart Haupt­ mann schüchtern ein," Indianer können wir doch unmöglich Herr Brückengeländer sah sich mit der Miene eines Mannes um, der es mit einem unvernünftigen Kinde zu tun hat. Haben Sie schon mal meinen Chingangoof, der Schrecken der Wälder" gesehen? Ein Kaffen­grandios kolorierten Indianerfilm magnet sage ich Ihnen, ein Film von über 600 Meter mit Wildwest und Far East. Herr, glauben Sie, mit Ihrem öden Gequaßle am Meeresstrande würden wir eine Kaze ins Theater locken? Sehen Sie Herrn Reinhardt an, der hat sofort begriffen, daß wir die ganze Karre gründlich umtrempeln müffen."

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wohl, aber die Hauptfache bleibt doch meine große Zirkusszene. Hier erhob fich Professor Reinhardt sehr geschmeichelt: JA­Benn Gabriel Schilling als Trapezkünstler bei dem Todesabschwung verunglückt, weil seine Frau Eveline aus Eifersucht das Seil durch­geschnitten hat, mein Freund Vollmöller wird da noch eine Episode aus Aeschylos hineinarbeiten ich sage Ihnen, damit erobern wir die ganze Berliner Kritif. Und dann erst Hanna Elias, die Vampyrtänzerin auf ungesatteltem Roß, wie sie sich vor Schmerz die Kleider vom Leibe reißt."

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Um Gotteswillen!" unterbrach ihn hier Herr v. Glasenapp, und lüftete nervös seinen englisch forrekten Zylinder. Nur keine Entkleidungsszenen! Der Lord Chamberlain in London

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Recht haben Sie!" sagte Herr Brückengeländer, der sich schon allzu lange unterbrochen fühlte. Nur keine Nuditäten. Ich habe mit den hochmoralischsten Films, bei denen die Sittenpolizei ein­schlief, die besten Geschäfte gemacht. Nein, gerade bei der Zirkus­fache müssen wir mehr das Komische herausarbeiten. Kennen Sie " Kiekebusch auf dem Witwenball"? Hochanständig, fage ich, und eine Wurfbombe von Humor. Oder Naude als Opfer des Bor­deauxweins"? So was zieht, so was bringt Kasse. Lachfalven brauchen wir, volle Häuser, denn die Kunst, meine Herren, geht nach Tausendmarkscheinen.

Der arme Hauptmann hatte währenddessen wie betäubt auf seinem Stuhl gefeffen. Aber die Dichtung die Stimmung stammelte er höchst verwirrt.

" Da haben wir's!" sagte Herr Brüdengeländer, der mun wirf­Tich am Ende seiner Geduld angekommen war. Dichtung? Stimmung? Herr, seit vierzehn Tagen arbeite ich nun daran, aus Ihrer harmlofen Sache ein Sensationsstüd au machen, einen Standardfilm, einen Kaffenmagnet. Die verwegensten Sportkniffe habe ich hineingebracht, und da kommen Sie und reden von Dich­tung und Stimmung. Aber mit solchen Leuten muß sich eine Film­tünstlernatur, wie ich es bin, abgeben. Kommen Sie, Reinhardt! Es ist Zeit, nach dem Wedding zu fahren; wir müssen noch die große Kaschemmenszene furbeln."

Und alles stieg in die bereitstehenden Autos: die inzwischen getrockneten Mitglieder der Wasserpartie wie die Vertreter der deutschen Kinodichter, Herr Brüdengeländer und Herr Reinhardt, Herr von Glasenapp und sogar der Hohenzollerndichter Josef Lauff. Aber während nun im Norden von Berlin unter der unübertreff­lichen Leitung des Herrn Brückengeländer die Raschemme zum blutigen Messer" eine großartige Erstürmung durch mordluftige Apachen erlebte, während Frauen und Kinder, Schuhleute und Ver­brecher erschossen, gevierteilt, in die Luft gesprengt wurden, und Gabriel Schilling feine Flucht über Häuser und Höfe und Felder