Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 82.
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Dienstag, den 29. April.
1918
man bor gefressenem, Wild keine Bäumchen mehr einbinden brauche.
Noch ein anderer Umstand kam dem Birchenschwengel zustatten. Er hatte in jungen Jahren einmal einen Anlauf Der alte Kreienhofen konnte sich nun eben nicht schicken, wenn er auch damals in der dritten Woche aus der Lehre zur Erlernung des Mezgerberufs genommen und behauptete, er stand seinem Schicksal gänzlich verständnislos gegenüber. gelaufen sei, so nehme er es dank natürlicher Anlagen heute Aus der grenzenlosen Verachtung, die er jedem seiner neuen Haus- und Lebensgenossen entgegenbrachte, machte er kein noch mit jedem bessern Meister auf. Das brachte ihm dea Hehl, er ging an ihnen wie an Ausfäßigen vorbei. Manch- Vorteil, daß er dem Lindenmeßger in Trüb jeden Freitag mal, wenn er in sich zusammengefunken auf dem Bänklein beim Schlachten behilflich seir durfte, bei welcher Gelegenneben Schwengelers Haustüre saß, fuhr er plöglich wie aus beit er neben allerlei brauchbaren Abfällen manches saftige einem Traum erwachend empor und sah an den Wänden und Bratenstück und manche dicke Blutwurst nach Steig hinaufFenstern hinauf, als wollte er sich immer wieder überzeugen, aufchmuggeln wußte. ob es denn wirklich wahr sei? An schönen Tagen, wenn die Leute draußen geschäftig ab und zu gingen, pflegte der gebrechliche Mann stundenlang im halbdunkeln Holzschöpflein zu stehen und durch eine Bretterlufe auf die Dorfstraße hinaus zu lauern.„ Eraft wie ein gestorbener Mensch, der nun zufehen muß, wie es auf der Welt ohne ihn geht," sagte der Schmausgelegenheiten absetzen, bei denen auch der Most nach Beigerhaniß, wenn er ihn beobachtete.„ Es ist einfach zu viel für ihn."
Hin und wieder lief der Kreienhofer aus der Burdi weg und ließ sich zwei oder drei Tage nicht mehr blicken. „ Er meint immer, sein Tochtermann in Zimmerwald werde so dumm sein und ihn in Pension nehmen," spöttelte der Birchenschwengel. Ja, wenn's halt einen Dreißigtausender zu erben gäbe, wie der Schalcher gemeint hat! Der weiß auch ganz genau, daß der Alte dem Käser Süßtrunk bloß aus purem Hochmut als Bürge hingestanden ist: Seht einmal her, ich bin keine Angstmamsell! Ich, der Kreienhofer!" Bom Hochmut hat er sich sozusagen ernährt, das ist sein Fressen gewesen. Jetzt nagt er sogar noch an dem abgeschundenen Knochen, der Aff't"
Einmal, da der Kreienhofer wieder ein paar Tage fort gewesen, kam er auf dem Rückwege zu mir in den Stall herein. Er sah sich das Vieh an, ein Stück nach dem andern, lobte und tadelte, maß und schäßte ab und fragte zulegt, ob die Ware dem Zeigerbaniß vielleicht feil wäre? Er habe da auf der andern Seite des Berges einen Bauerngewerb gekauft und müsse notwendig mehr Vieh einstellen. Seinem Kostgeber, dem Birchenschwengel, sagte er vor der Haustüre mit unsäglich geringschäßiger Gebärde, er möge ihm dann bis morgen die Rechnung machen, er habe im Sinn, auszuziehen. Am gleichen Abend, beim Zunachten, fand man ihn auf dem Estrich erhängt, und zwar zu oberst am Firstbalfen, zu dem er nur mit Mühe auf einer elenden Leiter hatte hingelangen können. Der Armenpfleger Stocker sagte, als er den Bericht erhielt, das sehe dem Kreienhofer ähnlich, er habe immer oben hinaus gewollt.-
Der Birchenschwengel hielt es im großen ganzen mit den Vögeln des Himmels, die weder säen noch ernten, und die nichtsdestoweniger mit Freuden ihr Leben fristen. Er behauptete, man fomme wunderbar durch die Welt, wenn man sich an das Vorhandene halte und den fleißigen Leuten nicht vor dem Schaffen sei. Der Esel, der das Korn in die Mühle trage, bekomme gewöhnlich nur die Spreu zu fressen. Da er sich ein wenig aufs Wildern verstand und ihm auch die Forellen im Steigerbach und in der Trüb, immer in die Hände hineinschlüpften", wie er scherzhaft vorgab, war sein Tisch zuzeiten besser mit Fleisch versorgt als der manches wohlhabenden Bauern. In einem verlotterten Schweine stall hielt er sich das ganze Jahr drei bis vier graue Kaninchen, die ihn in die angenehme Lage verfekten, den Hasenpfeffer eigen zu haben". Die