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eine Hauptstütze öffentlicher Vereinigungen, ein guter Redner einflußreiches Mitglied mehrerer politischer Komitees und wahrscheinlich Kandidat für die kommenden Wahlen. Als er im Publikum einen Nachbarn erkannte, der ihn ansah, nickte er diesem leicht zu, als ob er sagen wollte: Sie sehen, ich bin dal Also nichts ist zu befürchten! Der Gerechtigkeit wird Genüge geschehen."
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Oft hatten sie über den geheimnisvollen Fall diskutiert und übereinstimmend ein abfälliges Urteil geäußert. Sie wollten das Verbrechen bestraft und die Gesellschaft gerächt sehen. Hinter dem Apotheker saßen nur, durch Doktor Buthier getrennt, zwei Landwirte. Der eine, Mouchebise aus Longvilliers, war groß, blond und verlegen. Sein Nachbar, Glary aus Argenteuil , vierschrötig, mit sonnenverbranntem Gesicht, spannte schon ießt seine Geisteskräfte an, aus Furcht, ihm fönnten nüßliche Einzelheiten entgehen. Doktor Buthier, der seit einigen Jahren seine Praxis aufgegeben hatte, war ein sehr guter Arzt gewesen, der sich sowohl mit dem Körper als auch mit der Seele seiner Patienten zu beschäftigen pflegte. Er war ein Feind jeden Systems, ein Freigeist, der nie eine vorher gefaßte Meinung hatte. Oberst Ollomont, der Lette auf dieser Seite der Geschworenenbant, war ein Offizier vom alten Schlage, ein Haudegen, gebieterisch und impulsiv. Er fagte gern, daß man geradeaus sehen müsse, um einen richtigen Blick zu haben, und nichts war ihm verhaßter als Klügeleien. Auf der anderen Seite der Geschworenensiße sah man zuerst ein unliebenswürdiges, dummes, eigensinniges Gesicht mit spärlichem Barthaar und schlechten Zähnen. Es war der Rentier Mijour, der, nachdem er sich als kleiner Kaufmann ein bescheidenes Vermögen zusammengespart, sich in Viroflay angesiedelt hatte und den größten Teil seiner Zeit der Bestellung eines winzigen Gartens widmete. Seine geistige Nahrung bestand in der Lektüre von Lokalnachrichten und Gerichtsverhandlungen. Jedenfalls dadurch beeinflußt, fürchtete er beständig einen Einbruchsdiebstahl, ein Gedanke, der ihm, seitdem ihm seine Kaninchen gestohlen waren, zur firen Idee geworden war. Sein Nachbar Kloesterli, von Geburt Elsässer, wohnte in Pontoise . Durch seinen Uhrmacherberuf war er an andauerndes, fleißiges Sißen gewöhnt. Er richtete sich auf seinem Platz hier wie auf seinem Arbeitsschemel ein und hing feinen Träumen nach, ohne sich darum zu kümmern, was um ihn herum vorging. Auf den beiden folgenden Bläzen saßen Herr Souzier, ein ehemaliger Notar, und der Papierhändler Conthey . Beide wohnten in Montfort- l'Amaury. Souzier interessierte sich dermaßen für den Fall Lermantes, daß er dem bekannten Journalisten Chauffy anonyme Briefe mit Bermutungen zuschickte, und die Genugtuung hatte, fie mit der bekannten Signatur des Pamphletenschreibers wieder zu lesen. Wie oft hatte er mit Conthey, bei dem er seine Beitungen kaufte, darüber diskutiert. Jetzt hatte der Zufall ste nebeneinander gesetzt, um in diesem Fall, in dem sie immer verschiedener Meinung gewesen waren, zu urteilen. Sie hatten dem Rufe mit ungleichen Gefühlen Folge geleistet; Souzier mit Vergnügen, es war eine interessante Abwechselung für ihn, Conthey mit Bedauern, weil es ihm Zeit fostete. Aber beide waren sehr anständige Menschen und nahmen sich vor, zu vergessen, wie sie bis jetzt das Verbrechen aufgefaßt hatten.
