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Vor den blanken Fensterscheiben des Stelzenhofs blühen I während des Unterrichtes vor sich hin, beteiligte sich natürlich mit meiße und rote Granien. Der verlotterte Zaun und das keiner Silbe und war weder durch Freundlichkeit, noch durch Er­Hausgärtlein ist längst wieder in stand gesetzt; meine Frau mahnungen und Strenge zu bewegen, diese Haltung aufzugeben. Margritte pflanzt Rosenkohl und Radieschen darin.. Sie hat Selbst im Schlaffaal oder bei den gemeinsamen Wahlzeiten im die gelben Krokusblümchen gern, und neben ihnen blühen ßfaal sprach es nie einen Ton. jedes Frühjahr die blaßroten Schlüsselblumen und ein paar Zweige Seidelbast.

Mädchen nun lange genug in der Anstalt gewesen sei, um ein Endlich riß mir die Geduld. Ich war der Meinung, daß das sehen zu fönen, daß ihm hier niemand ein Leid antun wolle, und daß es sich endlich herbeilassen könne, seinen findischen Trotz auf zugeben.

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Wenn der Armenpfleger Stocker jeden dritten oder bierten Sonntag am Stelzenhofe vorbeigeht, was er fast nicht laffen kann, und seine scheelen, mißgünstigen Augen über den gescheuerten Hofraum schleichen läßt, dann sieht er ein Pferde­geschirr mit blankgepuzen Messingschnallen am Nagel neben dem Stalleingang hängen. Und wer sonst des Weges tommt und etwas vom Land und von den Bäumen versteht, der fragt nicht, ob wir die Arbeit fürchten. Die Disteln auf den schönen Hausäckern hat das bedächtig schaffende Pflugeisen ausge­reutet. Selbst die verachteten Sumpfwiesen im Taubenmoos haben sich mit den Jahren eine um die andere grün gemacht, auf der nächsten hab' ich sogar drei Birnbäume gepflanzt. Es ist mir immer eine liebe Kurzweil, zuzusehen und zuzuhören, wie das dem sauern Boden durch mühselige Grabarbeit ent­zogene Grundwasser als ein flarer, nie versiegender Brunnen unten beim Haselschlag aus der Sammelleitung quillt, in welche die tief in die gelbe Lehmerde versenkten Röhren- au machen brauchen. stränge einmünden.

In unserer Kammer prangen in großen Ehren zwei ver­gilbte Zeugen aus meiner Malerzeit: Die Kirche von Steig und der Spruch, der vor Zeiten am Hause zum Steinernen Platz gestanden hat:

Laß Neider neiden, Hasser hassen,

Was Gott mir gibt, muß man mir lassen." Und in der altmodischen, mit Blumen bemalten kleinen Truhe auf der nußbaumenen Kommode bewahrt Margritte neben ihrem goldenen Halskettlein ein paar Gedichte auf, die unter einem fremden Namen irgendwo in einer Zeitung gestanden haben, von denen sie aber weiß, daß ich sie aus gedacht, und die ihr vor andern Versen, die ich etwa zu­fammengedrechselt habe, besonders lieb find. Denn es kommen mir manchmal beim einsamen Schaffen in Feld und Wald allerlei wunderliche Dinge in den Sinn, von denen ich auch anderen Leuten, besonders meinen Weggefährten, erzählen möchte. Ein Oberdörfler muß seine Idee" haben. Margritte meint etwa, es sei doch schade, daß sich niemand meiner an­genommen, daß ich nicht habe zur Schule gehen können; es hätte mir wohl mehr genügt, als ihr und vielen andern. " Ei," geb' ich ihr dann zu bedenken, in diesem Falle hätte ich vielleicht jetzt feine Frau, die auf mich so einen Stola hat wie Du. Und auch der Stelzenhof gehörte jetzt wohl einem andern; unser Höflein, von dem der Zeigerhaniß immer sagt, wenn er mit seinen Enkelbuben auf Besuch kommt: Es liegt so schön in der Sonne, Du es liegt so schön in der Sonne!..."

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Der Riegel.

Von Wilhelm Scharrelmann .

Sie werden bemerkt haben, daß in unserer Anstalt nicht eine einzige Tür unter Verschluß gehalten wird, sagte der Hausvater des Margaretenstiftes", als wir nach einem Rundgang durch die Räume der Anstalt wieder in sein Privatzimmer traten und uns zu einer Tasse Kaffee niederließen, die uns der alte Herr mit ge­winnender Freundlichkeit angeboten hatte.

Ich werde auch niemals dulden, daß das geschieht, solange ich hier für die Hausgesetze aufzukommen habe. Ein Riegel an einer einzigen Tür dieser Anstalt hätte mir beinahe einmal für immer die Ruhe meines Lebens genommen.

Es war in den ersten Jahren, die ich in diesem Hause zu­brachte. Wir hatten damals ein Mädchen überwiesen bekommen, das, wie die meisten, die hier verpflegt und erzogen werden, wegen Vagabundage und Gefahr der Verwahrlosung von der Polizei in Schubhaft genommen worden war, und der trostlosen häuslichen Verhältnisse wegen seinen Eltern nicht wieder zugeführt werden fennte.

Schon bei der Aufnahme in die Anstalt legte das Mädchen einen geradezu fanatischen Troß an den Tag. Sie weigerte sich, auf meine Fragen irgendeine Antwort zu geben, setzte allen unseren Bemühungen, fie freundlich zu stimmen, einen stumpfen, nicht zu beugenden Widerstand entgegen und war auch den übrigen Zög­lingen der Anstalt gegenüber von einer Verschlossenheit, die ebenso rätselhaft als hartnäckig war.

