Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 89.

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Freitag, den 9. Mat.

Die Bauern von Steig.

Roman von Alfred Huggenberger . Der Better Kasper" wurde nicht müde, mich immer wieder mit Lesestoff zu versorgen; er gab mir auch allerlei Winke und Ratschläge, nach denen ich es auf ganz billige Weise zu einer eigenen kleinen Bibliothek bringen konnte. Meine Lesewut war unstillbar. Ich meinte wahrhaftig, in den engbedruckten, dürftigen Bändchen alles Schöne und Gute der Welt zu befizen. Unbewußt gewann ich damals die ein­fame Feldarbeit täglich lieber, weil ich da am besten mit meinen Gedanken allein sein konnte. Mein Herz war oft so boll und heiß, daß ich der ganzen Welt vom Glüd meiner wunderlichen Sehnsüchte hätte erzählen mögen.

1913

Christine, die merkwürdigerweise fast gar kein Kinn hatte, in der heißen Kiesgrube Most einschenkte und mich dabei mit ihren fugelrunden gelten Augen anblickte, wie wenn ich sie aus dem Wasser ziehen müßte, oder wenn sie beständig in der Grube umherschielte, als wollte sie mich darauf aufmerksam machen, daß wir wirklich ganz allein waren, fie und ich, dann fam oft eine leise Verzweiflung über mich und ich ließ die Pferde scharf anziehen.

Man konnte es ja allerdings als eine Art Geschenk be­trachten, daß die habliche Bauerntochter mir die Hand hin­hielt. Der alte Dengler- Jonis, der etwa in der Grube Sand laden half, hatte mir schon mehr als einmal zu bedenken ge­geben, es sei einer ein Narr, die Augen an Pfirsichbäumen hinauf zu werfen, wenn ihm eine Birne am Weg liege. Pfirsiche seien sowieso nicht für mich, da werde ich immer zu spät kommen.

Aber hinter den Sonnentagen stiegen immer wieder andere herauf; böse und arme Stunden, die mir das Gift des Ja, das glaubte ich selber, daß ich zu spät kam. Zu allem Neides ins Herz träufelten und in denen ich mich vom Leben zu spät. Das mit dem Stelzenhof konnte ich mir wohl auch hintangefeht fühlte. So war Jakob Stocker, der mir in der aus dem Kopf schlagen. Denn mit meinem Geldlein ging es Schule hundertmal die Rechnungen abgeschrieben hatte, jetzt langsam vorwärts. Und dem alten Hubacher, der fast immer Schreiber in einer Fabrik in Trüb. Er trug eine Klemm- im Bett liegen mußte, riet man täglich zum Verkaufe des brille auf der Nafe, und wenn er am Sonntagnachmittag in Heimweſens, das den gebrechlichen Leuten eine Last war und der Ilge saß und von den Briefen erzählte, die er nach Indien , immer mehr zum Lottergütlein wurde. Die Hubacherin hatte China und sogar bis Neuseeland zu schreiben habe, von den den Uebernamen Distelfink" bekommen, weil sie den halben Dispofitionen, die man in so einem Riesengeschäft treffen Sommer über auf den schlechtgepflügten Aeckern Disteln aus­müsse, von den Chancen, die da ein tüchtiger Stopf habe, dann jäten mußte, ohne doch mit dieser Arbeit je zu Ende zu hörten wir ihm mit offenem Munde zu. Da er immer noch fommen. Um feinen Lohn ausgeben zu müssen, behalf sie sich bei seinem Vater in Steig wohnte, aus Freude am Landleben, mit einem halb blödsinnigen Knechtlein. Wenn man ihr vor­wie er sagte, in Wirklichkeit, um sich das Kostgeld in Trüb stellte, daß das Gut mit jedem Jahr an Wert abnehme, sah zu ersparen, nahm er hin und wieder Gelegenheit, neben mir fie einem faft mitleidig an. Der Franz, wenn er erst aus auf dem leeren Sandwagen von Trüb heraufzufahren. Er Amerika daheim sei, werde das alles bald wieder auf der erzählte mir von einem Jaßklub Nellania", dem die besseren Höhe haben. Bureauangestellten in Trüb angehörten und der jeden Freitag­abend im Café Bellevue seine Sibungen abhalte. Manchmal machten wir im Haldenswirtshause einen kurzen Salt. Das Käferli", wie er Haldenwirts Emilie nannte, war immer fehr aufgeräumt, wenn wir einkehrten; doch brauchte es nicht biel Menschenkenntnis, um zu bemerken, daß sie mit ihren Gedanken den Jakob Stoder meinte, nicht etwa den Roß­knecht, mit dem er fuhr. Er konnte ihr die Hände streicheln Er ließ mich zuerst ohne Bescheid. Nach einer Weile sagte und recht artig mit ihr tun. Manchmal, wenn sonst feine er mit wenig Anerkennung in der Stimme, er sei sonst nicht Gäste da waren, blieb er noch ein wenig bei ihr figen. Aber dafür, daß man sich in der gleichen Stunde dreimal anders wenn er sich mir anschloß, sagte er regelmäßig im Weiter- besinne. fahren: Ja ja, das Käferli! Wenn die nur glaubt! Die wird ein altes Herz bekommen, bis der Jakob Stocker auf den Leim geht. Da wäre es schad um die Chancen."