Wenigstens werden wir jetzt wissen, woran wir uns zu halten haben," meinte Souzier.
,, Aber ich verliere drei Tage," seufzte Conthey. Die beiden letzten Geschworenen waren ein ehemaliger Senator, jeßiges Mitglied des Provinzialausschusses von Seine- et- Dise, Herr Durnant, und der andere, Herr Billon , ein Rentier aus Boissy. Sie waren sich bis jetzt fremd gewesen, aber durch gemeinsame Freunde hatten sie bald Befanntschaft gemacht. Trozz Bildung, Aufgeklärtheit, ja Klug heit, beurteilten sie Leute und Dinge mit leichtfertiger Unbefangenheit. Die Menschen flößten ihnen Mißtrauen ein und hatten sie einen etwas verächtlichen Skeptizismus gelehrt. Als sie ihre Plätze einnahmen, entspann sich folgende furze Unterhaltung zhischen ihnen:
,, Kannten Sie Lermantes?"
,, Nein, und Sie?"
,, Einmal bin ich ihm begegnet."
Na, und Ihr Eindruck?"
,, Sympathisch, aber man irrt sich häufig!"
Das Erscheinen des Gerichtshofes wurde angekündigt, und alles erhob sich von den Plätzen.
( Fortfebung folgt.)
Richard Wagners Leben.
1813- 22. Mai
1913.
aus, wie das der übrigen großen Mufiter. Seine Weise kommt Das abenteuerliche Leben Richard Wagners wirkt sich anders nicht aus der Einsamkeit der grauen Belle, aus der Dürftigkeit eines bürgerlich unscheinbaren Daseins, er will die Welt mit ihren Königen und Kapitalisten, ihren Künstlern und Krämern kommandieren, er will schwelgen in allen Genüssen der Erde, er will seine Kunst und noch mehr sich selber zur gebietenden Weltmacht erheben. So musiziert er denn immer auch an der sichtbarsten Stätte möglicher Geltung, auf dem Theater. Die troy allen gigantischen lärmend äußerliche Kaisermarsch, mit dem er 1871 dem Sieger über Gärens inhaltsarme Faustouverture der Pariser Zeit, und der Frankreich huldigte, sind ebenso ein paar versprengte Ausnahmen einer nicht für das Theater bestimmten Musik, wie die paar Lieder, die er in der seelisch bewegtesten und vertieftesten Zeit feines Lebens au Terten der geliebten Mathilde Wesendonk gefunden hat. Sonst keine Sinfonie, teine Kammermusif, feine Klaviersonate, also nichts auf dem Felde der Musikt, die man in einem nicht genug zu erhöhenden Sinne reine Musit nennt.
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Auch sein Leben ist Theater, Bühne, Virtuosenunruhe, nicht stil, innerliche Sammermusit. Wagner ist in Leipzig geboren ami 22. Mai 1813. Der Vater, ein Polizeiaftuar, stirbt bald nach der in deffen vielseitiger, unruhiger Geschäftigkeit er ist Schauspieler, Geburt des Knaben, der Hausfreund der Familie, Ludwig Geyer , Dichter, Maler - die Wesenszüge des Stiefsohnes merkwürdig vor gebildet sind, freit die Witwe. Der phantastische Knabe, der in Dresden heranwächst, versucht sich früh an dichterischen Entwürfen, während die musikalischen Neigungen erst auffällig spät fich regen. Dann entscheidet er sich für die Musik als Lebensberuf. Der Zwanzigjährige wird als Choreinstudierer an das Stadttheater in Würzburg engagiert; er hat aber, wie es in dem Vertrag heißt, nötigenfalls auch als Mitwirkender sprechender oder stummer Rollen in Schauforderlich, sich nützlich zu machen." Nach pünktlicher Erfüllung dieser spielen, Tragödien und in mimischen Gruppen im Ballett, soweit erPflichten werden ihm monatlich 10 Gulden zugesagt, im Falle von üngehorsam und Unbotmäßigkeit