Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Mittwoch, den 30. April.
Nr. 83.
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Die Bauern von Steig.
1918
Er besann sich ein wenig und schlug dann einen anderen Ton an, als bereue er seine ungezügelte Heftigkeit. Man sollte zwar nicht von dem anfangen. Es ist jest wie's ist. Aber man kann nichts dafür, manchmal übernimmt einen die Noman von Alfred Huggenberger . Wut, wenn man daran denkt. Und so ein Kind bist du jetzt Der Korpus" war der Ansicht, daß es für auch nicht mehr, daß man es dir nicht sagen dürfte. Ich habe Menschen in erster und legter Linie auf das Jahr- es lange genug in mir verwürgen müssen. Aus den Händen hundert ankomme. In jedem stecke irgend etwas, aber herausgestohlen hat man deinem Vater jenes Höflein! Und faft allen„ berkaibe" es das Jahrhundert. So hätte er wäre vielleicht heute noch da, wenn das nicht über ihn geaus dem Derfflinger auch niemals ein Feldmarschall gangen wäre. Damals, in den böseiten Jahren, hätte man werden können, wenn er nicht zufällig das richtige Jahr- auf gleiche Art jeden dritten Bauer auf der Steig über den hundert getroffen hätte. Er selber hätte unter gleichen Um- Haufen rennen fönnen. Aber was der Stöderli vorbrachte, ständen genau die gleiche Karriere gemacht, denn seine Er- das galt in jener Zeit bei den Bankherren für ein Evange nennung zum Unteroffizier sei etwa fein blöder Zufall ge- lium, und wem er den Riegel steckte, der war geliefert. Den wesen. Aber an seinem Jahrhundert fönne der Mensch eben Netstaller im 200 hat er auch auf dem Gewiffen. Freilich, nicht herumdoktern. Und ganz sicher wäre er auch nie ins dann haben sie es endlich gemerkt und ihm den Schuh geTrinken gekommen, wenn er seinen Trang- er sprach das geben. Es hätte früher geschehen können. Wort hartnädig mit einem starten" auf richtige Weise „," hätte befriedigen fönnen.
Etwas bescheidener als der Storbus" war sein Weggefährte Safob Schälchli, dessen Weltanschauung auf der Ausgleichstheorie fußte. Immer, wenn die Natur den Bengel zu weit geworfen habe, müsse es ihn notwendig wieder zurüd hauen"; wie es denn bekannt sei, daß berühmte Männer meistens nur mittelmäßige Nachkommen zu erzeugen vermöchten. Aus eben dem Grunde sei auch er, Schälchli, punkto Anlagen etwas zu kurz gekommen. Denn jedes Kind auf der Steig wisse doch, daß sein Vater volle zweiunddreißig Jahre im Gemeindrat gefeffen, und daß die Leichenpredigt, die der Pfarrer Großmann bei seinem Ableben gehalten, beinahe die Kanzel verjagt( zersprengt) hätte.
Jakob Schalchli war auf Grund seiner Anschaming geneigt, seine eigene Ehe- und Kinderlosigkeit fortwährend aufs lebhafteste zit bedauern, da seine Nachkommen ohne Zweifel wieder auf die erste Liste" hätten kommen müffen. Dieser Ansicht pflichteteten allerdings weder seine Steiger Altersgenossen, noch der Birchenschwengel unbedingt bei. Der letztere meinte sogar einmal, wenn die Theorie richtig wäre, fo hätte ganz gut schon Schäfchlis Vater, der ewige Gemeindrat", gescheite Kinder in die Welt fegen fönnen.
Wenn das Leben anklopft.
Das Jahr ist nirgends so furz, wie im Bauernfalender. The Arbeit reiht leise und unvermerkt einen Tag zum anderen; fein einziger vergißt es, den kommenden zu mahnen, was nun drängt und was geschafft sein muß. Schaffen und Dasein sind innig und, wie wir meinen, unauslöslich miteinander verknüpft, das kleine Leben steht ganz im Stern und Zeichen des Fleißes.
Aber wenn wir rückblickend aus der Ferne binsehen, find die Mühen und kleinen Dinge des Alltags still beiseite gerüdt, und wir staunen, wieviel Liebes und Merkwürdiges uns die scheinbar ohne Gruß vorbeigegangene Beit gebracht, um wie manches unverlierbare Lebensgut fie uns bereichert hat. Die Arbeit der Hände ist fast vergeiien, wir haben nur noch Stunde von dem, was uns neben ihr innerlich beschäftigt hat: von der großen Arbeit der Seele.
