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Nepfel Noßbirnen herausgegeben hatte, worauf der kleine Krach unter allerlei mir unangenehmen Begleiterscheinungen feinen Anfang und Fortgang genommen. Später hatte ich mich mit der schwerwiegenden Erkenntnis, von der gesamten Menschheit vergewaltigt worden zu sein, irgendwo an einem Grabenrand verhältnismäßig glücklich wiedergefunden.
Ich hätte nuit meine Schlappe stillschweigend auf mich nehmen und mich auf allerlei Schleichwegen in mein berschwiegenes Nest auf dem Stillengrüt zurückziehen können. Aber diesen Gedanken verwarf ich als meiner unwürdig. Ich fuchte baldmöglichst durch Erwerbung eines neuen Papierfragens mein Aeußeres wieder einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen und schlenderte dann, auf das Recht meiner Selbstbestimmung pochend, von einer Wirtschaft zur andern. Es schmeichelte meiner Eitelkeit, wenn ich da und dort nach der Schlägerei gefragt wurde, in der ich offensichtlich eine sehr bedeutende Rolle gespielt habe. Wenn ein schlauer Wirt die Bemerkung fallen ließ, daß er nun allerdings keine Lust hätte, mit meinen Armen und Fäusten Bekanntschaft zu machen, so gereichte ihm das keineswegs zum Nachteil, denn ich hatte den Lohn von ganzen vier Wochen im Beutel.
Als ich spät Abends in nicht ganz einwandfreiem Zustande auf dem Garbenhofe anfam, lag mein grünbemalter Koffer mit den unordentlich hineingewurstelten Sachen gefüllt und mit einem Strick zugebunden vor der Haustüre. Ich entlehnte bei Tischbergers einen Schiebkarren und brachte mich und meine Habseligkeiten für einstweilen bei meinem alten Bundesgenossen unter.
Vor dem Weitergehen am Morgen erklärte ich Konrad allen Ernstes, es freue mich nichts so sehr, als daß es nun so gegangen sei. Ich sei schon lange ein Kamel gewesen, für fo ein Hungerföhnlein zu schaffen, ich wolle es jetzt in der Welt draußen probieren.
( Fortseßung folgt.)
Hus baskischen Dorflanden.
Seit Jahrhunderten geschieht es alljährlich, daß am Mittwoch bor Pfingsten zwanzig oder dreißig baskische Dörfer an den Abhängen der spanischen Pyrenäen von ihren Pfarrkindern verlassen werden, die mit einem Kreuz beladen, wie es einst Christus trug, nach dem Kloster Roncevaug pilgern. Will man die seltsame Prosession ziehen sehen, muß man die Nacht vorher in Burguette bleiben, dem letzten Dorf, durch das die Menge kommt, ehe sie in dem ehrwürdigen Heiligtum anlangt.
In einem Wagen fahre ich von Saint- Jean- Pied- de- Port , einem friedlichen entzückenden Städtchen, das leider bald durch die Eisenbahn seinen Reiz verlieren wird, bei sehr bewölktem Himmel auf freuz- und querführenden schattigen Wegen des gewaltig großen Buchenwaldes nach Burguette.
Ungefähr eine Stunde hinter Saint- Jean- Pied- de- Port ist man auf spanischem Boden. Burguette liegt auf der anderen Seite der Pyrenäen , sehr hoch, ganz nahe den Bergwipfeln, und wir dringen tief hinein in den immer wilder und grüner werdenden Wald, um vier Stunden bergan zu steigen. Dumpf beginnt hinter den Wolken der Donner zu grollen; als Beschwörung gegen den Hagel läßt man in Val- Carlos die Kirchengloce ertönen, und ihr zitterndes trauriges Stimmchen folgt uns eine Weile und verliert sich dann in dem unendlichen Schweigen der Bäume, die wir hinter uns zurücklassen. In eintöniger Bracht schimmern die steilen Böschungen des Waldweges von rosa Blumen! Rosa Leinkraut, rosa Aududsblumen, roja Fingerhutblüten und gewaltig große Glockenblumen. Und überall zwischen den Farrenkräutern ziehen schmale Quellen Jeise dahin oder sprudeln in einem Wasserfall...
