Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 73.

12]

Mittwoch den 16. April

Die Bauern von Steig.

Roman von Alfred Huggenberger .

11

1913

Merger und Not ausgestanden, wenn mir Frau Rike immer wieder meine wertvolle Sammlung von aufgespießten Schmetterlingen, von Puppen, Vogeleiern und seltsam ge­formten Steinen mit brächtlicher, verständnisloser Neugier durchmusterte und das meiste als unnüßes Zeug den Hüh­Damit war er indes von dem jüngsten Stallinsassen noch nern vorlegte oder auf den Kehrichthaufen warf; und wenn lange nicht fertig. Zu einem Kalb, wie der Muckerli eines der Schneider jedem hergelaufenen Menschen meine Zeich ift, darf man eineweg schon Sorge tragen," stellte er gemächlich nungen und sogar das kleine aus herausgerissenen Schul­fest, während er den Kühen und Rindern das im Seitengange beftblättern verfertigte Notizbüchlein vorzeigte, in das ich bereitstehende Kurzfutter in die Krippe schüttete. Es ist allerlei mir wichtig vorkommende Begebenheiten in Dorf und nämlich von der zweitvordersten, dem Schägg. Die fann nicht Haushalt einzuschreiben pflegte. So hatte mir der alte nur schaffen wie ein Roß, sondern nimmt es auch im Milch Wagner- Jochem einmal gehörig die Haare zerzauft, weil er geben mit jeder Prämierten auf." in meinem Büchlein die ursprünglich vom Schuhmacher Napf Wenn der Zeigerhaniß auf seine zwei selbsterzogenen Kuh- herrührende Bemerkung lesen fonnte, er, Jochem, habe wahr­rinder zu hinterst im Stalle zu sprechen fam, hob sich seine scheinlich ein oder zwei Rädlein zu viel im Kopfe, was auf Stimme jedesmal um einen oder zwei Töne. Solche Aus- seine Idee betreffend den Schaß in der Limperg- Ruine zu­bünde von gefreuten und in allen Teilen tadellosen Tieren, rückzuführen war. Besonders dieses Büchleins wegen schwebte babe er mun allerdings seit zwanzig Jahren nicht mehr im ich beständig in großer Sorge. Manchmal, wenn ich auf dem Stalle gehabt. Und dabei so bescheiden im Futter! Das Estrich oder im Keller ein wirklich gutes Versteck glaubte gröbste, verregnete Spätheu fressen die zusammen wie Salat! aufgetrieben zu haben, konnte es vorkommen, daß ich mich a- wenn das Zinsen zu Lichtmeß nicht wäre!" schloß er nachher selber nicht mehr auf dieses zu befinnen wußte. fein begeistertes Loblied mit bekümmerter Miene. Da befäme ich zwei Kapitalfühe! Und verständig sind sie, sage ich Dirt Du mußt nur das Auge ansehen! Fast wie Menschen." Er wollte mir nun zeigen, wie man mit Striegel und Bürste umzugehen habe und wunderte sich ein wenig da­rüber, daß mir das Geschäft des Viehpuzens bereits ganz gut aus der Hand ging; denn ich hatte in letzter Zeit oft bei Kirchenpfleger Straßer's im Stall geholfen. Da ließ er mich machen und ging hinaus, um Langheu in die Raufe zu stecken. Ich bemerkte wohl, daß er mir verstohlen durch eine Barrenlufe zusah. Als er wieder hereinkam, trat er zu mir her und klopfte mir auf die Achsel. Du, ich glaube, daß wir schon miteinander futschieren können. Halt weil ich sehe, daß Du nicht grob bist mit dem Vieh." Ich strich das Lob ein, wandte aber mein Gesicht von ihm ab. Ja er hätte nur sehen sollen, wie ich einmal in Straßers Stall ein Rind mit Schuhen und Fäusten mißhandelte, weil es mir beim Fliegenabwehren den Schwanzbüschel übers Geficht ge- Der Liebhaber gegen den Willen. schlagen hatte!

So schien mir der Kasten jetzt ein kaum hoch genug zit schäßender Besit. Mit beschaulicher Sorgfalt brachte ich meine Sachen darin unter. Das Wertvollste wurde der Schublade anvertraut. Dieses mein persönlichstes Eigentum bestand damals aus sieben Zeichnungen, die auch für den Fall, daß es mit der Malerei nichts sein sollte, zur ewigen Aufbe­wahrung bestimmt hatte; ferner aus dem Notizbuch und aus den geretteten Ueberresten meiner Sammlung, in der ein eirunder, rötlich gefärbter Stein, der Glücksapfel, ant höchsten eingeschäkt war.

Eines schien mir damals schon unerläßlich: jeder Mensch muß sein Nest haben, seinen greifbaren Schlupf, darinnen er gleichsam auch seine heimlichen Gedanken und Träume recht sicher bergen und verstecken kann; sonst gleicht er der Schnecke, die über die Straße friecht, von jedem Hufschlag, von jedem rollenden Rad beängstigt und erschreckt.

