Anlerhaltungsblatt des Horwärts Nr. 83. Donnerstag, den 8. Mai. 1913 27] Die Bauern von Steig. Noman vonAlfredHuggenberger. Die Welt, in der ich eS probiert, reichte zwei Tagereisen tveit: Uon Zimmerwald bis nach Schienen und Wermatshofen und von da wieder zurück auf die Steig. Am ersten Tage sprach ich da und dort auf den Bauernhöfen um Arbeit vor. Aber sei es, daß die Schramme im Gesicht mich nicht be- sonders empfahl oder daß ich meine Fertigkeiten zu wenig ins Licht zu setzen verstand, überall, wo ich anklopfte, schien man auf acht bis zehn Jahre hinaus mit Leuten versehen zu sein. An dem einen Orte hieß es, ich sei im Heilet auch nicht dagewesen, ob ich vielleicht damals noch nicht gelebt habe? Am anderen streckte man mir ohne weiteres ein Kupferstück durch die Türspalte, etwa mit der liebenswürdigen Bemerkung, so einem jungen Tagdieb sollte man eigentlich mit einem buchenen Bengel zur Arbeit zünden. Während ich in Wermatshofen bei einem Glase dünnen Mostes saß, kam unversehens ein kleines Heimweh über mich. Ich kam mtc so recht wie der verlorene Sohn vor, dachte aber im Gegensatz zu diesem nicht daran, hier zu warten, bis ich das Futter mit den Schweinen würde teilen müssen, sondern wandte mich auf der geradesten Straße heimzu. Der be- ruhigende Vorsatz, in meinem ganzen Leben keine Dummheit mehr zu begehen, machte mein Herz froh und meine Schritte leicht. Der Empfang auf der Steig war zwar nicht gerade ein erquicklicher, doch gab er mir dafür Gelegenheit, unter Hintan- setzung der eben gefaßten Vorsätze einen alten Widersacher herrlich zu ärgern und mein Selbstgefühl wieder etwas in die Höhe zu bringen. Wie ich nämlich vom Bllrgerwalde herab- kommend in die Gehrener Straße einbog, kam der Armen- Pfleger Stocker mit einer Fuhre Sagklötze des Weges. Ich wußte genau, daß er das Holz im Mesmerhölzchen geschlagen, das vordem zum Stelzenhof gehört hatte. Ich blieb stehen rind sah mir die Ladung an. Es klebten noch zerschundene Efeuranken an den Stämmen. Nachdem er bereits an mir vorbeigefahren war, hielt der Stocker still und tat, wie wenn et sich nach mir umsehen wollte, brachte seine Augen aber nur auf den halben Weg. Ob ich eigentlich vakant sei, fragte er mit besonderer Freundlichkeit. Als ich dies bejahte, gab er mir zu verstehen, daß bei ihm eben zufällig em Platz frei wäre. ..Wieviel Lohn?" fragte ich, scheinbar auf seine Zu- musimg eingehend. Er besann sich ein wenig...Hm— das käme halt auf die Abrede an. Wie wäre es, wenn man sagen würde, sechs Franken für den Winter und für den Sommer acht?" „Kommt darauf an, wie lang dann der Winter dauert." „Hä, so bis zum Brachmonat halt: bis die letzten Spät- reife vorbei sind." „Ist mir zu lang." „Dann kann man ja sagen, bis Maitag." „Ist mir immer noch zu lang. Die rechte Arbeit geht doch -manchmal schon im März an." „Meinetwegen. Könnten wir also den Sommer zu Ostern anfangen." „Ich bin für den ersten April." Er hob die Achseln ein wenig in die Höhe.„Ist aller- dings ein wenig früh. Nun, ich will also tun, was Dir paßt, diesmal. Aber wie long soll denn die Sommerrechnung gelten? So ungefähr bis zum ersten Herbstmonat, wllrd' ich halt meinen." Ich schüttelte bestimmt den Kopf.„Da sind doch die Kartoffeln noch nicht heraus. Nicht einmal der Roggen ist gesät." „Dann würden wir also Mitte September nehmen?" Seine Augen trafen mich mit einem stechenden Blick, als wollte er sich von der Ernsthaftigkeit meiner Unterhandlungen über- zeugen. Denn ich mußte oft nebenaussehen, um mein Gesicht vor ihm zu verbergen. Ich biß auf die Zähne und tat wie ivenn ich mich be- sinnen müßte. „Winter ist es halt l>ei mir erst dann, wenn ich Schnee sehe." Er stocherte mit dem Peitschenstock auf dem leicht gefrorenen Boden. „Du hast goppel viel gelernt in der Einöde oben," sagte er.