beweglichkeit und dem Schweigen zwischen riesenhaften grünen Wänden, über uns scheint sich das Mysterium des Waldes mit jener nebelhaften Decke zu vereinen, die immer näher über unseren Köpfen hängt, und wie ein dantisches Dach wtett. In einer grünen uns grauten fraurigen Dunkelheit sehen wir unseren Weg fort. Noch vier Stunden geht es bergan, und endlich haben wir die Wolfen, gefrorenen Nebel, erreicht. Die Nacht wird gleich herab steigen und alles noch mehr in Schatten hüllen.
Als wir an dem höchsten Punkt dieser sich schlängelnden Straße angelangt sind und herabzusteigen beginnen, fällt der Regen in Strömen; durch die Regengüsse hindurch sehen wir die hohen Mauern und den düsteren kleinen Turm des Klosters Roncevaux , in das wir morgen früh der Prozession folgen werden. Es ist ganz dunkel, als wir nach einer halben Meile Wegs Burguette erreicht haben. Bei strömendem Regen, über und über mit Kot besprikt, steige ich in der einzigen Herberge des Dorfes ab, die zwei oder drei Jahrhunderte alt zu sein scheint.
Ich hatte dort auf eine einsame, stille Nacht gerechnet. Aber nein, es ist wohl Sitte, am Abend vor der Pilgerfahrt hier ein großes Feit zu feiern. Nach dem Abendbrot findet sich ein Mann mit einer Guitarre ein. Das Instrument hat einen mit wollenen Bompoms geschmüdten Stiel wie der Kopf eines Maultieres. Es tommt ein zweiter, ein dritter, ein ganzes Orchester, dem selbst der Trommelschläger nicht fehlt. Und nun sezt die traurige Musik Spaniens ein, zuerst zögernd und leicht, während bei Apfelwein und Wein die Köpfe warm zu werden beginnen. Fandangos, Jotas, Habaneras spielen allmählich stärker und schneller, immer lärmender und wirbelnder werden die Töne. Karabiniere, Wilderer und Hirten kommen. Außer den beiden Mägden des Hauses, die nicht wissen, wohin zuerst eilen, sind keine Frauen anwesend. Aber die Männer tanzen untereinander und stoßen Schreie kind. licher Freude aus. Während die Finger wild die Saiten schlagen, beginnen die Guitarrenspieler zu singen; mit zurückgeworfenem Ropf, die Augen wie im Rausch geschlossen, den Mund weit geöffnet, so daß die Wolfszähne sichtbar werden, so stimmen fie immer wieder dieselben alten Lieder wie in höchster Leidenschaft viel zu hoch an.
Von Mitternacht bis zwei Uhr, während draußen ein starker Gewitterregen herniederfällt, tanzt alles, selbst der Gastwirt und seine Frau, und sogar die alten Leute, die schon schliefen, sind erwacht und tanzen mit. Das hundertjährige Gasthaus erzittert in allen Fugen, man fühlt, wie seine frummen Täfelungen, seine geschwärzten Deden beben, und seine Wände scheinen von der hüpfenden Erregung der Guitarrenspieler erfüllt und beseelt.
Am nächsten Morgen verlasse ich um sieben Uhr meine Kam mer, um vor der Haustür die Prozession, die bald vorüberziehen wird, zu erwarten. G3 regnet nicht mehr. Leicht durchdringt die Sonne die jagenden Wolken, die das Dorf einhüllen. Die Straße, die dieser Zug mit den Kreuzen durchschreiten soll, zieht sich ziem= lich regelmäßig und weit zwischen alten, ganz ähnlich aussehenden Häusern dahin, deren Dächer mit Buchenbrettern, die man aus den benachbarten Wäldern nahm, gedeckt sind. Ab und zu reiten jetzt Bauern und Bäuerinnen vorbei, ihre Maultiere tragen Schellen, das Zaumzeug ist mit Kupfer beschlagen, und die Sättel sind mit roten Streifen eingefaßt. Alles wandert der Richtung des großen Klosters Roncevaux zu.
