Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 100.
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Dienstag, den 27. Mai.
Das entfelfelte Schickfal.
nis Roman von Edouard Nod.
1918
Gleich zu Beginn Ihrer Ehe haben Sie sich luguriös eingerichtet. Weder Ihr eigenes Vermögen noch die Mit gift Ihrer Frau berechtigten Sie zu dieser Eleganz. Es war sind Sie diesen Weg immer weiter gegangen." die Folge Ihrer Verschwendung von Jugend an. Uebrigens
Ein wenig verwirrt blätterte der Präsident schnell in feinen Notizen. Noch suchte er die Beziehungen Lermantes zu feinem Wohltäter festzustellen. Lermantes witterte die Es ist richtig, daß ich es schmückte, so gut ich konnte. Ich Ich verdiente viel Geld. Mein Heim war mein Glück, Gefahr dieser Fragen. Sie konnten Worte aus ihm heraus- versuchte es derer würdig zu machen, die es verschönte." locken, aus denen begierige Ohren die Gemeinheit der Undankbarkeit heraushören könnten. Die Klippe vermied er: da er nicht undankbar gewesen war, fonnte er auch in diesem Sinne nicht antworten. Deshalb berichtete er im Gegenteil von unbekannten, ihm geleisteten Diensten, von erwiesenen Freundlichkeiten, um die nur er allein wußte, und zeigte furchtios, wie er mit Wohltaten überhäuft worden war, als ob er einen Trost darin suchte, dem Andenken seines Opfers zu huldigen. Nicht ein Wort entschlüpfte ihm, das feindselige Aufmerksamkeit zu seinen Ungunsten ausnuten konnte. Chaussy, der auf der Lauer nach einer Unflugheit lag, fonnte ihm nur eine große Gewandtheit vorwerfen.
" Bu geschickt gedreht," flüsterte er feinem Nachbar zu. Aber nein," erwiderte Bogis, er wehrt sich wie ein anständiger Mensch."
,, Sie mußten immer etwas Neues haben. Sie hatten Ihr Haus Rue des Vignes noch nicht ganz bezahlt und schon fauften Sie sich eine Villa in Etretat und ein Schloß in l'Aveyron." „ Die Summe, die ich auf mein Haus schuldig blieb, be trug faum ein Drittel seines Wertes. Meine beiden anderen Besibungen sind sogleich bar bezahlt worden."
„ Sie sind Ihren Architekten und Ihren Baumternehmern noch Geld schuldig?"
Ich stehe in Verrechnung mit ihnen."
Sie sagten vorhin, daß Sie nach Ihrem Mißgeschick int Klub nicht mehr spielten, Aber dafür haben Sie beim Rennen gewettet und hohe Summen verloren."
War ich der einzige?"
Das ihm anfangs mißgünstig gefinnte Publikum nahm Auf der Geschworenenbank machte Doktor Buthier eine jetzt zu seinen Gunsten Partei. Man merkte es in dem zu- fleine Bewegung, die Nachficht bedeuten sollte. Als er noch rüdgehaltenen Schwirren, daß seinen Antworten zustimmte, praktizierte, warfen ihm seine Batienten schon seine Vorliebe an der Haltung der Menge, selbst in ihrem Schweigen, in für diesen Sport vor. und seitdem er keine Beschäftigung dem Ausdruck der zufammengedrängt sigenden und stehenden mehr hatte, huldigte er ihm noch mehr. Durnant und Pillon Menge, die wie hypnotisiert lauschte und mit aufgesperrtem tauschten, über Conthey hinweg, der nie seinen Laden verließ. Augen und offenem Munde gespannt zuhörte. Man fühlte, ein Lächeln aus: die Strenge des Präsidenten überschritt wie wenig dazu gehöre, ihr diesen Verdächtigen unschuldig, wirklich die Grenze des Erlaubten. Klaesterli, der die ganze diesen Ausgestoßenen sympathisch erscheinen zu lassen, und Woche über seinen Arbeitstisch gebeugt faß, fehlte am Sonnwie sie mit ihrer leicht bestimmbaren Meinung sich nun auf tag weder in Auteuil noch in Longchamps beim Rennen. Gedes Angeklagten Seite schlug. wöhnlich verlor er zehn oder zwanzig Franken; wenn er
Herr Motiers de Fraisse ließ einen raschen Blick über den Saal gleiten: Frau de Luseney, Proz, Lavancher, Lavenne und noch manche andere toaren Gäste von Lermantes gewesen. Würde man ihnen das vielleicht vorwerfen? Tout Paris war in der Rue des Vignes zu treffen gewesen, man war Ministern begegnet, Mitgliedern des Instituts. Diplomaten, Botschaftern und Generälen.
