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Ach Du! Fang mir nicht von der an! Ein Kind ist ein Kind! Wenn ich auf so einen Gofen warten müßte, könnt' ich graue Haare bekommen!"

Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Jetzt habe ich gemeint, Du seiest so auf den Tobelhof versessen?..."

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Er ließ sich vom Wagenbaum herab auf die Füße gleiten und lief, das Kinn fast senkrecht in die Höhe haltend, ein paar Schritte weit von mir weg, wie wenn ich mich ihm als Stumpfsinniger zu erkennen gegeben hätte. Plößlich aber fehrte er sich auf einem Absatz gegen mich um. Als ob denn die Justine nicht auch im Haus wäre! Die Justine! Die Justine, Du Aff!" Da ging mir allgemach ein Licht auf. Ich mußte laut herauslachen. Ja so. Das ist was anderes, wenn Du die Witfrau heiraten willst!"

Man sagt doch nicht Witfrau!" entgegnete er betreten. Witfrau!-- Wenn eine bloß zwei Jahre älter ist als ich! Und wenn ihr Mann gegen die achtzig gewesen ist!" ,, Also denn ich wünsch' Dir Glück zu Deinem Maitli !" Jagte ich scherzend und schüttelte ihm die Hand.

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Seine Frau war eine Vierzigerin, mager und edig und vor der Zeit gealtert wie ihr Mann. Die ganze Freudlosigkeit eines unter den Sorgen des Alltags verbrachten Lebens sprach aus ihren zügen, und die faltige Bluse, die sie nun im wer weiß wievielten Jahre trug, war so verblichen und abgetragen, wie die Farbe ihrer Wangen. Sie sah mit müden, von heimlichem Neid erfüllten Augen auf die besseren Toiletten der Spaziergänger, die an ihr vorüber ins Freie eilten. Ueberhaupt wäre sie am liebsten an diesem Tage zu Hause geblieben, wie sie es seit Jahren nicht anders gewohnt gewesen war. Aber Otto hatte diesmal durchaus Schadet nicht," hatte er gesagt, wir nicht nachgeben wollen. wollen uns auch einmal unseres Lebens freuen. Die Bluse ist immer noch anständig, Mathilde, und wenn wir Karlchens Schuhe noch einmal zum Schuhmacher schiden, wird es vielleicht noch wieder damit gehen."

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Die Kinder, ja, die Kinder! wenn die nicht gewesen wären! Aber bei Ottos Einkommen, das sich seit einer Reihe von Jahren nicht um einen Deut gebessert hatte, waren die Kinder eine Last, die mit jedem Jahre drückender wurde. Alle vler besuchten jetzt die Schule. Die beiden Knaben waren noch am leichtesten zu Aber Alma und Thea waren große Mädchen und befleiden. wußten schon ganz gut, was ihnen stand und was sie als Töchter eines städtischen Registraturbeamten glaubten beanspruchen zu Seine Augen leuchteten förmlich. Glaubst Du, daß von müssen. Und nun war Otto noch mit dem Plane gekommen, hunderttausend Mädchen ein einziges so lieb sein könnte, wie dieses Jahr einen Pfingstausflug machen zu wollen! Rein in fie?" Er sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Mich den Kopf gesetzt hatte er es sich, und auch die Kinder waren ganz nimmt nur das eine Wunder: wie ich fast zwei Monate lang wild geworden bei dem Gedanken. Darum hatten die Mädchen neben so einer habe blind sein können! Einfach, ich hab' die noch notwendig neue Strohhüte haben müssen und die Jungen Augen an den Schuhsohlen gehabt! Ein Glück, daß das Kind ein Paar neue Hosen, weil die Sonntagshosen vor ein paar für ein paar Tage aus dem Haus fam, sonst hätte es noch lang Wochen unbedingt hatten herabgesetzt werden müssen. Die ver­und so hatte so weitergehen können. So ein Efel! Man kann doch wahr- nünftigsten Vorstellungen hatten nichts gefruchtet, das Unglück seinen Lauf genommen. haftig mit den Füßen über sein Glück stolpern!"

