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Ein Fabelwesen, das Menschenopfer über Menschenopfer for-| stillen und mit fargen Brocken, die es uns von seinem reichen Tische dert, ohne je gesättigt zu werden.
zuwirft.
Glück und Zufriedenheit, Ruhe und Behagen, alle Schönheit Erschlagen wir es! der Welt und alle Lust des Daseins bringen wir als Opfergabe ihm dar.
Wir kriechen durch Pfützen und Moräste und steigen über den hochragenden Kamm der Berge, um alle Schätze der Welt ihm zu Füßen zu legen, während wir selber mit Unrat unseren Hunger
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Die Bauern von Steig.
Roman von Alfred Huggenberger .
Es konnte auch vorkommen, daß ich spät beim Zunachten von der Feldarbeit heimkehrend, einen Umweg machte, um über ein paar Mecker und Wiesen gehen zu können, von denen ich wußte, daß sie zum Stelzenhof gehörten. Ich schritt die Grenzfurchen entlang und ließ die reifenden Roggenähren im Gehen durch meine Finger gleiten. Oder ich tat ein paar zaghafte Schritte in einen Acker hinein, auf dem der Pflug ausruhend in der Furche stand und betastete mit seltsamer Beklommenheit die beiden Pflugarme, zwischen denen viel leicht mein Vater einst gegangen war. Und einmal, als ich zur Zeit der Kornernte am breiten Hausader hinschritt, mußte ich plötzlich stillstehen, wie von einer unsichtbaren Hand gehalten. Der wunderbar süße Duft des frischgemähten Kornes gab mir heimliche Kunde von einem Tag, den ich gelebt: mit Vater und Mutter auf eben diesem Acker! Ganz gewiß. Von jenem Baum hatte die Mutter einen Zweig herabgebogen. Und der Vater hatte in der Grenzfurche gestanden und die Sichel gewett, nach seiner Gewohnheit bei jedem Zug leicht mit dem Kopfe wippend...
Bon solchen Erlebnissen vermochte ich niemanden etwas zu sagen. Desto mehr dachte ich selber darüber nach, sogar während der wöchentlichen Unterrichtsstunden im kleinen Konfirmandenzimmer des Pfarrhauses. Oft, wenn ich eine der Katechismusfragen beantworten sollte, mußte ich mich zuerst darauf besinnen, wo ich mich befand, weil mir eben eine für mich weit wichtigere Frage durch den Kopf gegangen war: ob wohl der Hubacher- Franz vom Stelzenhofe, der, weil ihn sein Vater zu kurz gehalten, als junger Kerl davongelaufen und nachträglich nach Amerika ausgewandert war, wieder einmal heimkehren würde, oder ob das Höflein, wie der Zeigerhaniß bestimmt meinte, über kurz oder lang feil werden müsse?... Wenn ich nur bis dahin so weit war, einiges Geld beisammen zu haben! Mit dem Tage, da es auf der Steig hieß, der Hubacher hätte auf einem gedruckten Zettel die Nachricht vom Tode feines Sohnes bekommen, glaubte ich, vom Leben eine Schuld übernommen zu haben.
Die Unterrichtsstunden vermochten, wie ich mit Bedauern bekennen muß, fast nur die sehr bescheidene Rolle von kleinen Ruhepausen in meinem arbeitsreichen Werktagsleben zu spielen. Daß ein Ader rechtzeitig und sauber bestellt, daß das schwere Gras von der Erlenwiese und von der abgelegenen Nachtweid vor dem angekündeten Regenwetter glücklich unter Dach und Fach gebracht, oder daß die Kartoffelernte auf der oberen Breite ausnehmend reichlich auszufallen versprach, solche und ähnliche Angelegenheiten nahm ich ohne Wissen und Willen in die Unterweisung mit, und sie gingen mein Denken und Sorgen näher an, als irgendeine wunderliche Weissagung eines alttestamentlichen Propheten.
Nicht daß mich etwa die seltsamen Lehren nud VerheiBungen der Religion nicht auch beschäftigt und in mancherlei Nöte gebracht hätten; jedoch geschah dies weniger während der Stunden im Pfarrhause oder in der Kinderlehre, als wenn ich allein war. Ich machte mir oft schwere Gedanken darüber, daß ich nicht alles unbesehen hinnehmen, daß ich nicht mehr wie als Kind ohne den leisesten Zweifel im Herzen beten konnte. In meinem dicen Geschichtsbuche las ich von ungeheuren Dingen, die auf der Welt geschehen waren. Von Kriegen, die Länder und Städte verwüstet, von ganzen Volksstämmen, die elend, hilflos abgeschlachtet und vernichtet wurden. Ich dachte nur immer bei mir, wie denn Gott das alles hatte mitansehen können, ohne sich zu erbarmen? Am verständnislosesten tand ich der Herenzeit gegenüber, von der in meinem Buche viel berichtet war, und wo Tausende, ja Hunderttausende in Gottes Namen gemartert und verbrannt wurden. Was mußten diese armen Menschen in ihrer Seelenangst und in ihren unjäglichen Qualen von
Reißen wir den Gözen herab von dem Throne, den wir ihm errichtet!
