Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 70.

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Freitag den 11. April.

Die Bauern von Steig.

Roman von Alfred Huggenberger . Aber in meinen Augen hatte diese Art von Büchtigung etwas Furchtbares. Nicht wegen der Schmerzen, die kamen nicht in Betracht Nur wegen der Schande. Mir schien, so etwas fönne niemand, der es mit angesehen, mehr vergessen. Ich dachte auch später noch, wenn mir Johann Behr be­gegnete, fast immer zuerst an jene klägliche Szene, und wenn ich ihn etwa in der Jlge mit dem Lehrer jassen sah, mußte ich mich jedesmal fragen: jassen fannst Du mit ihm? slich weiß noch genau, was mir damals durch den Kopf ging, als der Lehrer, ohne die Antwort von mir abzuwarten, nach dem Stocke langte und mir einen Streich über Schulter und Rücken gab, den ich ohne zu zuden hinnahm. Nur diesen Streich! Ich lasse mich nicht aus der Bank ziehen!" Er holte wieder aus, der Stock schwebte über mir in der Luft.

Ja oder nein!"

sch preßte die Lippen aufeinander und saß steif wie ge­froren. Reden konnte ich nicht.

Da streďte er die Hand nach mir aus, er wollte sich über mich beugen, um mein Kleid zu fassen. Sein zornrotes Ge­ficht war ganz nahe an dem meinigen.

Jezt geschah das Unerhörte: ich wehrte mich mit geballten Fäusten. Ich schlug nach seinem Kopfe.

Er prallte leicht zurück, um mich aber sofort wie ein Rafender anzufallen. Aber mit schnellem Ruck entwand ich mich dem Griff seiner Hände, glitt unter der Bank durch an ihm vorbei und gewann die Türe, bei der ich, vorläufig in Sicherheit, in feindseliger Haltung stehen blieb.

Es war totenstill in der Schule. Der Lehrer stand sprachlos und sab bald auf mich, bald über die anderen Schüler hin, als wollte er fragen: Habt Ihr's gesehen? Hat es jemand gesehen?

Endlich fand er die Sprache wieder. So, Du Saubub! Du Bettelbub! Du machst mir solche Sottisen?- Sofort gehst an Deinen Play!"

1918

Nacht auf Margritte gewartet hatte. Er rief mir nach, ob's brenne oder ob dem Schneider Wui eine Geiß am Ver­reden sei?

Da besann ich mich auf meine Umgebung und fing an, langsamer zu gehen. Die Häuser zu beiden Seiten der Straße schienen alle schon zu wissen, was ich angestellt hatte; fie standen schweigend und böse da. Kirchenpfleger Straßers Wagen­schopf hatte sich sogar, wie es mir vorfam, ein wenig gegen Die Gasse hinaus vorgeschoben; ich hätte mich nicht ber­wundert, wenn er plöglich zu reden angefangen hätte: Was willst du noch da auf der Straße, wo nur rechte, ordentliche Menschen gehen? Du hast ja nicht einmal eine Kappe an!" Unwillkürlich fuhr ich mit der Hand nach dem Kopfe,- richtig, mun hing meine braune Wollmüte noch am dritten Nagel vor dem Schuleingang!

Beim Häuschen des Schneiders Enz angekommen, schlüpfte ich in den niedrigen Holzschopf hinein. Auf dem Scheitstock sizend, überlegte ich lange, was jeẞt anzufangen sei. Smmer schwerer fiel die Last des Geschehenen auf mein Herz. Mein ganzes Leben hatte einen Stoß bekommen. Mein Malertraum fam mir in diesem Augenblick als eine ganz lächerliche Sache vor. Die kunstvoll aufgeschichtete Scheiter­beige neben mir, an der ich nun mehr als einen Monat ge­baut hatte, und die noch gestern mein Stolz und meine Freude gewesen war, sah mich hilflos an und konnte mir nicht raten. Warum machst du so dumme Sachen?" sagte sie. Warum stiehlst du Malschachteln und warum bist du un­redlich an deinen Kameraden? Und hat dir der Lehrer nicht die Geschichte vom Schatzkästlein und die sechs Franz Hof­mann- Bücher zum Lesen gegeben?"

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Jetzt ist's halt so!" gab ich ganz laut und trocken zur Antwort.