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Die Dämmerung war inzwischen eingetreten. Er schlich vorsichtig um den Wagen herum, um sich zu überzeugen, daß niemand in der Nähe sei; dann trat er dicht zu mir heran. Weißt, Dir muß ich es sagen, wie es gegangen ist, aber sonst erfährt nie ein Mensch etwas davon. Nicht ganz alles fann ich Dir sagen, aber doch das meiste. Also vorgestern abend ist's gewesen. Das Vreneli hat am Nachmittag nach Bimmerwald hinübergehen müssen, zu einer Wöchnerin, die mit uns verwandt ist. Ich und die Justine sind nach dem Nachtessen am Tisch gesessen, und ich habe wie sonst ein Pfeif: chen geraucht. Noch gar nichts hab' ich gewußt, sag' ich Dir! Noch gar nichts! Hat mich die Justine gefragt, wieviele Zentner Frühkartoffeln der Stumpf in Dreihäusern bis jest eigentlich abgeholt habe? Ich hab ein wenig studiert und bin auf vierzehn und einen halben Zentner gekommen, die ersten bier Zentner zu fünf Franken, die anderen zu vier achzig. Sie meint, es müssen mindestens fünfzehn Zentner gewesen sein, aber ich laffe es ihr nicht gelten. Da nimmt sie den Kalender aus dem Nahmen und rechnet und zählt mit dem Beigfinger nach. Ich hab' ihr zugesehen und hab' noch immer nicht die fleinste Ahnung gehabt." Da, Ihr könnt selber nachrechnen, ich hab' recht," sagt sie jetzt, und ich seße mich neben sie hin und denke bei mir: Da wollen wir jetzt doch gleich sehen! Denn ich hab' ganz genau gewußt, daß es nicht mehr als vier­zehn Zentner und fünfzig Pfund gewesen sind.

( Fortießung folgt.)

Ein Pfingstausflug.

Von Wilhelm Scharrelmann .

Es war ein Pfingstmorgen, wie er im Buche steht. Auf allen Wegen, die von der Stadt aus ins Freie führten, wimmelte es bon Ausflüglern. Die Straßenbahnen und Züge waren schon in der ersten Frühe überfüllt. Alles drängte in die leuchtende Herr­lichkeit hinaus, die vor den Toren der Großstadt mit jungem Grün und sonnendurchfluteter Morgenstille darauf wartete, die ganze Fülle ihrer Schönheit vor den Tausenden von lichthungrigen Seelen auszuschütten, die zu ihr hinausströmten.

Auf den Chauffeen, die von der Stadt aus über die Felder führten, war der Verkehr besonders start. Wagen auf Wagen rollte an den Fußgängern vorbei, mit Maibüschen und bunten Fähnchen und Girlanden geschmüdt, als wolle alles Hochzeit mit ber Maienkönigin halten. die draußen in den knospenden Wäldern auf ihre nfreier zu warten schien.

Der Schreiber an der städtischen Registraturkanzlei Berthold ging mit seiner Familie bescheiden zu Fuß. Aber auch auf seinem trodenen Geficht mit dem gelblich fahlen Teint lag ein Wider schein des herrlichen Tages, der wie ein junger Gott strahlend und voller Frische über die pfingstfeiernde Erde heraufgestiegen war. Er war mehrere Male nahe daran, ein Lied anzustimmen, aber jedesmal, wenn er eben ansehen wollte, traf ihn ein vor­wurfsvolles warnendes: Aber Otto!" Dann erstarb ihm das Bieb auf den Lippen und er begnügte sich mit einem Summen.