Den Vampyr, der mit unserem Blut sich mästet! Meint Ihr, daß die Welt aus den Fugen geht?
Alfred Dallmann.
der Gerechtigkeit Gottes für eine Meinung bekommen? Hätte er nicht eine Hand herabstrecken und sie schüßen müssen? Es kam mir fast unmöglich vor, daß nach solchen ungeheuerlichen Bränden der Himmel wieder hatte blau und heiter werden fönnen; mir war, als hätten sie die Luft für alle Zeiten mit einem schwarzen, widerlichen Rauch erfüllen müssen.
Sogar die kleinen Untaten eines Dorndrehervogels konnten mir viel zu denken geben. Wenn ich zufällig Zeuge davon war, wie dieser Würgengel das fleine Getier, das er als Beute aufgegriffen, wie Käfer, Raupen, Jungmäuse und halbnackte Nestvögel, an Dornsträuchern lebendig aufspießte, wie diese elenden Kreaturen sich frümmten und wanden an ihren Marterpfählen, dann stieg immer ein heftiger Zorn in mir auf. Ich konnte nicht mehr recht glauben, daß alles auf der Welt weise und gut eingerichtet sei.
Gern hätte ich den Zeigerhaniß über diese Sachen befragt; doch ich merkte jedesmal, wenn ich eine kleine Andeutung darüber machte, daß er mir auswich und von etwas anderem anfing. Er habe halt da den Begriff selber noch nicht recht, meinte er einmal.
Den Gedanken, mit meinem Anliegen zum Pfarrer zu gehen, verwarf ich ohne weiteres und unbesehen. Ich hatte das bestimmte Gefühl, daß dieser von uns jungen Menschenfindern herzlich wenig wußte oder zu wissen begehrte. Wir waren für ihn ein Jahrgang, den er, wie alle früheren, an Hand der Lehrmittel vorzubereiten hatte. Ich glaube, der Pfarrer Landis hat nie in seinem Leben einen Brief zu beantworten vergessen, noch irgend einmal die geringste dienstliche Obliegenheit versäumt. Aber der Arbeit ging er aus dem Wege. Als die Kehlhofbäuerin, die den Krebs hatte und manchmal entfeßlich leiden mußte und die neben sechs unerzogenen Kindern dem Tode entgegensah, einmal eine seltfame Frage an ihn richtete, gab er ihr zum Bescheid, er sei nicht gekommen, um Antworten zu geben, sondern um mit ihr zu beten. Im vergangenen Winter, da die große Kälte war, batte ihm eine Konfirmandin, Luise Spinner von Stillengrüt, eines Morgens in einem Körbchen sechs erfrorene Meisen gebracht. Darüber hatte er sie hart angefahren und ihr aufgegeben, bis zur nächsten Unterrichtsstunde dreihundertmal den Satz zu schreiben:„ Es fällt kein Sperling vom Dach, es wäre denn des Herrn Wille."
So mußte ich denn mit den Dingen fertig zu werden suchen, so gut es eben ging. Und zum Glück fehlte es nicht an mancherlei kleinen Ablenkungen, die es verhinderten, daß ich allzu tief ins Grübeln kam.
Offen gestanden, drehten sich die Gespräche der Konfirmandenbuben vor und nach den Unterweisungsstunden sehr felten um Religionsfragen, biel öfters um die Mädchen, über die mit einer gewissen Großartigkeit verhandelt und abgeurteilt wurde. Hans Kinsperger, der jeßt daheim auf dem väterlichen Hof schaffte und schon wie ein Knecht mit zwei Roffen fuhrwerkte, sprach es mit Nasenrümpfen aus, daß er an diesem Jahrgang nichts Besonderes finde. Jakob Stocker giftelte zwar hinten herum, er sage das nur, weil dem Presi seine nicht dabei sei. Margritte war nämlich auf Wunsch ihres Vaters ein Jahr früher konfirmiert worden und weilte iegt in einer Haushaltungsschule am Zürichsee .
Manchmal konnte mir mitten im Spintisieren der blonde Kopf der Marie Pfander in den Sinn kommen, deren Befizerin in der Unterweisung gerade vor mir saß. Sie mußte, da ihr Vater nicht zum Rechten sah und oft drei Tage hintereinander in der Jlge trank und spielte, schon seit anderthalb Jahren nach Trüb in die Spinnerei, und da es in ihrem Arbeitsraum sehr heiß war, hatte sie ihre roten Baden ein wenig verloren. Klaus Schwengeler, der immer alle Neuigfeiten wußte, die man nicht so recht heraussagen durfte, ftichelte von ihr, daß sie jetzt gern in die Fabrik gehe, während sie zuerst tagelang in einem zu gerbeint habe. Mit dem Gerngehen, ja, das glaube er schon, eine andere könnte fich auch drein schicken, wenn der Meister sich so gut mit ihr verstände. Eineweg sei es jetzt bald Zeit, daß das Pfanderli