Kaninchen hatten, ähn lich wie das Handwägelchen voll Birkenreisig, das er sich je und je einmal an einer Holzgant in Strien erstand, die sonderbare Eigenschaft, nie alle zu werden, gleich dem Delrestchen im Kruge der biblischen Witwe. Der Jäger Steffen im fleinen Wäldi gab zwar öfters der Mutmaßung Ausdruck, der Hasenstall in der Burdi sei größer als man meine, und der Schwengeler finde manchmal sogar einen Rehschlegel oder ein paar Rebhühner darin. Aber beweisen fonnte Steffen nichts, mud da er selber das Wildern auch nicht unbedingt zu den sieben Todsünden rechnete, so ließ er es beim Schimpfen bewenden. Die Bauern ihrerseits waren der Meinung, daß
Alle diese Eigenschaften und Fähigkeiten waren geeignet, in den Augen der Burdi- Leute eine Art Glorienschein um bei guter Laune war und„ im Beruf Glück gehabt hatte, das Haupt des Birchenschwengels zu weben. Wenn dieser wie er sich ausdrückte, dann konnte es pie und da kleine
Bedürfnis floß; denn der alte Speckbirnbaum in Schwengelers Garten trug wirklich jedes Jahr; manchmal, wie man ich beim Mosten überzeugen konnte, sogar zwölf bis fünfzehn verschiedene Arten und nicht selten noch Aepfel dazu. Sämtliche Hausgenossen spielten bei solchen Festlichkeiten die Rolle der geladenen Gäste, während der Birchenschwengel, zugleich Wirt, Koch und Kellner, sich so recht als Mittelpunkt der Welt, als Vater und Anwalt der Bedrängten fühlte und auch als solcher gefeiert wurde. Einzig die Seilertöde war ruppig genug, ihm manchmal noch während des Essens Grobheiten zu machen, wie sie denn fast das ganze Jahr mit ibm in offener Fehde lebte.
Die Seilertöde oder„ das Pfund", wie sie Schwengeler für sich und andere getauft hatte, war eine alleinstehende Frauensperson, die zu jener Zeit das geringste und baufälligste der drei Burdi- Nester bewohnte und sich mit Taglöhnen und Rebarbeit fümmerlich durchschlug. Sie war trop ihrer fünfzig Jahre ungemein wehrhaft und streitbar und lieferte dem Birchenschwengel fast jede Woche ein kleines oder größeres Wortgefecht, entweder von Haustüre zu Haustüre, oder dann durchs offene Küchenfenster. Da die beiden bei ihren Auseinandersetzungen und Schimpfereien die Altersverhältnisse ihrer Zuhörerschaft nicht besonders in Erwägung zogen, so hätten sie damit einem Anhänger der Aufklärungstheorie oft geradezu Entzücken bereitet; so wie sie einigermaßen die Behauptung des Kirchenpflegers Straßer erhärteten, die Burdi- Leute seien in gewissem Sinne der Sauerteig der Gemeinde. Die Einleitung lautete gewöhnlich: Gäll, Du schlechter Siech, hast wieder gefrebelt, daß es so nach Gesottenem und Gebratenem riecht in Deiner Lasterbude! Worauf der Birchenschwengel, nicht faul, auf Nickel Kupfer herausgab:„ Gäll der Käspeter ist halt wieder ein paar Abende nicht bei Dir gewesen, daß Du bloß Nudeln und Mais fressen mußt! Mit Dir geht's halt hinten herab, Du bist eine alte Tulipane!"
In diesem Tone ging es weiter, bis dem Birchenschwengel zuleßt die Geduld ausging und er mit einem Holzscheit oder mit dem Küchenbesen auf dem Kampfplay erschien und die Töde sich keifend und fauchend in ihren Schlupf zurückzog.
Derlei kleine Uneinigkeiten hinderten jedoch den Schwengeler feineswegs, die Töde jedesmal ausdrücklich einzuladen, wenn es wieder einen sogenannten Fraß" abseßen sollte; erstlich, wie er sagte, aus Neugier, ob sie kommen würde, und zweitens, weil es um Weibervölker doch immerhin eine furzweilige Sache sei, besonders um so weit herumgefahrene. Ganz abgesehen davon, daß man immer gut daran tue, bösen Hunden Brot vorzuwerfen. Vielleicht werde er sie später ganz zu sich nehmen, nur um den Krieg mit ihr bequemer führen zu fönnen.
Das Merkwürdigste an der Scilertöde war, daß sie von Zeit zu Zeit ihren Heultag hatte. Sie schloß sich dann in ihrer Stube ein und weinte und heulte unausgesetzt einen ganzen Nachmittag lang, oft bie in den Abend hinein. Mitunter, wenn sie vergessen hatte, die blauen Vorhänge zuzuziehen, fonnte ich sie von meinem Kammerfenster aus beobachten, wie sie aufrecht am Tische saß, die Arme schlaff ausgestreckt vor sich hingelegt, und hin und wieder in schwere
Ruchopina sungurTERIO