Ich weiß von einem berfonnenen Frühsommernachmittag, mein Meister und ich waren auf der oberen Breite mit Kartoffelnhaden beschäftigt und es fiel mir auf, daß er dabei öfters als sonst an der Hecke stehen blieb und nach dem Stelzenhof hinabsah, den man von unserem hoch an der Halde gelegenen Ader aus bequem überschauen konnte. Es ist wahr, es liegt nicht bald ein Höflein so schön in der Sonne," Yagte er einmal halblaut zu sich selber, und fing dann nach einer Weile stärker zu arbeiten an, als ob ihn etwas innerlich erzürnt hätte.
Während der Rastzeit war er zuerst einfilbig und gab kaum Bescheid, wenn ich dies oder das von ihm wissen wollte, zum Beispiel, was für eine Aepfelforte der umgepfropfte Baum, unter dem wir saßen, vorher getragen habe, oder ob von den unteren Breiteädern früher auch welche zum Stelzenhof gehört hätten?
Plöglich fuhr er ganz unvermittelt in bartem Borne heraus:„ Ein schlechter Hund ist es gewesen! So eine Uutat ist vorher und nachher nie verübt worden!"
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Weißt du, eine Gant, wie die Stelzenhofgant, ist nie gewesen, seit es auf der Steig ein Heimwefen gibt. Der Stöckerli hat hinterrücks von einem Stuhl zum anderen schleichen müssen: Bietet doch nicht wie die Narren! Die Bant kommt ja doch auf die Schabung, was brauchts denn noch mehr?" Hätte der Schreiber Schalcher nicht so auf die Sohrenwiese gesperbert, so müßte es wohl schon damals Luft gegeben haben. Die hat ihm der Stöckerli wohlweislich gelassen. Ihm ist es nur um das Holz und um die Lugetenäder zu tun gewesen. Mich wunderts, daß er sich nicht jekt noch schämt, eine Scholle darauf zu fehren oder ein Ständlein von dem gestohlenen Holz heimzuführen!"
Damit stand der Zeigerhaniß auf und wir gingen wieder an die Arbeit. Er sprach fein Wort mehr von der Sache und schaffte nachdenklich und in sich gekehrt. Aber als er bemerkte, daß ich jest hin und wider nebenaus und nach dem Stelzenhof himunterschielte, blieb er einmal an der Hade stehen und fah mich lange forichend an. Ich fühlte seinen Blid wohl, tat aber nicht dergleichen. alla st
Ich bin jetzt nicht ganz sicher, ob dir so etwas in den Kopf geht; halt so, wie ich es gemeint habe," fing er eindringlich zu reden an, während ich unwillkürlich mit der Arbeit innehalten mußte. Es ist manchmal gut, wenn ein junger Mensch Wissen bekommt von Dingen, die ihn auch angehen. So etwas fann einem, wenn er nachdenkt, in die Knochen fahren, und er fann davon einen feiten Schritt bekommen.-
,, Weißt, es haben nicht viele erfahren, wie es dein Vater aufgenommen hat damals. Wie er bei Nacht auf dem Felde lumbergelaufen und bei Tag vor den Leuten Umwege gemacht bat. Und daß er sich die Krankheit an jenem Abend aufgelejen bat-- halb mit Fleiß halb mit Fleiß... Wenn ich dir das nicht einmal gesagt hätte, wäre ich ein Schelm! Nicht deswegen nur sage ich es dir, weil ich das jemanden in die Hand versprochen habe. Nein, ganz von mir aus
Er hadte wieder scheinbar gelassen weiter. Aber der fcheue Blick, mit dem ich ihn von der Seite ber ansah, sagte mir, daß es ihm Mühe machte, seine Augen troden zu behalten.
Auch ich mußte mir Gewalt antun. Doch beim Schaffen fam es wie ein Stolz über mich. Seine Achtung fam mir als ein großes Geichent bor .
Abends auf dem Heimwege, als wir auf dem rauhen Feldsträßchen nahe am Stelzenhof vorbeigingen, fing der Beigerhaniß noch einmal zu reden an. Ich müsse ihm bersprechen, das, was er vorhin gesagt habe, zu vergessen und nicht zu vergessen. Er berichtete mir auch, daß mein Vater schon früh, da er etwa in meinen Jahren gewesen, nach diesem Höflein getrachtet habe.„ Es liegt so schön in der Sonne, habe er immer zu ihm gefagt. Du, es liegt so schön in der Sonne!... Derlei Pläne fönne man, wenn fie einmal festfäßen, einem Menschen nicht mehr gut aus dem Kopf nehmen. Und es sei auch recht, denn sonst brächte mancher in seinem Leben nicht so viel zuweg.
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Unweit vom Dorfeingang fam uns der Armenpfleger Stoder, mit der Sense auf der Achiel, entgegen. Feierabend!" jagte er mit erheuchelter Freundlichkeit; aber feine Augen gingen unsicher an uns vorbei in die leere Luft hinaus. Fast wie wenn er alles wüßte, wie wenn er jedes einzelne Wort gehört hätte, das heute über ihn gefallen war,