Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Mittwoch, den 7. Mai.
Nr. 87.
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Die Bauern von Steig.
1918
Das„ Du" hatte einen so lieben, heischenden Klang, daß ich ernstlich ins Nachdenken fam. Ich hab' halt etwas im Sinn. Ich kann nicht gut hier fort," sagte ich gedrückt. Mir zu lieb auch nicht?.
Sie gefiel mir nicht mehr so ganz, wie vorhin. Es war mir, als müßte ich sie wieder umgewandelt sehen.„ Könntest Du denn nicht später zu mir fommen wenn ich etwas Eigenes habe?"
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Sie stand von mir abgewendet und entgegenete eine geraume Weile nichts. Dann wandte sie sich verständnislos nach mir um. Ich sah, daß es hart in ihr arbeitete.„ Meinst Du, ich werd' da leben, wo man meinen Bater gekannt hat. Meinst Du? Und wo er jekt dann bald wieder Nachtwächter ist, wenn wir ihn nicht mehr füttern?- Aha--Du hast ihn ja auch gekannt!... Mit Dir lauf' ich nicht mehr! Wenn Du mich jetzt um Riebe anbetteln würdest nein! Geh Du heim! Geh! Lauf von mir weg!"
Ich beneidete Konrad heimlich um seine überlegene Klug- Sie sagte das leichthin, ich wußte nicht, ob ich es als heit. Gines brachte er aber mit seinem Scharfsinn doch so Scherz oder als Ernst nehmen sollte. Unversehens fam, mir wenig heraus als ich, nämlich, wie sich Margritte Stammn felber nicht erklärlich, eine gewisse Festigkeit über mich. zu dem Pflugwirtsjohn von Zimmerwald stelle, der offen- Später vielleicht. Jeb nicht." fichtlich ihretwegen damals oft nach Gehren herübergeritten Sie stand wieder still.„ Aha, ist das so... Der kam und sein blankes, braunes Pferd an der Holzstange vor fremde, feindliche Schimmer blizte in ihren Augen auf.„ Ja, dem Ochsen festband. Margritte half nämlich, seit sie wieder ich dachte es mir schon." und daheim war, der Schjemvirtin, ihrer Tante und Taufpatin, hin und wieder an Sonntagen für ein paar Stunden beim Wirten mit. Ich empfand immer ein starkes Mißbehagen, wenn ich zusehen und zuhören mußte, wie der Legler mit ihr schön tat und ihr Artigkeiten sagte, worin er eine besondere Uebung zu befizen schien. Margritte, die sich im Vergleich mit mancher ihrer Altersgenossinnen eine fast findliche Einfachheit bewahrt hatte, ließ auch nicht im geringsten merken, ob ihr die Anwesenheit des fremden Gastes gleichgültig oder angenehm sei; fie ging mit besonnener Geschäftigkeit ab und zu und zeichnete ihn in keiner Weise aus. Aber wenn es mir auch damals ganz lächerlich vorgekommen wäre, mir ihretwegen Gedanken zu machen, so empfand ich es doch als eine kleine Erleichterung, als Konrad Tischberger einmal auf Blötzlich verwandelte sich ihr Gesicht. Mitten aus Zorn dem Heimwege nach Stillengrüt hinauf in verständigem Tone und Tränen heraus lächelte sie mich an. Darf ich? der Ansicht Ausdrud gab, dem Prefi seine sei dem Legler 3u Augenblicklich schlang sie einen Arm um meinen Hals und wenig reich, der könne noch bessere Partien machen. drückte mir einen Kuß auf die Lippen. Dann war sie schon Daß ich mich Margritte gegenüber besonderer Artigkeit beflissen hätte, könnte ich nicht behaupten. Sie fragte mich von mir weg und lief flüchtigen Fußes dem Hofe zu. ,, Du weißt ja nicht einmal, was das ist!" rief sie mir einmal, da sie mich hinausbegleitete, ob ich auch noch hin und halb" spottend, halb scherzend zu, indem sie sich noch einmal wieder zeichne, gab sich aber die Antwort teilweise selber, in- nach mir umwandte. Reb' recht prächtig in deiner Einöde! dem sie auf meine groben, riffigen Hände jah. Ich war uebers Jahr hab' ich einen Schatz! Und einen andern, als gerecht genug, ihre Frage als eine Anspielung auf die un- Du einer bist!" glückliche Buchzeichengeschichte aufzunehmen und sagte ganz Drei Tage darauf brachte mir der Briefträger Rebmann unberfroren:„ Du, es ist mir dann allenfalls lieber, wenn Du ein fleines Bädchen. Sogleich wußte ich, daß es von Mina mich wegen dieser Sache nicht mehr aufziehst." Stürler war. Ich fand darin, in vielen Umhüllungen verwahrt, ein Lebkuchenherz mit dem Sprüchlein darauf:„ Dem bravem Kinde."