„Du dürftest mir, mein ich. schon etwas.mehr Rechnung tragen, ich Hab doch von Kindsbeinen an für Dich sorgen müssen." Ich blieb hartnäckig bei meiner Auffassung betrefseich den Winteranfang, und er lenkte nach kurzem Zögern ein. „Wenn wir aber nach Deinem Kalender gehen und auf den ersten Schnee abstellen, mußt Du es mit der Kost etwa? gnädig machen. Dreimal Fleisch in der Woche, das langt doch?" Auch damit war ich nicht einverstanden.„Unter vier malen tu ich's bestimmt nicht. Ihr könnt machen, wie Ihr wollt. An Plätzen ist kein Mangel für einen der schaffen kann." Die beiden Ochsen am WagSn waren ungeduldig geworden und wollten anziehen.„Wir wollen das wegen dem Kochen dem Weibervolk überlassen, nur damit wir einmal fertig werden," meinte er, indem er die Tiere zurückhielt. „Wie wär's denn also mit dem Eintreten? Den alten Schnapser, den ich jetzt habe, würde ich lieber heute als erst morgen zum Teufel jagen." Nun konnte ich das Lachen nicht mehr verbeißen, ich gab mir auch gar keine Mühe, dies zu tun.„Eintreten tu ich bei Euch, wenn ich das zweite Mal auf die Welt komme," sagte ich ihm unverfroren ins Gesicht.„Und wenn Ihr mir zwanzig Franken gäbet in der Woche und den Sommer bis Lichtmeß dauern ließet-- bei so einem schaff ich nicht." Er traute den Ohren kaum.„Was sagst Du da?" „Ich sag, daß ich bei so einem nicht sckxlffe." Er wußte vor Zorn nicht, wo er die Augen hinwerfen sollte. „Was stehst Du denn still, Du Lotter? Lauf Du ein andermal zu. Was brauchst Du überhaupt mein Holz am zugaffen?" � Ich regte mich nicht von der Stelle.„Mir hat niemand etwas zu befehlen da auf der Straße. Wenn ich gern füll stehe, steh ich still." Da suchte er mit dem Peitschenstock nach mir zu schlagen. „Wart, ich hau Dir eins über die verschundene Fresse, Du!" „Was so einer lwut, kann ich schon aushalten," spöttelte ich. Ich liatte ihm die Peitsche bereits entrissen und hielt sie nun hinter meinem Rücken. „Gib mir die Geißel her!" krächzte er. „Wenn ich will." Nun trat er dicht vor mich hin.„Die Geißel Null ich haben, Lausbub." „So einer seid Ihr vor mir gewesen." Ich trat einen Schritt zurück und warf die Peitsche wert in die Wiesen hinein. Vor Wut konnte er kein Wart herausbringen. Während er die Peitsche holen ging, zogen die zwei Stiere an, und da die schmale Straße dort eine Biegung macht, konnte es nicht anders gehen, als daß das eine Hinterrad von der Last des Holzes in den tiefen Seitengraben gedrückt wurde. An ein Weiterkommen war nicht mehr zu denken. Der Stocker stand neben dem Wagen und fluchte wie ein Heide.„Wart, Laus- bub, Dich nehm' ich vor den Friedensrichterl" „Der Friedensrichter weiß auch, wie Ihr zu diesem Holz gekommen seid." Damit ging ich meiner Wege, während Stockers Knecht nachkam und die beiden schimpfend und lästernd die Binde- ketten lösten. In der Jlge in Steig ließ ich mich vom Roßhofpächter Jakob Mathis in Gehren vorläufig für ein Jahr als Güter- knecht einstellen, allerdins um etwas geringeren Lohn, als ihn mir der Stocker in Aussicht gestellt. Während ich mit meinem neuen Meister Gesundheit trank, kam der Garben- bauer von Stillengrüt herein. Er bestellte sich einen Dreier und sagte nach einer Weile so nebenk>ei, ich hätte das mit der Kiste nicht so auf die hohe Achsel nehmen sollen, eS habe sich dabei nur um einen Wink gehandelt. Er habe es nämlich nicht gerne, wenn einer in seinem Dienst ein Lotter werde. Ich bedauerte aufrichtig, diesen Wink falsch ausgelegt zu haben. Der Steiner vom Scherbenhof, der am anderen Tische
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30 (8.5.1913) 88
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