Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 91. Mittwoch, den 14. Mai. 1913 Die Bauern von Steig. Roman von Alfred Huggenberger . Wie wir jetzt so miteinander nachrechnen, ich natürlich im Eifer, wie das immer ist, wenn man eine Sache sicher weiß, und jemand behauptet das Gegenteil, da passiert Plötzlich das Merkwürdige, daß ihre Wange und die meinige sich ein ganz klein wenig streifen. Das wird man nie herausbringen können, welches von beiden schuld gewesen, ich glaube, gar keins. Item, in mich ist etwas wie ein kleiner Blitz gefahren, ich habe den Kopf nicht gleich zurückziehen können, im Gegen- teil. Und auf einmal haben wir uns in die Augen gesehen und haben vom Kalender und von den Kartoffeln gar nichts nrehr gewußt. Du glaubst jetzt vielleicht. Du an meinem Platz hättest es anders gemacht. Du wärest bei dem alten Plan geblieben. Das kann einer meinen, der noch nichts mitgemacht hat. Wenn Dich eine s o anficht, dann sind Dir sämtliche Pläne der Welt Wurst. Wir sind dann noch eine gute Weile bei- einander am Tisch gesessen: aber nicht ganz wie Knecht und Meisterin. Es hat allerlei zu schwatzen gegeben, das Küssen haben wir auch nicht vergesien, und jedes hat sich über sich selber und über das andere verwundert. Item es kommt halt gern vor im Leben, daß just das geschieht, woran man am allerwenigsten denkt. Wie damals vor drei Jahren, wo mir Steinhöflers brauner Stier zwei Rippen eingedrückt hat. Da will ich denn freilich den jetzigen siiall lieber." Er kicherte leise in sich hinein.Alles sag' ich Dir nicht: man darf nicht aus der Schule schwatzen... Ja-- wenn halt die Justine nicht in die Nebenkaminer gegangen wäre, die Phowgraphie suchen! Weißt, das Bild, wie sie im Konfirmandenkleid aus- gesehen hat. Weil sie es im Dunkeln nicht gleich hat finden können, bin ich mit der kleinen Stehlampe unter die Türe gestanden und Hab' ihr gezündet. Hättest Du da nicht auch ein wenig in die Kammer hineingeguckt? Ich Hab' sie gefragt, tvarum der Name auf dem Leintuchumschlag denn I. M. heiße und nicht I. K.? Sieht sie mich nur so von der Seite her an. . sie habe dock auch einmal einen Mädchennamen gehabt: Justine Meister habe sie immer viel lieber gehört, als sssrau Kleiner. Ich sei goppel recht g'wundrig. hat sie dann ge- meint und immer noch nach dem Bild gekramt, bis ich ihr zu Verstelrnr gegeben, daß es init dem nicht pressiere und daß sie mir selber lieber sei, als zehn Photographien. Nachher, während sie im Hausgang den Nachtriegel steckt, Verberg' ich mich richtig hinter der Stubentüre und halte ihr, als sie hereinkommt, die Hände vors Gesicht: Rat', wer ist's? Ist gut raten, meint sie, wenn in Haus und Hof kein sterblicher Mensch vorhanden ist. als Du und ich. Und dabei Hab' ich ein Lächeln von ihr in die Augen und ins Herz geschenkt be- kommen weißt, soviel ist gewiß, daß auf hundert Stunden weit keine zweite so ein Lächeln fertig bringt!" Das meinst Du jetzt," sagte ich etwas ungläubig, hatte ihn aber damit erheblich beleidigt.Mit dem, was D u vom Weibervolk weißt, ist es sowieso nicht weit her," sagte er ganz von oben herab. Wer einzig und allein auf Schönheit sieht, ist just so dumm, wie eine Stadtfrau, die auf dem Obstmarkt Holzäpfel kauft, weil die hübsch rot gestreift sind, und läßt daneben die süßen grünen Laubäpfel liegen." Er besann sich ein wenig. Immer wieder mußte er leise für sich den Kopf schütteln.Zu studieren gibt das einem schon: viele Menschen erleben die wunderlichsten Sachen, und bei anderen geht es nur immer im gleichen Tramp fort. Ick bin froh, daß ich nicht zu denen gehöre." Ich gab zu. daß er mich fast ein bißchen neidisch mäche. Vielleicht wirft Dir der Zufall dann auch einmal einen Stein in den Garten," prophezeite er geheimnisvoll und bei- nahe großmütig, als ob das zum Teil von ihm abhinge.Der Zufall macht alles. Wir haben in diesen Tagen schon manch- mal zusammen gesagt, die Justine und ich:Wenn jetzt auch das wegen den Kartoffeln gar nie passiert wäre und ich nach wie vor auf das Vreneli gewartet hätte?" Das verstehe ich immer nicht recht, wenn sie meint, die Base in