Darauf fing ich an, die abenteuerlichen Pläne auszu­spinnen, in welchen des Schneiders alte Pistole feine geringe Rolle spielte. Zuerst baute ich mir eine Hütte aus Moos und Westen im dunkelsten, verlorensten Winkel des Tobelwaldes. Da ich mich auch da nicht genügend geschützt und geborgen fühlte, mußte sich in den verfallenen Gemäner der Limperg. ruine irgendein unterirdisches Gewölbe finden. Warum denn auch nicht? Jede Burgruine, von der ich in den Franz Hofmann- Büchern gelesen, besaß ihren geheimen Gang, ihren verborgenen Schlupfwinkel, der dazu meistens als Schatz­kammer gedient hatte. Es galt einfach einen von Gebüsch überwucherten Stein auf die Seite zu wälzen. Eigentlich war es zum Lachen, daß ich nicht schon früher auf diesen Ge­danken gekommen war, batte doch der alte Wagner Jochem, dem die große, magere Ränzeliwiese samt der Ruine und dem Der Lehrer schien sich einen Augenblick besinnen zu daran stoßenden Föhrenwäldchen gehörte, schon oft gesagt, er müssen. Blötzlich herrschte er mich in abfertigendem Lone würde diese zwei Jucharten Fökellandes nicht gegen Ge­an: Geh hinaus, verdorbener Mensch! Und komm mir nicht meinderat Kinspergers Nächstacker vertauschen, der doch an mehr unter die Augen! Natürlich," fügte er verächtlich bei, Keßlers Gant runde dreitausend. Frank gegolten und der jetzt mehr gegen die andern Schüler gewendet, natürlich, der nicht um viertausend feil wäre; denn im Limperg liegen noch schlägt nicht aus der Art. Der Apfel fällt nicht weit vom Sachen verborgen, die heutzutage kein Goldschmied mehr Stamm." machen könne.

Wenn ich will!" sagte ich verbissen. Es kam ein wohl­lüffiger Trotz über mich. Was lag daran, ob mun alles drunter und drüber ging? Aus der rechten Bahn war ich nun doch heraus. Für immer, das schien mir so flar in diesem Augenblick, daß ich über die Knaben und Mädchen vor mir hinwegsehen konnte, als über fremde, mir feindlich gesinnte Menschen, mit denen ich nun nichts mehr gemein hatte.

Es kam ein dumpfe Wut über mich. Sa es mußte heraus, das häßliche Wort! Ich mußte es meinem Feind an den Kopf werfen:

Der Schimpf, der in diesen lekten Worten Tag, kam mir Zuviel versprach ich mir von der Schazkammer freilich sogleich in seiner ganzen Bitterfeit zum Bewußtsein. Wer nicht. Aber ein warmer, sicherer Unterschlupf war mir auf gab ihm ein Recht, meinen Vater in mir zu schmähen? Hatte dem Limperg gewiß. Nur ein Bedenken macht sich bemerkbar: nicht der Kirchenpfleger Straßer einmal auf dem Friedhofe der Ort war auch gar zu wenig abgelegen. Aus einer noch zu mir gesagt: Bub, Du mußt nicht braver werden, als Dein halb erhaltenen Fensterlufe batten wir oft beim Räuberspiel Bater war. Bloß den Spizbuben weniger trauen." nach Trüb, Nehrbach und Mettmen hinab Ausgud gehalten, und die Straße von Trüb nach Steig herauf führt sogar, nachdem sie die Limperghöhe mit mancher schlauen Windung erstiegen hat, gemächlich mitten über die Känzelitviese hin. Ich wußte, daß Frau Rife an diesem Nachmittag drüben bei Meschbachers waschen half. So machte ich mich gemächlich ins Haus und in meine Kammer hinauf, wo ich mich ohne Sast anders anzog. Alles, was ich tat, geschah unter einem gewiffen traumhaften Zwang. Einmal, in dem Augenblick, als ich drunten in der Stubenkammer stand und, mich über das Bett hinbeugend, nach der Pistole langte, ging mir blitz­Wie ich damals die Treppe hinab über den Schulplak artig der Gedanke durch den Kopf: Wenn sie dich dann und ins Unterdorf gekommen bin, weiß ich nicht. Erst beim irgendwo tot finden würden?... Da fiel mir etwas ein Steinernen Platz wagte ich mich umzusehen. Die Straße und ich sagte ganz laut zu mir selber: Nein!" Der Pfleger hinter mir war leer. Stammis Knecht Andrees spaltete Stocker batte einmal im vergangenen Herbst, als ich im Mlafterholz nicht weit von dem Brunnen, bei dem ich gestern Tobelwalde spät abends mit einer Bürde Lesebola an ibar

Ihr habt die Ilgenwirtin auch in die Wange gefniffen!" Der Lehrer stand eine Weile sprachlos, bleich wie eine Wachsfigur. Plöblich schoß er mit der Wut cines Rasenden auf mich los. Ich glaube, es hätte auch für ihn fein gutes Ende genommen, wenn er mich jetzt in seine Gewalt be­kommen hätte.

Die Flucht nach Aegypten .