Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 92.

31]

Donnerstag den 15. Mai.

Die Bauern von Steig.

-

1913

hat es noch keiner zu sehen bekommen. Der Dienst ist recht, man fann es hier schon aushalten, besonders wenn sich zwei Kollegen verstehen. Ich verlange ja nichts weiter von Dir, als daß Du Dich beim Reden in acht nimmst, wenn sie in der Nähe ist. Mir selber macht es gar nichts, da kannst Du die dicksten Brocken unters Maul nehmen."

Roman bes Alfred Huggenberger . Damit schien er mit seinem Nachdenken fertig zu sein, er ließ nichts mehr von sich hören. Ich hätte mich gern auf diese oder jene Weise ein wenig an ihn gemacht, aber es war die Nase. Diese Arbeit führte er immer auf eigene, unnach­Er schneuzte sich nach seiner Gewohnheit mit den Fingern rein unmöglich, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Auf ahmliche Weise aus, indem er seine Klobige Hand weitaus­meine Frage, wo er eigentlich daheim sei, gab er mir mit bolend mit bligartiger Bewegung nach dem kleinen, beinahe trodener Gelassenheit zum Bescheid, ich könne vielleicht meine zierlichen Näschen greifen ließ. Ich war im Anfang jedes. Zeit hier abdienen, ohne daß ich das wisse. Einen Bater habe er eineweg gehabt. Mit meinen zwei Vorgängern sei mal ernstlich in Sorge, er werde sein Gesicht vergewaltigen. Nachts vor dem Einschlafen stand er unversehens wieder er jeweilen in einer halben Woche fertig geworden. Wenn ich wie am Sonntagabend im Hemd neben meinem Bette. Er von einer so guten Sorte sei, wie man ihm weismachen wolle, teilte mir im Flüsterton beinahe verschämt mit, daß er nämlich so sei es recht, aber vorläufig seien wir noch unser zwei. sechs Jahren, aber gemerkt habe er es erst in der letzten Zeit. in die Tochter des Hauses verkracht sei. Eigentlich schon sett indem er zugab, daß sie zwar die einzige, aber nicht ganz die Hierauf dehnte er sein Geständnis noch etwas weiter aus, erfte sei, die er im Ernst gern babe. Mit den übrigen Mäd­chen komme er bloß gut aus. Er sei nämlich ein Mädchen­freund. Natürlich im Anstand, er sei mit Ehren sechzig Jahre

Nach einer Weile, da Christoffel scheinbar am Einschlafen war, glaubte ich ihn daran erinnern zu müssen, daß seine Kerze noch brenne. Seine Kerzen bezahle er immer selber, gab er mir zurück. Und es brauche ihm auch niemand zu fagen, wenn es für ihn Zeit zum Einschlafen sei.

Nun wollte ich meinerseits auch nichts mehr von ihm wissen; ich kehrte mich nach der Wandseite und hielt mich still. Ohne den werde ich es schon machen können, dachte ich bei mir alt geworden. felber. Plöblich nahm ich zu meinem nicht geringen Erstaunen wahr, daß er in bloßem Hemd neben meinem Bett stand. Ich müsse es nicht übelnehmen, sagte er, aber er wolle es mir jekt gleich im Anfang sagen, daß ich es in diesem Hause mit ihm zu tun habe. Wenn der Meister nicht daheim sei, sei er daheim.

Mein Gleichmut kam stark ins Wanken. Ich richtete mich halbwegs auf und fragte ihn furz, ob er wohl auf der Stelle in sein Nest zurückkehren wolle?

Nachdem er bereits wieder zu Bette gekrochen war, fiel ihm noch etwas ein. Jetzt habe er noch vergessen, mir das Buch zu zeigen. Er stand auf, krabbelte den Schlüssel hinter dem Wandkasten hervor und öffnete umständlich seine alte Kleiderkiste. Mein Buch mußt Du jezt noch sehen," sagte er. Wenn Du es lesen magst, fannst Du noch heute abend damit anfangen. Nur muß es den Tag durch immer in der Stifte eingeschlossen sein, ich weiß schon warum."

Er hatte jetzt den dicken Lederband ans Licht gebracht, Meine Gereiztheit schien keinen erheblichen Eindruck auf forgfältig aus seiner Verpackung herausgeschält und wies ihn ihn zu machen. Er blieb gelassen auf seinem Blake stehen, mit Genugtuung vor. Das Buch hat mich fast vier Wochen­die unförmlich großen Praßen an die Oberarme gelegt. Schlöhne gefoſtet; aber es ist den Preis wert. Zuerst sind es mußte diese Hände immer wieder mit dem kleinen Kopfe ver- lauter kleine Hefte gewesen, von denen mir jeden Sonntag gleichen, der neben ihnen sozusagen nicht in Betracht fam. eins extra auf der Post zugeschickt worden ist damals, als ich Er hätte den Kopf wie einen Apfel in die Hände nehmen noch im Badischen Melker war. Immer hat es auf der fönnen. Adresse Wohlgeboren" geheißen. Natürlich, man kann doch überall wiffen, daß ich aus rechter Familie bin. Der Buch binder Wenk in Krien hat mir dann nachher alles eingebun­den, auch die Bilder. Nicht jeder hätte das fertiggebracht wie der Went. Seine erste Frau und meine selige Mutter sind doch ein wenig verwandt gewesen, drum hab ich ihm den Verdienst zugehalten."