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der Kinder durchaus hatte tragen wollen, wanderte die Familie Mit einem Paden fertig gestrichener Butterbrote, den jedes der Kinder durchaus hatte tragen wollen, wanderte die Familie nun ins Grüne hinaus, Mathilde das Herz voller Sorgen und mit grämlicher Miene, Otto wie ein Jüngling seinen Spazier stock schwingend und leise durch die Zähne summend, seinen ab­getragenen Ueberzieher vornehm über den Arm. O, er hatte Mathildes Einwand durchaus gewürdigt, die Schwere ihrer Argu­mente durchaus nicht bestritten. Aber schließlich wollte man doch auch einmal Mensch sein, einmal frei sein von dem Staube der Arbeit und des ewigen grauen Ginerlei! Mädchen?" fragte der Schreiber leise seine Frau. Du kommit " Dentst Du noch immer an den Betrag für die Hüte der auf diese Weise wirklich zu feiner Pfingstfreude, Mathilde!" Wirklich nicht?" fragte diese, wie flug Du bist! Als wenn ich überhaupt dazu kommen könnte! Ja, wenn die Kinder nicht wären und diese ewige Sorge um das tägliche Brot und " Ich bitte Dich, Mathilde!" unterbrach Otto sie mit einem flchenden Blid. Nur heute nicht!"

Mathilde war keine zänkische Natur, wirklich nicht, aber die unausgesetzte Sorge in den fünfzehn langen, grauen Jahren ihrer Ehe, deren quälendes Einerlei sich wie Staub und Spinneweben auf sie gelegt, hatte ihr Herz eng gemacht und ihr fröhliches Mädchenlachen, das sie einst als foftbarste Mitgift mit in die Ghe gebracht hatte, erstickt und ihr Gesicht wie einen welten Apfel schrumpfen lassen. Nach einer Stunde schritt man zum Frühstüd. Die ganze Familie lagerte sich im Kreise auf einer Waldwiese, und Ma­thilde öffnete das verheißungsvolle Baket.

" Wirklich!" rief der Schreiber, der seinen krummen, von der ewigen Schreibarbeit gebückten Rüden ins Gras gestreckt hatte und in den lachenden blauen Himmel hinaufsah, der mit weißen Wolfen, wie mit weißen flatternden Fähnchen festlich geflaggt hatte, wirklich! so wohl ist mir lange nicht gewesen!"

Die Kinder waren sämtlich derselben Ansicht und erwarteten mit wahrem Heißhunger die Verteilung des Frühstücks. Sorg­fältig wurden die Vorräte geteilt Aber alle Sorgfalt hat ein Ende, wenn es sich um den Hunger von vier, stets halbsatten Kindern handelt, die noch dazu durch einen Morgenspaziergang besonders empfänglich für eine Mahlzeit gemacht wurden. Nach faum zehn Minuten war der sämtliche Proviant verzehrt, trotz­dem Mathilde darauf gerechnet hatte, auch den Mittag damit be­streiten zu können.

Was fangen wir nun zu Mittag an?" fragte sie stirnrunzelnd. Ach, kommt Reit, fommt Rat!" tröstete Otto sie, der heute kein Stirnrunzeln jehen wollte.

Mathilde entgegnete nichts. Sie spannte ihren verschlissenen Grünseidenen, der noch aus ihren Mädchenjahren stammte. gegen die Sonne auf, und man zog weiter.

Ach, es war herrlich, in dem frischen, frühlingsgrünen Walde. Die Drosseln pfiffen und Otto behauptete, sogar eine Nachtigall zu hören. Es war allerdings nur ein Goldammer, aber alle nahmen ihren Gesang für den einer Nachtigall und lauschten an­dächtig und ergriffen. Sogar Mathilde wurde begeistert.

Der Gesang der Nachtigall ist doch etwas Wunderbares!" flüsterte der Schreiber lächelnd und ganz erfüllt von dem Glück des sonnigen Tages.

Alles wäre wunderhübsch gewesen, wenn der Mittag nicht näher und näher gerüdt wäre und mit ihm die leidige Frage, wie und wo man den Hunger stillen sollte.