Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 95.
84]
Dienstag, den 20. Mai.
Die Bauern von Steig.
Roman von Alfred Huggenberger . Das Schlittenfest. ( Schluß.)
Ich war mit meinen Augen im geheimen beständig hinter dem jungen Gräbenrieter her. Er hatte ein wenig den breiten Mund seines Großvaters geerbt, der jedoch mit seinem sauber rafierten, unternehmenden Geficht nicht unangenehm auffiel. Der Gräbenrieter- Heinrich war, wie man wohl wußte, bei den Mädchen immer gut weggekommen.
Schon bei der zweiten Fahrt wußte er es durch einen Fleinen Betrug so einzurichten, daß er mit Margritte zufammenkam. Er war, nachdem er mit den Augen die Reihen rasch abgezählt, fast unbemerkt um zwei Bläge aufwärts gerückt, ohne daß der Schlittenmeister dies bemerkt hatte. Es entging mir nicht, daß er seine Schlitterin während der ganzen Fahrt eng umschlungen hielt und sich mit ihr im Flüsterton unterhielt. Ich meinerseits hatte inzwischen das zweifelhafte Vergnügen, die dice Bannhofer- Christine auf dem Schoß zu tragen, ihr fast finnloses Gesicht lag beständig so nahe an dem meinigen, daß ich den warmen Hauch ihres Mundes einatmen durfte. Wie das doch manchmal merkwürdig zu fammentreffe, fagte sie jede Minute zwei- oder dreimal und sah mich dabei mit ihrem hingebendsten Blicke an. Dann wieder klagte sie, daß es auf dem Schlitten so zügig" sei und fuchte in meiner unmittelbareren Nähe vor der Kälte Schutz, obschon ich bei ihr eher einen Ueberschuß von Wärme glaubte feststellen zu können. Mit ihrer vollen Stimmkraft sette sie darauf in das Lied ein, das einige Burschen und Mädchen angestimmt hatten und das nun hell und unverfünftelt in den Winterfrieden hinausklang:
" Wo Berge sich erheben
Zum hohen Himmelszelt..."
Ich dachte an die Ohrfeigen in Gemeinderat Kinspergers Hause und wunderte mich daneben über die schöne, flare Altstimme meiner Schlitterin, um die ihr mein Herz wahrhaftig ein ganz klein wenig entgegenkommen mußte. Während des Aufwärtssteigens gab sie mehrmals der Besorgnis Ausdruck, daß fie gewiß das nächstemal mit dem beinernen Christoffel fahren müsse. Es sei halt im Leben immer so, immer fomme das schönste zuerst und dann das andere.
Heimkehr.
1918
Stillschweigend, ohne von den andern Abschied zu nehmen, wandten wir uns dem Dorfe zu. Als sich der Lärm der Schlittenleute hinter urs an der Salde verloren hatte, legte fie mit füßer Selbstverständlichkeit ihren Arm leicht in den meinen. Der Schnee knisterte unter unseren Tritten. Ez war, als ob in diesem gleichförmigen Tone die falte Nacht mit uns reden würde. Wo geht Ihr hin? Wißt Ihr jetzt endlich voneinander?" Es reute mich, die liebe Stille zu brechen, als könnten sich unsere Seelen darin besser zueinander hinfinden. Als die ersten Häuser des Dorfes näherfamen, hielt ich fie plöglich an. Du ich möchte mich einmal jatt an Dir sehen!"
Nichts sagen jetzt!
-
.
Sie mußte lächeln, unsere Augen waren sich in der Halbbelle ganz nahe und hatten kein Geheimnis voreinander. Ich fonnte dem lieben Wunsch nicht widerstehen, ich legte beide Arme um ihren Hals und zog sie mit sanfter Gewalt an mich. Ich meinte, nur ansehen..." scherzte sie über den gebrochenen Zauber hinweg. Und wir füßten uns und waren fehr glücklich. Langsam schritten wir ins Oberdorf ein. Ich erzählte ihr leise davon, daß ich an den Stelzenhof denke und daß es mir fast nicht fehlen könne, da mit dem Leberer bereits alles abgemacht sei. Sie habe so etwas schon vermutet, sagte fie; und es sei ihr recht.
Du wirst nun wohl kündigen müssen," meinte sie nach einer Weile. Ich gab zu, daß ich herzlich gern geblieben wäre, weil ich jetzt an das Haus und an alles gewöhnt sei..
Wir sahen uns an und lächelten beide. Da war es bereits beschlossen. Gar zu lange nicht," beschwichtigte sie sich selber. Etwa bis Neujahr? Ich möchte Dir gern das Gute Jahr anwünschen."
"
" Ich Dir auch."