Auch andere Mädchen, die etwa an uns vorbei gingen oder vom Felde aus grüßten, kamen nicht besser weg; segar Margritte Stamm fand nicht ohne weiteres Gnade. Die fange auch an, ihm an den Weg zu stehen, behauptete er ein­mal, als sie im Garten schaffte, während wir am Steinernen Platz vorbeifuhren. Er werde sich aber dreimal befinnen, nicht bloß zweimal. Sie solle doch seinetwegen den reichen Witwer nehmen, der jeden zweiten Sonntag von Nehrbach heraufkomme. Die meine gewiß, er, Stocker, habe kein Wissen davon, daß ihr Vater schon mehr als zehntausend Franken für seinen Aeltesten, den Emil, habe blechen müssen, der mit feiner Mekgerei und Wirtschaft in Krien einfach nicht vor­wärts komme. Der Presi könne den Steinernen Platz lang herauspuhen, wie eine Villa, ein richtiger Freier kalkuliere mehr auf anderes; wobei er mit den Fingern die Bewe­gung des Geldzählens machte. Wirklich hatte Stamm an feinem Hause einen grauen Pflasterbewurf anbringen laffen; manche behaupteten, es sei ihm dabei nur darum zu tun ge­wesen, den Spruch unterm Vordach zu verdecken, aus Merger darüber, daß es ihm mit seinen Sachen nicht nach Wunsch gehe. Hierauf machte mich Jakob Stocker noch ein wenig auf feine eigenen Vorzüge aufmerksam, die ich stillschweigend an­erkannte. Was meinst Du? Die Mädchen wissen schon, daß fie es bei mir einmal fein haben werden. Wenn ich wo an­Klopfe, muß der reichste Bauernsohn zur hinteren Türe Hinaus."

Bu jener Zeit kam ich fast täglich am Stelzenhofe vorbei. Aber er kam mir fremder vor, als früher. Es war mir kaum möglich, den verwilderten Garten und die schlecht bestellten Aecker anzusehen. Ich bekannte das dem Zeigerhaniß einmal, als wir zufällig eine Strecke weit den gleichen Weg zu gehen hatten, und fügte sogar bei, daß mich das Höflein jetzt nicht mehr so recht freuen würde.

Nachdem er bereits eine Strede weit von mir weg­gegangen war, blieb er stehen, studierte ein wenig und sah sich dann nach mir um. Du, wenn Du Zeit haft- ich könn Dir etwas zeigen daheim."

Ohne weiteres folgte ich seiner Einladung und schloß mich ihm an. Auf dem Wege durchs Oberdorf fagte keiner ein Wort; ich war innerlich sehr neugierig, um was es sich handeln möchte.

Es war noch nicht Feierabendzeit, das Haus war ber­schlossen. Haniß öffnete und geleitete mich, immer noch be­harrlich schweigend, durch die Stube in die Nebenkammer. Dort wies er mit einer leichten Kopfbewegung auf einen ein­türigen, braunbemalten Kasten, von dessen Türfüllungen jede einen Spruch trug.

Es stieg mir heiß in den Kopf. Ich hatte den Kasten augenblicklich erkannt.

Der Zeigerhaniß verstand die Frage, die unausgesprochen in meinen Augen lag. An des Elfibauern Gant habe ich ihn gekauft, vor drei Tagen. Ich wußte schon lang, daß er dort stehe und habe darauf acht gegeben. Ich hab Dir ein­mal später eine Freude damit machen wollen. Aber jetzt hat es ja keinen Wert, wenn Du so gesonnen bist."

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Ich betastete den Kasten mit der Hand, ich machte ihn auf und sah hinein. An jener Schraube links in der Ecke hatte Waters Sonntagsrod gehangen...

Laßt Ihr den Kasten nicht mir?" Meine Frage klang furz und gespannt.

Er sah mich mit einem sehr verwunderten Blicke an. Ich kann Dich heut nicht ganz erkennen," meinte er fopf­schüttelnd.

Von mir sagte er gar nichts, und ich fand das auch selbst­verständlich. Wenn mir dann andern Tages die Tochter Ich schämte mich vor ihm. Wenn ich es machen kann, meines Meisters in Dreihäusern, die sehr häßliche Bannhofer- so muß der Kasten wieder dorthin kommen, wo er einmal