Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 77.
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Dienstag, den 22. April.
Die Bauern von Steig.
1913
dämpften Zuruf zu verstehen gab, daß die Luft wieder rein sei und daß sich der Kreil vorläufig habe vertrösten lassen. Sie war nie um eine Ausrede verlegen; das eine Mal war der Mann nach Gehren hinauf zum Küfer gegangen, das andere Mal mußte er dem neuen Förster im oberen Bürgerwald eine Marklinie zeigen und konnte vor Abend nicht zurück sein. Der Haniß verwunderte sich immer nachher. Was Du alles für Sachen ersinnst!" Nachdem er jeweilen wieder zum Vorschein gekommen war, versuchte er sich gewöhnlich mit einem schlechten Spaß über seinen Merger hinweg zu täuschen. Es sei eigentlich jeder zu verbarmen, der nicht seine Schulden habe, denn da denke ja auf der lieben Welt kein Mensch an ihn. Dann schimpfte er ein wenig über diese Erdenverleider, mit denen man immer beschissen sei, weil sie statt einer lebendigen Seele das Einmaleinstäfelchen im Leibe mit sich trügen. Zum Schluß gab er die bestimmte Versicherung ab, daß er den Sereil nun extra warten lasse bis Anno Tubak und daß er nicht ein einziges Mal mehr mit ihm handeln werde.
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Roman von Alfred Huggenberger . Den Gräbenrieter Jost habe ich einmal sagen hören, der Zeigerhaniß sei, was die Ideen betreffe, ein richtiger Oberdörfler, aber eineweg komme man mit der Meinung, die er von der Welt habe, immer noch zur Not aus. Er hätte ihm getrost noch mehr Lob geben dürfen. Eines vergesse ich dem Saniß nie: daß er mir damals die Hand auf die Achsel gelegt hat, da ich an jenem hellen Frühlingstag von der oberen Känzeliwiese aus meinen drei Altersgenossen Hans Kinsperger, Jaköbli Stocker und Margritte Stamm nachschaute, wie sie zum ersten Mal nach Trüb hinab in die Sekundarschule gingen. Wir waren droben mit Strohausrechen beschäftigt, und mein Herz war eben noch ganz froh gewesen. Denn der Schlehdorn blühte in den Hecken und am nahen Waldrande, und da und dort im Gelände stand ein Kirschbaum wie ein mächtiger Sobald aber von irgend einer Seite etwas Geld ins Haus weißer Blumenstrauß. Ueber dem Bürgerwald schwebten fam, war es, als ob ihn das in den Händen brennen würde. große Schimmerwolfen gleich seltsam geformten Luftschiffen. Es kam eine große Unruhe über ihn; womöglich noch in der Nun sah ich die drei Kinder unter Scherzen und Lachen gleichen Stunde legte er den halbleinenen sogenannten Sonnihren Weg gehen. Sie gingen in ein blaues Land hinein, tagabendrock an und lief stehenden Fußes nach Trüb hinab. ein schönes helles Leben tat ihnen freundlich die Türe auf. So, jetzt ist's mir wieder wohl," sagte er, wenn er zurüd kam. Aber ich mußte draußen stehen, für mich war die Türe ver- Es ist halt doch schön, wenn man wieder an einem Ort saubeschloffen.. ren Tisch hat." Er rühmte, wie der Kreil freundlich gewesen sei und wie er sogar noch eine Halbe Noten bezahlt habe im Rößli. Ja, und Rühe habe der jetzt wieder im Stall! Es nehme einen nur wunder, wo er die auftreibe! Eine Fleckuh sei dabei, ungelogen zwanzig Liter Milch nach dem Kalbern! Wirklich eine Kuh wie ein Bild! Und so verständig im Auge! Bum Ziehen sei sie fromm wie ein Schaf, dazu keinen Tag älter als fünf Jahre. Alles ungelogen! Am liebsten möchte er die Stub gleich morgen holen, wenn's nicht wegen dem Plaz wäre, der Kreil hätte sie ihm nämlich auf leere Hand hin anvertraut. Das sei halt doch auch etwas, wenn der Mensch Kredit habe. Es brauchte nur etwas schief zu gehen im Stall, etwa daß eine Zeitkuh umstand, oder daß eine andere nicht mehr trächtig werden wollte, so stand der Kreil jedesmal da wie gerufen. Gewöhnlich gab es einen Tauschhandel, wenngleich der Haniß immer zum voraus wußte, daß er den Kürzeren zog. Mach dann eine Faust, wenn Du keine Finger haft," entschuldigte er sich nachher, wenn die Frau jammerte, man müsse das halbe Jahr für den Kreil schaffen. Wart nur, bis wir erst aus dem Aergsten heraus find! Dann hört das Tauschen von selber auf. Was würde ich jetzt auf dem Viehmarkt für eine Falle machen, wo es einem jeder lausige Schmuser von den Augen ablieft, ob man die Noten im Sachbüchlein hat oder nicht?"