Ich legte mich nun wieder und suchte der Sache von der fomischen Seite beizukommen. Du glaubst gewiß, ich werde in der Nacht von einem Engel träumen, wenn Du noch lange in diesem Aufzug vor meinem Bette stehst!"

Er ließ einen furzen Blid über seine eigene Figur gleiten, schien aber nichts Außergewöhnliches zu entdecken. Engel oder Bengel, das ist mir wurst. Aber ein ungepußtes Maul ist mir allenfalls nicht Wurst. Jedes Wort muß in diesem Hause so sein, daß es ein Schulkind hören dürfte, halt wenn sie da ist. Weibervolf und Weibervolt ist zweierlei. Und wegen dem Essen darfst Du sie auch nicht ärgern. Da wird nicht getadelt, da wird kein schiefes Gesicht gemacht: da wird gegessen. Oder Du hast es mit dem Christoffel zu tun."

Damit hob er die Belagerung auf und legte sich aufs Ohr. Ich glaubte ihm noch beibringen zu müssen, daß ich auch ohne ihn wisse, was Anstand sei und daß sich meinet­wegen noch kein Mädchen die Ohren zugehalten habe, worauf er als legtes Wort nachdrücklich wiederholte: Weibervolk und Weibervolf ist zweierlei."

"

" 1

Er las mir den Titel des Buches vor:.... Isabella, Spa­ niens verjagte Königin. Ein Roman und doch kein Roman. von einem Eingeweihten." Also wahr," betonte er nach­drücklich. Was hab ich von einer Geschichte, die Wort für Wort erstunken und erlogen ist? Und was da alles für Dinge drinstehen!" Er dämpfte seine Stimme ein wenig und zählte mit innerstem Behagen auf: Sieben Ehebrüche, davon drei im ersten Kapitel, man braucht also nicht erst weit zu lesen. Elf Mädchen verführt, ich habe es aufgeschrieben. Zuerst hab ich's immer nur auf zehn gebracht, aber dann ist im letzten Rapitel noch eine Nonne dazugekommen, die ich der Bequem­lichkeit halber auch zu den Mädchen gerechnet habe. Dazur werden an einem Ort achtzehn Klosterfrauen aus ihren Zellen geraubt, zwei davon ohne ihren Willen, und eine sogar int bloßen Hemd, so wie ich jetzt vor Dir stehe. Und das alles wahr!...

"

Seltsamerweise wurden ich und Christoffel schon in der ersten Woche dicke Freunde. Während er, wie man mir sagte, für gewöhnlich im Verkehr mit seinen Nebenknechten ohne die Er klappte das Buch triumphierend zu, und da ich vor­Sprache auskam und sich mit lautem Denken begnügte, war gab, heute abend zum Lesen zu müde zu sein, versorgte er es er mir gegenüber bald sehr leutselig und aufgeräumt. Schon wieder in der Kiste. Das Buch springt nicht fort; Du kannst am dritten Abend kam er, während ich den Pferden das letzte ein halbes Jahr daran lesen. Ich habe auch jedesmal, wenn Futter aufschüttete, zu mir in den Roßstall herüber. Er tappte ich mich wieder daran mache, vier Wochen. Die Isabella muß erst eine Weile verlegen hin und her, worauf er wie nebenbei ein sehr schönes Frauenzimmer gewesen sein. Aber heiraten sein Anliegen vorbrachte. Er habe mir nur sagen wollen, hätte ich sie doch nicht mögen. Sie hätte auch nicht ganz zu daß ich sein Kolleg sein könne, wenn es mir daran ge- mir gepaßt. Die Hauptsache ist immer: das Buch nie liegen Tegen sei. laffen, gelt! Uns macht so etwas ja nichts. Aber für's Weibervolf ist das schädlich. Und wenn sie erst wüßte, daß ich so ein Buch habe, ich würde mich schwarz schämen, nicht bloß rot. An dem Tage, wo sie das Buch in die Hände be­kommt, geb ich von hier fort."

Ich machte den Pferden die Streu zurecht und gab 31, daß ich mir immer gedacht habe, wir zwei werden. miteinander auskommen. Gut, dann sei es also abgemacht, bestätigte er und wurde nun unversehens zutunlich. Ich zeige Dir, wenn Du willst, sogar mein Buch heute abend. Seit ich da bin,

.Den eigentlichen Höhepunkt erklemm Christoffels Bu