In der Schule ging es sogar noch leidlich besser, als ich erwartet hatte. Alles lief im gewöhnlichen Gleise. Der Lehrer tat, als ob er meine Anwesenheit gar nicht bemerkte, wenn es mir auch manchmal vorkam, wie wenn er seine Blide in einem Bogen über mich hinwegnähme. Man muß nur nie Angst haben, wenn man etwas angestellt hat," belehrte mich Schors Schwengeler oft auf dem Heimwege. Die großen Leute vergessen alles bald wieder, halt weil sie an­deres zu studieren haben. Und eine Dummheit wäre es vom Lehrer eineweg gewesen, diesen Brei noch einmal aufzu­rühren."

Man kann das meiste mit Worten machen," fuhr Haniß aufgeräumt zu plaudern fort. Die Tiere haben ein Augen­maß, sie verstehen oft besser als die Menschen, wie man es mit ihnen meint. Im Anfang natürlich nicht, sie müssen einen zuerst kennen." Wenn eine der Kühe mit dem vorgelegten Futter verächtlich umging, indem sie es mit den Hörnern über den Krippenrand warf, sette es eine scharfe Ansprache ab. Was ist das, Laubi? Haben wir das Heu darum gemäht und mit faurem Schweiß auf den Stod hinauf ge­würgt, damit Du es nachher unter die Füße werfen könnest? Glaubst Du, ich habe die Wiese gestohlen,?" Auch beim Ich hätte mich nicht sehr verwundert, wenn mir Melfen gab es etwa einen furzen Zwischenfall. Hörni, Margritte Stamm schon in der ersten Woche ihr Aufsakheft Hörni! Mit Dir will ich jetzt dann einmal ertra reden! wieder zum Verbessern herübergeschickt hätte. Aber den Ge­Ich berwarne Dich jetzt zum letztenmal, Du weißt ganz genau, fallen tat fie mir nun freilich nicht. Ich konnte mich viel­was Anstand ist!" mehr bei jeder Gelegenheit überzeugen, daß ich ihr kleines Wohlwollen gründlich verscherzt hatte. Sie war imstande, einen großen Umweg zu machen und nebenaus zu sehen, wenn fie auf der Straße an mir vorbei mußte. Das ärgerte und quälte mich um so tiefer, als ich es leider vorläufig nicht fertig brachte, ihr jemals länger als für ein paar Minuten böse zu sein.

O, wie war mir innerlich wohl und behaglich zumute, als ich mich an diesem Abend in meinem schmalen Gelaß über der Nebenstube einnistete, das freilich mehr einem Ver­schlag als einer Stammer ähnlich fab. Selbst der Gedanke an die Schule machte mir jetzt nicht mehr viel zu schaffen. Frau Esther hatte ja mit dem Lehrer geredet, da war schon alles in Ordnung! So eine gute und verständige Frau! Mir war immer, sie müsse ein wenig meiner Mutter gleichen... So, da bist Du jetzt daheim," hatte sie zu mir gesagt, als sie mir mein Kämmerchen anwies. In dem Bett hat der Kasper gelegen, dem Haniß sein Bruder, der jekt in Hohenegg Schullehrer ist. Wenn Du recht bist, so fannst Du es auch zu etwas bringen, es fommt nicht auf das Bett und auf die Kammer an."

Ja, ja, gewiß! Darauf fam es nicht an. Ich war sehr beherzt und freudigen Mutes.

Es war ein alter eintüriger Rasten da, zu dem ich sogleich ein besonderes Verhältnis fand. Eine trogähnliche Schub­lade konnte man sogar mittels eines Schlüssels abschließen. Welch herrliche Gelegenheit zur Versorgung meines fleinen Heimlichen Besitſtandes! Bei Enz hatte ich unendlich viel

Und nun berichtete mir Schores Schwengeler einmal auf dem Heimweg von der Schule, Margritte habe während der Bause zu ihm gesagt, ihretwegen könne ich meinem Schat, dem Stürler- Mineli flattieren bis auf tausend, für so einen Buchstabenzettel gäbe sie nicht einmal zwei Rappen.

Es war ja nichts Neues, daß man größere Senaben hin und wieder mit einem Schab neckte. Aber daß ich jetzt mit Mina Stürler zusammen genannt werden sollte, und daß ausgerechnet Margritte diesen Unsinn aufbrachte, das war doch zu viel!

Wegen Mineli felber hätte ich mir ja am Ende nicht so viel aus der Nachrede gemacht. Es fiel da etwas anderes ins Gewicht: der Spengler Stürler war ohne Frage der am wenigsten geachtete Mann im Dorfe. Nicht zumeist deshalb, weil er sich nicht schämte, mit gefunden Gliedern in der Burdi