Als ich die schwere Klobige Hand meines Meisters auf der Schulter fühlte, wollte ich mich nach ihm umsehen; doch es ging nicht gut, meine Augen waren voll Tränen.
Du denkst jetzt etwas, das nicht ist," sagte er nach einer Weile; ich merkte wohl, daß er die Worte mühsam zusammentlauben mußte. Du meinst, es fönne ein ganz anderer Mensch aus einem werden hinter den Schultischen. Das ist noch bei den wenigsten eingetroffen, die Geschulten können auch nicht aus ihrer Haut heraus und können aus dem Leben auch nicht biel machen, wenn nichts in ihnen ist. Wenn Du die Gabe haft, so kann es Dir da oben auf einem Höflein ebenso wohl sein, wie jedem Fabrikschreiber in Trüb oder Nehrbach. Besonders um diese Zeit, wo man den Kudud von vier Seiten her rufen hört. Wart nur, bis Du etwas eigenes hast, dann kommt der Begriff von selber. Boden ist alleweil noch Boden und es hat genug Leute auf der Welt, die sozusagen in der freien Luft stehen."
Gleichsam um mir das alles recht zu bedenken zu geben, ließ er mich bald mit dem hellen Tag allein.
In der gleichen Stunde kam es wunderlich über mich. Der Himmel war so selten blau, die Luft war so fein, wie wenn fie mich streicheln wollte. Ich lief in den Wald hinüber, die Amseln sangen, dann wieder war es ganz still. Schöne Tannen standen vereinzelt und freuten sich des Frühlings. Ich hätte es nur allen Leuten zeigen und sagen mögen!
Das Holz im Helligen.
Vom Zeigerhaniß könnte ich ohne Not ein Buch schreiben. Ich kann mir mein Leben, ja selbst das Oberdorf und die ganze Steig, nicht denken ohne ihn. Und der Haniß wiederum hätte ohne seine Frau Esther bald aufgehört zu existieren. Denn diese zwei ergänzten sich gegenseitig auf wunderbare Weise, ohne daß sie selber eine Ahnung davon hatten.
Wenn es auf der Steig heißt, daß im Oberdorf eine Frau immer so flug sei wie zwei Männer zusammen, so traf das beim Zeigerhaniß insofern nicht ganz zu, als es ihm feineswegs an Berstandesgaben fehlte. Er las, was ihm an Büchern und Kalendern in die Hände kam, jedoch ohne daß es bei ihm anschlug", wie die Frau jagte. Er machte fich über alles seine ganz eigenen Gedanken und verarbeitete die wunderlichsten Sachen in seinem Gehirn.
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Aus dem Aergsten herauszukommen, das war des Zeigerhaniß Jahres- und Lebensprogramm, das scheinbar immer in greifbarer Nähe liegende Zwischenziel, von dem aus zehn anSere, höherliegende ohne Not erreichbar schienen.
Da war zu allererst einmal der neue Dachstuhl. Kein Mensch im Dorfe, nicht einmal der Zimmermann Spinner, fonnte einigermaßen genau voraussagen, wie lange die wurmstichigen, zum Teil angefaulten Sparren die Last des Schneedruckes und der schweren Hohlziegel noch zur Not tragen würden. Der Spinner behauptete sogar, der Dachstuhl sei schon seit fünfzig Jahren rein bloß aus Gewohnheit stehen geblieben. Aber wie schon mancher Mensch von einer Gewohnheit plöglich abgelaffen habe, so könnte da halt einmal von heute auf morgen etwas unvorhergesehenes passieren.
An besonders kritischen Tagen, bei Sturm oder starkem Schneefall, war es nicht jedermanns Sache, den Estrich zu be treten. Es grochie( ächze) wieder so späßig in den Rafen, berichtete Frieda manchmal, wenn sie vom Scheiterholen zurückfam. Daraufhin wurden etwa ein paar neue Sperrhölzer aufgestellt, oder der Haniß behalf sich mit dem wolfeilen Trofte: Wenn's meinem Dachstuhl etwas macht, so nimmt's wenigstens dem Steinli- Nöggel seinen auch." Doch damit war die schwere Frage feineswegs aus der Welt geschafft. Der Dachstuhl war das erste, das allererste!.
Aber in allen Dingen, die das Geld und den Erwerb betrafen, war er ungeschickt. Seine Klugheit war, um mit der Bibel zu reden, nicht von dieser Welt. So konnte es denn nicht anders kommen, als daß seine Frau und er zusammen einen großen Krieg mit den Schulden führen mußten, in welchem der Haniß beharrlich im Hintertreffen stand. Wenn Gleich nachher mußte dann die Stockmauer zwischen der er den Biehhändler Streil von der Jlge herauskommen sah, Wohnstube und Steinli's Nebenkammer kommen. Das hatte verzog er sich gewöhnlich die Leiter hinauf nach der Heudiele man sich nun doch lange genug gefallen lassen, daß des Nögund blieb so lange unsichtbar, bis ihm Frau Esther durch gegel's Frau, die Mäde, halbe Tage lang, besonders wenn etwa