Der Platz vor der Kirche hat den besten Ausblick, von dem man die Prozession aus den unteren Dörfern herannahen sieht. Das aus Granit erbaute Gotteshaus ist ein schwerfälliges, verwittertes, seltsam ländliches Gebäude, seit Jahrhunderten den Unbilden der Witterung dieser höchsten Gebirgsregionen ausgefeßt.
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Da sieht man mit einemmal an den beiden Fenstern des Glockenturmes, an denen zwei gleich große Glocken hängen, Männer erscheinen, die aus allen Kräften zu läuten beginnen, ding, ding, ding, ding sehen sie die Glocken mit wilder Schnelligkeit in Beweund die Luft gung, so wie sie heute Nacht die Guitarre spielten erfüllt alsbald ein verworrenes Getön: die Prozession nähert sich. Nun taucht sie aus dem Nebel auf. Zuerst glaubt man einen Zug von schwarzgekleideten Männern, die Bretter schleppen, zu sehen. Aber beim Näherkommen erkennt man, daß es Krenze find, und die Büßer tragen sie auf dem Rücken, während sie die Arme in der Stellung der Hingerichteten weit auseinanderbreiten. Die
Nun faust aber plötzlich der Gewitterhagel schnell und schnei- flagenden Töne, die zu uns herüberdringen, werden von der Menge dend wie Beitschenhiebe hernieder. Wir halten an und lehnen uns an eine fast vertikale Bergwand, die auch denselben Blumenschmuck trägt und eigenartig prächtig wirkt. Unzählig sind die Glasperlchen, die der Hagel darauf wirft, und von den langen Fingerhutsstengeln fallen die Blüten wie abgeschnitten, zerstücelt auf das Moos und wirken auf dem Grün wie umherfliegende rosa Schnell ist der Hagelschauer vorübergegangen, die Pferde jegen fich von neuem in Trab, und weiter geht es auf den unabsehbaren gewundenen Wegen durch den Buchenwald .
Bändchen.
Ora pro nobis!.. erklingt von ihren Lippen der
in regelmäßigen Abständen ausgestoßen. Alle diese Bilger sind in düstere Gewänder gekleidet und haben eine schwarze Kutte über das Gesicht gezogen; während es sonst die Gewohnheit ist, bei Prozesfionen langsam zu gehen, eilen sie barfuß durch den Schmuk. Die Doppelreihe zählt ungefähr fünfhundert Büßer. Ora pro nobis!. flagende Ruf, und mit seltsamer Hast, den Kopf unter das Kreuz geneigt, ziehen sie vorüber. Von Zeit zu Zeit wird der Pilgerzug durch die Alkalden ihrer Dörfer geteilt, die, in den großen Beremonienmantel gehüllt, die baskische Müze in der Hand, in der Bei einer Biegung der Waldstraße begegnen wir einer Pro- Mitte zwischen ihnen einherschreiten. An diesen Zug reihen sich zefsion: einer bescheidenen Dorfprozession, die von dem Hagelfchauer noch ganz betäubt ist. Etwa hundert Bergbewohner folgen einem filbernen Kreuz und drei Priestern. Nach Val- Carlos ziehen fe hinunter, unendlich melancholisch wirken ihre Zitancien in der Den Schluß bilden die in schwarze Mantillen gefleideten zahlftarren Bracht der Bäume unter dem schwarzen Himmel. reichen Frauen; mit trauriger Stimme singen sie die Litanei der Dann sehen wir niemand mehr. Wir sind allein in der Un- Jungfrau. Ihre Gesichter tragen feine Stutten, von den schwarzen
die Diakonen, fie tragen grobe Chorhemden, und am Ende der Stangen, die sie in den Händen halten, sind silberne Kreuze oder andere silberne Gegenstände alter Goldschmiedekunst befestigt.