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Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 64.
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Donnerstag, den 3. April.
Die Bauern von Steig.
Noman von Alfred Huggenberger . Der Stocker wartete gelassen. Plöglich drehte sich der Götti scharf nach ihm um und sagte böse und grob:" Biel hast Du in dieser Stube allweg nicht verloren. Mit dem, was Du meinst, ist es ein für allemal nichts."
Der Andere ließ sich indes nicht einschüchtern. Hm, man darf doch mit den Leuten reden, man redet ja mit dem Vieh auch. Und eine besondere Ehre ist es eineweg nicht, wenn vermögliche Verwandte nicht einmal im Stande find, so einen Bürzel am Leben zu erhalten."
Der Götti öffnete ohne weiteres die Türe.„ Da! Da hat der Zimmermann das Loch gemacht!" Aber statt der höflichen Einladung Folge zu geben, überschüttete ihn jezt der Armenpfleger mit einer Blütenleje von Schimpfworten, von denen Geizhund" und ausgeschämter Trottel" noch die anständigsten waren. Die ich nicht weiß, sollen auch noch gelten!" ergänzte er die Reihenfolge seiner Rojenamen. Der Götti seinerseits blieb ihm nichts schuldig, einer suchte den anderen zu überschreien, und ich fand es für gut, mich zur Baje Räther in die Küche hinaus zu flüchten.
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Der Schneider Wui.
Wie ich nachher aus dem Wäldi weg und in das Haus des Schneiders Enz gekommen bin, darauf weiß ich mich sonderbarerweise nicht mehr zu befinnen. Ich erinnere mich mur, daß mein Pflegebater in der ersten Zeit, und auch nachher, da ich schon zur Schule mußte, hin und wieder an einem schönen Sonntag mit mir durch den Wald hinauf zur Base Räther ging, worauf ich mich jedesmal zum Voraus freute. Und zwar nicht allein deshalb, weil die Baje jeweils dem Schneider hinterrücks für mich alle Taschen voll dürre Zwetschgen und Apfelschniße zusteckte. Dieser Zuschuß zu der nicht gerade schmalen, aber sehr einseitigen Kost daheim war mir freilich hochwillkommen; doch es war noch etwas anderes, das mich ins Wäldi hinauf 30g: manchmal, wenn der Götti nicht gleich in der Nähe war, nahm mich die Base an der Hand und führte mich in die Nebenkammer; dort sekte sie sich auf einen Stuhl, zog mich ganz nahe zu sich heran und sah mir lachend in die Augen. Sie wurde dann plöglich ganz anders, als fie sonst war, biel beherzter und freudiger. Sie füßte und liebfoste mich, streichelte mir die Wangen und das Haar. Sie staunte, wie ich gewachsen sei und wie ich ganz ihres seligen Waters, meines Großvaters Augen habe.
Ginmal jagte fie:„ Wenn ich Dich nur behalten dürfte." Dabei lächelte fie und die Tränen rannen ihr über die Wangen. In der gleichen halben Stunde begleitete der Götti mich und den Schneider Enz vor die Haustüre. Er rief uns unverfroren nach:„ Sodas will ich Euch denn gesagt haben, Schneider: wenn ich den Bürzel die halbe Zeit füttern muß, so will ich in Zukunft auch das halbe Softgeld einziehen beim Pfleger. So schlau sind wir denn auch. Verstanden?"
Damit war es mit meinen Festtagen auf dem Wäldi für immer vorbei.„ Am Charakter muß mich der nicht angreifen," jagte mein Pflegevater. So ein Geizhund, so ein Hofnarr, der nie von der Stalltüre weggefommen ist! Mit dem find wir hübsch fertig. Wui!"
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1918
Modelle müßte mein berufliches Uebergewicht bald in Frage fommen", betonte er bei jeder Gelegenheit. So gut wie ein Maler oder Bildhauer seine Modelle haben muß! Wui!"
Er behauptete, daß er in seiner Kleidersammlung gewissermaßen die Entwicklung der Menschheit verkörpert sehe. und aus seinen Modellen könne er große Anregung schöpfen, an ihnen fönne er sich gewissermaßen innerlich bereichern. Modejournale seien ein Dred dagegen.
Von Zeit zu Zeit nahm er jedes einzelne Stück heraus, hing alles an den Wänden auf, besichtigte und musterte mit ernstem Antlig und nichte oft leise: Wui!" Dann ging er mit verschränkten Armen eine Weile auf und ab, als wäre er in auserlesener Gesellschaft. An solchen Tagen war Enz schweigsam und verschlossen.