Als ich am gleichen Abend von einem verstohlenen Besuch Als ich am gleichen Abend von einem verstohlenen Besuch bei der Base Käther heimkehrte, erfuhr ich durch Stafpar Went, daß Mina Ctürler bei Verwandten im fleinen Wäldi auf Besuch sei. Im Vorbeigehen sah ich sie dann auch wirklich mit Anna Hofer im Garten stehen. Sie erkannte mich gleich und kam aufgeräumt zu mir auf die Straße herüber. Was ich denn auch mache da in der Einöde oben? Ich werde doch nicht ein Hofnarr werden wollen, wie mein Meister einer fei? Ich mußte ernsthaft über sie staunen. Sie war schlank und zier gewachsen, ihr Wesen hatte nichts mehr von der scheuen Unsicherheit des Schulkindes; und so muntere, belle Augen hatte sie bekommen, daß ich mich immer wieder vergewissern mußte, ob denn so etwas möglich sei.
Nun, was haft an mir auszusehen, daß Du mir solche Augen anvirfit?" sagte sie scherzend, und ich gestand ihr gerade heraus, daß sie mir hübsch vorkomme.
Anna Hofer nedte mich damit, daß das ja mein alter Schulsatz sei, und ich ließ es ohne weiteres gelten.
Sie fomme noch ein paar Schritte weit mit, jagte Mina Stürler furzerhand. Wir schritten, während ihre Freundin wie auf Abrede im Garten zurückblieb, gemächlich an Wiesen und frischgepfligten Stoppelfeldern hin. Sie tat ganz unbefangen und fand es luftig, daß wir jest so unverhofft zu fammengekommen. Sie hätte, fagte sie, schon lang gern wissen mögen, was ich denn auch so mit dem Leben anfangen wolle. Ob ich es noch wisse, daß sie mich einmal gern gehabt habe. Du mich aber nicht," fuhr sie in munterem Scherzton fort, ohne erst meine Antwort abzuwarten.
dann
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Schon ein wenig," gab ich treuherzig zurüd. Da stand sie still und sah mich durch die Dämmerung mit einem ganz luftigen Blide an. Sa- wenn Du das sagit, Bitte, fag' mir's jetzt im Ernst: ist's wahr?" Hä, so glaub's doch!" Wir gingen ein paar Schritte weiter. Der herbstliche Buchenwald schloß sich über unserem Wege. Sie schien sich auf etwas zu befinnen.
„ Und jetzt willst Du wirklich da im„ Tod" oben bleiben? Gefällt Dir das? An einem anderen Ort lebt man auch Dul....
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Flegeljahre.
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Es ist nicht aus der Welt zu schaffen, für jeden Menschen fommt einmal die Zeit, wo er über seinen eigenen Schatten stolpert, wo er zu seiner nachträglichen Verwunderung die ungereimtesten Dinge macht, obschon er daneben um und um boll guten Willens steckt. Dieses törichte Wesen nahm bei mir eben damals feinen Anfang, als ich innerlich vom Hoffnungsbund abfiel, weil mir die Knabenart unversehens aus den Gliedern gefahren und ich gar nichts anderes glaubte, als daß ich nun mit meinen Lebenserfahrungen so ziemlich am andern Ende angelangt jei. Eine kleine Sache ist es ja freilich nicht, seine Schultern breit, seine Fäuste hart und seinen Schritt schwer und gemessen werden zu sehen, und trotz aller dieser Vorzüge nach wie vor nicht viel mehr, als ein Kind bedeuten zu dürfen. Man brennt vor Verlangen, der Welt möglichst schnell einen Begriff von sich selber beizubringen und führt so vor den Mitmenschen zu deren Ergößen die muntersten Becksprünge auf.
Ich vermag nicht so recht daran zu glauben, daß es mir vom Schicksal von allem Anfang an vorausbestimmt gewesen sei, an irgendeinem naßfalten Wintermorgen mit zerrissenem Hemdkragen und mit einer Schramme im Geficht nebent einigen verspäteten Tanzgästen in der dumpfigen Wirtsstube zum Rößli in Trüb zu sitzen und ein halbleeres Weinglas zwischen meinen schmußigen Fingern zu drehen. Ich befann mich auch erst dann mit Bestimmheit darauf, daß das alles wirklich mich selber anging, als ich vor dem Spiegel stehend mit dem Schnupftuch die paar vertrodneten Blutstropfen von der Stirn rieb und mir dabei im Spiegel die Kreuzstich Buchstaben in die Augen fielen, die die Tochter des Zeigerhaniß auf das Tüchlein genäht hatte.
Es kam mir jetzt allriählich zum Bewußtsein, daß ich während der vergangenen Nacht droben im Tanzsaale von einigen fremden Burschen angerempelt worden war, weil ich ihnen beim Tanzen etwas breit im Wege gestanden, daß ich im Vollgefühl meiner persönlichen Unantastbarkeit ihnen auf