Zimmerwald hätte ganz wohl einen Monat früher in die Woche» kommen dürfen: ich weiß nicht, was der ihre Kindbett mit unseren Sachen zu tun haben sollte. Mit dem Gewicht hat sie dann eineweg auch nicht recht gehabt, der Stumpf in Dreihäusern ist kein Pfund mehr schuldig gewesen, als vierzehn und einen halben Zentner. Aber das ist jetzt Nebensache. Die Haupt- fache ist, daß in elf Monaten ihr Trauerjahr herum ist und wir unS heiraten können. Du mußt dann Brautführer fein und die Bannhofer-Christine Brautjungfer. Wer weiß, ob es dann nicht auch für Dich einen Schick gibt? Man kann dem Zufall bisweilen auch ein wenig vorarbeiten. Ihr müßtet bloß einmal zusammen im Kalender blättern..." Er kicherte wieder in sich hinein, wie vorhin. Ich sagte. nun müsse ich heimfahren, sonst meine der Scherbenhöfler, ich sei mitsamt dem Klee und den Stiere» abhanden gekommen. Und wegen der Brautjungfer könne'inan sich jetzt noch be- sinnen: die Bannhofer-Christine habe mir so oft in der Sand- grübe Most eingeschenkt, daß mir davon auch der Durst nach ihrem Anblick vergangen sei. Neuer Wirkungskreis. Der M a i t l i- Ehristoffel. Es dauerte gar nicht lange, so trug sich auch auf meinem Wanderwege Unerwartetes zu. Ich war an einem Sonntag- nachmittag mit dem Vorhaben vom Scherbenhofe weg- gegangen, beim Förster Bodenmann in Trüb wegen der Wald- arbeit im WiMer Anfrage zu halten. Auf dem Wege backte ich allen Ernstes darüber nach, ob ich nicht heute abend nach dem Füttern dem Johann Rebsteiner in Dreihäusern den eisernen Hemmschuh zurückbringen wolle, den mein Meister vor einigen Tagen beim'scheiterführen bei ihm entlehnt hatte. Denn ich war in letzter Zeit hin und wieder mit meinen Gedanken bei der Rebsteiuer-Luise gewesen, mit der ich wäh- rend meiner Dienstzeit in Dreihäusern fast jeden Tag ein paar Scherzworte gewechselt, und deren Art und Wesen ich gut im Gedächtnis hatte. Sie hatte goldgelbe, ins Rötliche fchim- mernde Haare, ein frisches, rundes Gesicht und ztvei muntere Schalksäuglein, die sie nie ganz aufmachte, wenn sie einen ansah. Da kmu mir oberhalb des Haldenwirtshauses unver- sehens Margritte Stamm entgegen. Ich dachte nichts anderes, als daß sie mir ansehen müsse, an was ich soeben gedacht: ja ich hätte beinahe laut herausgesagt:Nein!" Daß ich nach Dreihäuscrn gehe heut abend, das ist nicht wahr!..." Wir wechselten ein paar nichtssagende Worte. Im Weiterschreitcn kam ein heftiger Unwille gegen mich selber in mir auf. Warum konnte ich denn von dieser nie ganz weg- kommen? Gewiß, wenn sie es wüßte, sie würde mich aus­lachen! Und ich nahm mir vor, nun erst recht zur Rcbsteiner- Luise zu gehen... Jin Haldenwirtshaus, wo ich zu kurzer Rast einkehrte, saß als einziger Gast der Präsident Stamm. Ich komme ihm jetzt wie gerufen, sagte er leutselig zu mir. Ob es wahr sei. daß ich vom Scherbenhof fortgehe? Er hätte mich nämlich im Ernst fragen wollen, ob ich nickt für einige Zeit bei ihm eintreten möchte. Nur für solange, bis der Karl, sein jüngerer Sohn, aus der landwirtschaftlichen Schule zurückkomme. Ich trank ein Schlückchen Wein aus dem Glase, das er mir zum Bescheidtun hingeschoben hatte. Nun ich könne mir die Sache ja überlegen, lenkte ich ein, und zwar tat ich das in einem Tone, als ob es mir mit dem Ueberlegen Ernst wäre. Innerlich hatte ich bereits bei seineni ersten Worte zugesagt. Und den schweren, eisernen Hemmschuh konnte mein Meister dem Rebstciner nun selber zurückbringen.-- Am zweitfolgenden Sonntag mußte ich meine neue Stelle bereits antreten. Der ältliche Melker Christoffel, mit deni ich die große Windenkammer zu teilen hatte, machte sich so tvenig als möglich aus mir. Abends beim Schlafengehen brummelte er, während er gemächlich in sein Bett kroch, halblaut vor sich hin:Da ist jetzt also richtig wieder so ein Bohnenkalb ge- kommen." Ich gab ihm zu verstehen, daß er solche Bemerkungen in Zukunft für sich behalten könne, worauf er den kleinen. zwischen zwei mächtigen Schultern sitzenden Kopf in höchstem Grade verwundert nach mir umdrehw. Ob das mich etwas angehe, wenn er gern für sich selbe/ über etwas nachdenke?