Seinen Modellfasten hatte er mit einem Absud von grünen Nußschalen wunderlich bemalt. Das schwere alte Schloß, das leider nicht mehr einhafte, hütete aber die Schätze nicht genügend, zur Vorsicht war das Kammerfenster inwendig mit einigen quer darüber genagelten Battenstücken gesperrt, was freilich eine Lüftung des Raumes fast unmöglich machte, indem hierfür nur noch die Türe in Betracht kam.
Diese Türe war vollständig diebessicher, wie Enz sagte. Jedoch hatte seine Frau die üble Gewohnheit, den Schlüssel hin und wieder steden zu lassen, statt ihn pflichtgemäß unterm Laubsack in der Stubenkammer zu verbergen. Das beschwor manchen schweren Kampf zwischen den Ehegatten herauf; denn so gutmütig Enz sonst war, bezüglich dieses Schlüssels gab es keine Entschuldigung.
,, Weib! Person! Nike! Du willst mich ruinieren!" schrie er, wenn er heimkam und vom Hausgang aus den Schlüssel droben stecken sah. Er nannte sie sonst immer„ Scholiette", nur im höchsten Zorn fonnte er sich soweit vergessen, Rife zu sagen.
Manchmal bersuchte fie, ihn zu beschwichtigen, aber da kam sie bös an.
Wenn ich die Modelle verliere, ist's Feierabend. Mit diesen allein bin ich dem Pfuscher, dem Herrenschneider über! Und allen Konkurrenten! Schon wegen der Anregung! und sie lauern darauf! Ich weiß alles: fic lauern darauf!" Einmal wagte Frau Scholiette zu lächeln.„ Wegen dem Gelump so eine Komedi zu machen!"
Da packte er sie an der Schulter und sab sie mit einem fürchterlichen Blick an, konnte aber nichts herausbringen als: Person! Person!!"
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Dann rannte er die Stiege hinauf und in die Kammer, um sich zu überzeugen, daß alles unversehrt sei. Nachher Schloß er die Türe ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Noch oben stehend, redete er mit eindringlicher Gebärde auf die Frau ein:
Versprich mir, das nicht mehr zu tun! Bersprich mir's!" Sie gab feine Antwort, sondern ging unwillig in die Süche hinein. Da polterete er herab und lief ihr nach.
Scholiette", sagte er bittend, fast weinerlich, wenn mir die Modelle wegkommen, gibt's ein Unglück!"
Darauf lief er fort und fam erst am folgenden Mittag heim. Er brachte ein kleines Holztäfelchen mit, auf welches mit schwarzen Buchstaben die Worte: Bur Wacht" hingemalt waren. Das nagelte er über der Haustüre fest. Ja, auf der Wacht will ich sein! Wui!" brummelte er dabei. Er war etwas betrunken.
Der Schneider Enz wohnte zwar im Unterdorf, sein wind- Von diesem Tage an hing auch eine alte Reiterpistole schiefes Häuschen steht noch heute wie ein Hilferuf mitten über dem zweischläfrigen Bett in der Stubenkammer.„ Nühr unter behäbigen Bauernhöfen. Aber als geborener Ober- mir die nicht an!" warnte er mich oft, wenn ich verstohlen dörfler mußte er natürlich seine Idee haben, und dieje be- nach der schönen Waffe hinüberschielte. Die ist für alle stand darin, daß er in beständiger Furcht schwebte, irgend Fälle!" ein heimlicher Feind trage sich mit dem freventlichen Vorhaben, ihm seine Modelljammlung zu stehlen.
Er hatte nämlich von seinen langjährigen Wanderungen, die ihn bis nach Paris und Wien geführt, eine große Kiste mit alten Garderobestücken aus aller Herren Ländern mit heimgebracht. Seltsam geformte Fräcke mit lächerlich hohen steifen Stragen, gefchlitte Wämjer, rote Kniehosen, ein ganzer wunderlicher Kram hing in einem großen alten Kasten in der Hintern Kammer. Das war seine Modelljammlung. Ohne
Gideon, der Maler.
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Der Schneider Wui" hatte sich aber mit der Zeit zu dieser einen Idee noch eine zweite zugelegt, und die war ich. Sobald es sich in den ersten Schuljahren zeigte, daß ich am Zeichnen Freude hatte und einige Geschicklichkeit darin an den Tag legte, saß der Sporren fertig in seinem Kopf: Ich war zum Maler geboren!
Ja, ein Maler stedte in mir, das stand unumstößlich fest. Nicht ein Anstreicher etwa, der bloß Gartenhäge und Scheunen