Wir gingen eben ant Schulhause vorbei. Es fiel mir etwas in den Sinn. Du, es ist lange her, seit ich Dir das ausgezackte Bildchen ins Buch legen wollte." Sie sah mich verwundert an.
„ Mir?"
Ja, Dir."
Sie dankte mir mit einem sehr lieben Blick. Es war mir, wie wenn sie ihre scheueste Mädchenfüße bis jetzt vor mir berborgen hätte. Der Gräbenrieter- Heinrich fand es nicht für notwendig, Mit wenig Worten sagte ich ihr, wie damals alles geauf der Bergfahrt beim Ziehen behilflich zu sein. Er fam gangen sei. Auch das wegen Hans Kinsperger, und wie ich mit seiner Schlitterin Arm in Arm gemächlich hinter den einmal nachts hinterm Brunnenstock auf sie gelauert habe. beiden Fuhrwerken her und unterhielt sich in ziemlich lebhafter Meine Fleinen Erlebnisse mit Mina Stürler, besonders das Weise mit ihr, wobei er fast immer allein redete. Die Belegte mit dem Lebkuchenherz, fand sie sehr kurzweilig. Und sprechung schien indes nicht ganz zu seiner Befriedigung aus- fie geftand mir, daß sie mich als Schulkind auch ein wenig gefallen zu sein, denn auf dem Wäldi - Boden angekommen, gern gehabt habe; aber dann sei ich auf einmal so unartig nahm er seinen Zweiplägerschlitten wieder an sich und fuhr geworden. allein bergunter.
Wir saßen noch ein Viertelstündchen in der warmen Diesmal tam ich mit Margritte zusammen. Es kam Stube beim Lampenlicht beisammen, wunderten uns über mir zuerst beinahe unglaublich vor, mein Nebenmann mußte unsere Dummheit und Klugheit und glaubten, daß sich nirmir einen Buff geben, ehe ich aus der Reihe trat und zu ihr gends auf Erden zwei so gut wie wir verständen. Unverhinüberging. Steif und hölzern machte ich meine Verbeu- fehens fing fie von meinem Schwank zu reden an; sie lachte gung. Erst als ich den Arm meiner Schlitterin in dem mich ein wenig darüber aus, daß ich mein Werk so ängstlich meinigen fühlte, gewann ich Mut und Munterfeit zurück. vor ihr habe verheimlichen wollen. Sie habe es drum doch Ich war nicht laut während dieser Fahrt. Mehrmals wandte ich mich mit unsicherem Blick nach ihr um; aber sie tat mir den Gefallen nicht, mir jetzt im Trubel auch nur für eine Sekunde ihre Augen zu schenken. Geruhig saß sie in der engen Haft und sah zu, wie die schwarzdunklen Tannen gleich Gespenstern an uns vorbeihuschten. Auf ihrem ebenmäßigen Geficht lag etwas wie ein Widerschein von der Stille der Felder.
" So schnell hätt es nicht gehen sollen," sagte ich ohne Verstellung zu ihr, als der Schlitten unten auf der Ebene hielt. Sie gab mir zu verstehen, daß sie für heute das Schlitten satt habe und nach Hause wolle. Da bat ich sie unauffällig, nein, ich bat nicht, ich hielt an:„ Duwenn ich bis zum Dorf mit Dir gehen dürfte..."
Sie hatte nur ein leises Nicken als Antwort. Aber in dieser heimlichen Bewegung ihres Kopfes, das niemand außer mir sehen sollte, lag für mich eine Welt von Glück und Wonnen beschlossen.
vor dem Lehrer Zimmermann zu sehen gekriegt. Sie wußte zu berichten, daß der Scherz dem Lehrer gut gefalle, und meinte ganz ernsthaft dazu, ich könnte vielleicht, wenn ich mir die Mühe nähme, noch einmal etwas viel Schöneres zustande bringen....
Ausklingen.
Die frumme Hubacherin hat ihren Sohn nicht aus Amerika zurückerwarten können, sie hat ihren zähen Glauben mit unter die Erde genommen. Aber ein anderer, der vielleicht mehr Recht darauf besaß, hat dafür sein gutes Bauernerbe angetreten. Der alte Rasten mit den zwei Sprüchen, der vor Seiten meinem Großvater als liebes Heiratsgut zugefallen sein mochte, steht jetzt nach langen Jahren der Verbannung wohlbehalten wieder an seinem Platz in der stillen Ecke, den er in den Tagen meiner ersten Jugend eingenommen hat. und ich habe ein kleines, gelbhaariges Rind davorstehen und mit den lieben Fingerlein die ihm rätselhaften Buchstaben betasten sehen....