darf die Direktion ihn strafen. Es wird sogar vorgesehen, daß die Strafen das Einkommen Richards übersteigen und für diesen Fall werden zwei Bürgen verpflichtet, die Bußen an die Direktion zu entrichten. Dieser Würzburger Bertrag zeichnet schon all das soziale, durch die Ungebundenfünstlerische Vagabundenelend der folgenden Jahre. heit der Lebensführung zugleich betäubte und berichärfte Kapellmeister in Magdeburg , schreibt die ersten Kompositionen, häuft Er ist Schulden und berauscht sich an der Schauspielerin Minna Blaner, die in Königsberg mit ihm eine bürgerliche Ehe ohne jede bürgerliche Existenz eingeht. Diese Jugendehe wird jeden Tag aufs neue in Scherben geschlagen und immer wieder gefittet. Er sucht un abläffig nach dem erlösenden Weib, das er abwechselnd in seinen Phantasieschöpfungen fich erfindet und in der Wirklichkeit des Lebens fich aufspürt, fie dagegen sucht nach dem erlösten erlöften braven Familienvater, figierten Stapellmeister und fleißigen Mann, nach einem von Schulden, Unsicherheit des Daseins, Unruhen und erfolgreichen Opernfabrikanten. In diefen Jahren ist Richard Wagner immer wie auf der Flucht. Königsberg endet mit dem Bankrott, in Riga bedrohen ihn seine Gläubiger mit der Schuldhaft. Das Ehepaar flieht zur See nach London , wo es mittellos eintrifft, er mit dem seelischen Gepäck der Sturmmelodien beladen, die hernach im Fliegenden Holländer " Gestalt gewinnen. Seit dem Herbst 1839 lebt Wagner in Paris , hungernd, niederfter Brotarbeit harten Röten Rienzi" und" Holländer ", feimen Tannhäuser " und hingegeben, bis in den Schuldturm geheizt; doch entstehen in diesen Lohengrin ". Der Name Richard Wagner beginnt zu flingen. Er findet Freunde, Werber, 1842 endigt die Pariser Not, er wird Stapellmeister am Dresdener Hoftheater, wo er alsbald mit dem„ Rienzi " rauschenden Erfolg erwirbt. Dagegen bleibt der Fliegende Holländer" unverstanden. Seine stürmische Begehrlichkeit findet in der dünnen Hofluft und in dem dürren Beruf eines Mufitbeamtentums feine Befriedigung. Seine verhaltene Leidenschaft raft sich im„ Tann aus wirtschaftlichen Bedrängnissen herauskommt, so sehr fich häuser" aus. Zugleich sorgt er selbst dafür, daß er niemals immer wieder die männlichen und weiblichen Helfer drängen, ihn zu erlösen.
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Die Kunst ist für Richard Wagner durchaus nicht Ersatz des Lebens. Großes Erleben auf dem Theater gewiß! Aber wichtiger dünkt ihm das große Theater im Erleben. So wird ihm die Revolution zum allerpersönlichsten Bedürfnis.
Seitdem Richard Wagner für die Fürsten und Millionäre musi zierte, ließ er seine Teilnahme an der Revolution immer mehr zufammenschrumpfen. Schließlich blieb nicht viel mehr übrig, als eine harmlos gefährliche Spielerei, aus unbefriedigtem Kunstdrang und für rein fünstlerische Zwecke. Immerhin war nicht wegzuleugnen, daß er wegen Teilnahme an dem Dresdener Maiaufstand von 1849 Steckbrieflich verfolgt wurde, und daß er viele Jahre hindurch als Flüchtling im Auslande leben mußte, auch die Tatsache war untilg bar, daß der Dresdener Hof sich allen Bemühungen seiner Freunde hartnäckig widersetzte, den Hochverräter zu begnadigen.
Da Bayreuth bis zur Stunde sorgsam die Zeugnisse der revolutionären Betätigung Richard Wagners zurückbehält oder zurecht