Jeder von unserem Personal gab sich die erdenklichste Mühe, das Mädchen mit Freundlichkeit und Ruhe allmählich zu gewinnen bergeblich. Es vergingen drei Tage, ohne daß es nur ein ein­ziges Wort sprach. Mit zusammengezogener Stirn starrte es

Ich drohte ihm also, daß es am nächsten Tage kein Morgen brot bekommen werde, wenn es bis dahin sein Schweigen fortsetzen werde. Es hörtr meine Worte wie alles, was man ihm sagte, mit aufeinander gebissenen Kiefern und zusammengezogener Stirn stumm an und war am anderen Morgen verschwunden! Anstalt enllief. Die Haustüren und Gartenpforten stehen hier den Es war nicht zum ersten Male, daß ein Mädchen aus der ganzen Tag über offen, und es gehört nichts Besonderes dazu, irgendeine Gelegenheit zu benutzen, um auf und davon zu gehen. Besonders in der ersten Zeit wollen unsere Mädchen, die durch schlechte häusliche Verhältnisse verdorben und zuweilen bereits an das Herumlungern und Vagabundieren auf den Straßen, Betteln, Diebstahl und zuweilen an schlimmere Dinge gewöhnt sind, zu kehren. Die Polizei liefert solche Flüchtlinge aber bald wieder ein, weilen nicht ungern wieder zu ihren alten Gewohnheiten zurüd­und man hätte sich auch um Rosa Welp keine allzu großen Sorgen

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Was den Fall aber besonders auffallend erscheinen ließ, war, daß das Mädchen zur Nachtzeit entwichen war. Sie fehlte schon frühmorgens beim Weden, und wir nahmen an, daß sie vielleicht schon in aller Frühe aufgestanden sei und sich irgendwo verborgen gehalten habe, um später, als die Haustür durch eine der Pflege­rinnen aufgeschlossen worden sei, auf und davon zu gehen, denn ein Sprung aus dem im ersten Stock liegenden Schlaffaal war ja so gut wie ausgeschlossen. Unser Haus ist kein Gefängnis, aber wie gesagt in solchen Fällen meine Pflicht, die Polizei zu verständigen. Es ist es ist ja nicht ausgeschlossen, daß ein solches Kind- Rosa war noch nicht der Schule entwachsen in die größte Gefahr gerät. Aber die Nachforschungen der Polizei blieben merkwürdigerweise völlig resultatlos. Sie war weder in der Wohnung ihres Vaters irgendein Anlaß, wohin fich das Mädchen gewandt haben tönne. berüchtigten Trunkenboldes zu finden, noch ergab sich sonst Anstalt. Am dritten Tage danach gab es eine neue Aufregung in unserer

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eines

Während der Nacht war nämlich haupt nie mehr vorgekommen war ein Laib Brot aus der Vor­was zu meiner Zeit über­ratskammer gestohlen worden. Kleine Diebereien werden ja in Anstalten wie der unseren wohl niemals ganz zu verhindern sein. Das eine oder andere der Mädchen fällt immer noch einmal einer Versuchung zum Opfer. Aber Brot zu entwenden lag wirklich kein und ich glaube, es ist hier noch kein Kind hungrig vom Tisch auf­Anlaß vor. Wir sparen hier durchaus nicht mit der Verpflegung, gestanden. Warum also etwas stehlen, was offen gern gegeben worden wäre? Ich war darum über diesen Diebstahl nicht wenig ärgerlich und stellte ein eingehendes Verhör an, brachte aber kein Licht in die Sache. Alle Mädchen versicherten, daß sie von nichts wüßten, und es ergab sich nicht die kleinste Handhabe für einen Verdacht auf irgendeine..

Ich hatte nach einigen Tagen den Vorfall bereits beinahe ver­geffen, als sich der Diebstahl in einer der nächsten Nächte wiederholte. Jetzt lief mir aber denn doch die Galle über. Jch hielt den Mädchen man glaubt in jungen Jahren ja noch an die un­bedingte Macht moralischer Betrachtungen eine gehörige Stand­rede und sprach schließlich die Erwartung aus, daß sich die Schuldige bis zum Mittag bei mir melden möge. Jch sicherte unter dieser Bedingung völlige Straffreiheit zu, drohte aber andernfalls die strengste Untersuchung an. Im selben Augenblick empfand ich, daß ich damit eine Ungeschicklichkeit begangen habe, denn es war die größte Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden, daß ich auch diesmal kein Licht in die Sache bringen und mich also höchstens blamieren werde.

Wie Sie bereits erraten haben werden, meldete sich wirklich nic­mand, und ich sah mich einige Stunden später in die Notwendig feit versetzt, mein Wort zu halten und die angekündigte Unter­fuchung anzustellen.

Sie verlief so, wie es vorauszusehen war. Das stimmte mich nicht gerade freundlicher, und ich ordnete schließlich an, daß die Speisekammer in Zukunft unter Verschluß gehalten werden solle, da ich den Zöglingen kein Vertrauen mehr schenken könne.

Ob das weise gehandelt war, will ich dahingestellt sein lassen. Aber irgend etwas glaubte ich unternehmen zu müssen, und so kam denn diese Verordnung dabei heraus, die feines der Mädchen ehr­licher machen konnte, dafür aber den Geist des Mißtrauens, der sich durch die letzten Vorkommnisse eingeschlichen hatte, auch für die folgende Zeit gewissermaßen ans Haus fesselte.

Nun hörten selbstverständlich die Diebereien auf. Die Tage gingen hin, und ich ahnte nicht, was ich mit meiner Maßregel, ohne es zu wollen, angerichtet hatte.

Ich habe die Verpflichtung, jeden Abend spät, wenn alles zur Ruhe gegangen ist, noch einmal einen Revisionsgang durch die