"
Jetzt begann Herr Motiers de Fraisse ein anderes Ka- Tips" erhalten hatte, noch mehr. Aber er hatte vor sich selbst pitel aus dem Leben Lermantes'. Er hatte die Absicht, die Entschuldigung, daß er nach den sechs arbeitsreichen Tagen Schritt für Schritt dieser ereignisreichen Existenz zu folgen. der Woche den Sonntag brauchte, um den Nerven wieder Ja, dieses Leben war mehr bewegt als vorsichtig gewesen, Spannung zu geben; das hindert ihn jedoch nicht, andere, die manchmal wild, oft sogar stürmisch. Der Angeklagte gab eine fich beim Wetten ruinierten, streng zu verurteilen. übersichtliche Schilderung feiner zahlreichen Handlungen." Sie gaben glänzende Feste. Ich weiß, daß Ihre EinAber schon ihre große Menge verwirrte. Sei unsere Existenz ladungen sehr begehrt waren von Glanz oder Dunkelheit umhüllt, Gutes und Schlechtes ist immer darin vermischt. Alle dunklen Fäden waren aus der verschiedenfarbigen Strähne, aus der sein Leben bestand, herausgezogen worden, und zwar waren sie derartig herausgelesen, daß ungewisse neutrale Dinge einen anderen Schein annahmen und gegen ihn zeugten. Das Böse überwog demnach reichlich, und das Gute zählte nicht mehr. Gewiffe Tatsachen veränderten sich schon dadurch, daß sie hier verhandelt und unter der Lupe des Gerichtshofes betrachtet wurden. So mußte er bei seiner Verheiratung Beziehungen zu einer Frau aufgeben, von der ihm die Trennung nicht leicht geworden war. Jetzt folgerte man daraus, daß seine Eheschließung auf Berechnung oder Interesse beruht hatte. Er aber erinnerte sich seines Entzückens bei dem ersten Busammentreffen mit seiner Braut, seiner Erregung bei dem Nahen wahrer Liebe, seines Rausches, sich dem sanften, starten Gefühl zu überlaffen, das seinen Lebensweg erhellte. Die schönen Jahre neben der teuren Gefährtin, die seine Sorgen und Hoffnungen teilte, ihn in traurigen Stunden aufrecht erhielt und mit zärtlichem Stola seinen Stern sich erheben sah. Aber sollte er vor den Richtern, vor der Menge das friedliche Idyll eines start beschäftigten Mannes erzählen, der sich seiner Arbeit entriß und sein Heim wie eine foftbare Erfrischung genoß, von dem jeder Zug feine Kraft hob. Er schrie auf:
" Bu einem Ihrer Feste ließen Sie den Tenor Bellincione aus Rom kommen... „ Er hat eine Arie von Perofi herrlich gesungen," flüsterte Lavancher.
Bu einer anderen Gelegenheit eine berühmte Sängerin aus Wien . Die Zeitungen nannten geradezu fabelhafte Summen."
Das ging über Kloesterlis Horizont. Daß man beim Wetten große Summen verspielt, geht noch). Man kann ge winnen; aber weshalb für schweres Geld aus Rom oder Wien Künstler kommen laffen, da es doch so viele in Paris gibt? Derselbe Gedanke überflog die sorgenschwere Stirn Herrn Mijour': um sich solche Launen zu gestatten, muß man ein Verschwender sein.
Der Ton des Präsidenten wurde strenger.
,, Auf einer Ihrer Gesellschaften ließen Sie eine Sängerin der Opera- Comique fingen, mit der Sie eine Liebschaft hatten."
Man kann alles herabziehen! Es ist so leicht, wenn es fich um einen Mann handelt, der auf dieser Bank sizt. Aber Es handelte sich um eine Tändelei zur Zeit, da Frau wenigstens meine Kinder wissen, daß ich ihre Mutter ge- Lermantes sich langsam von ihrem letzten Wochenbett erholte, liebt habe." ein Streich, wie er bei temperamentvollen Männern vorfommt und ebenso schnell vorbeigeht, wie er gekommen war. Aber wenn man so seine Fehler vereint aufgezählt hört, empfinden auch die Nachsichtigsten für ihre eigenen Schwächen eine merkwürdige Sittenstrenge und richten sich unbarmherzia selbst. Hier wog jedes Wort wie ein Urteil. Lermantes Dann begann er Bermantes über seine Ausgaben und ge- fühlte, daß er mit einem Schlage das gewonnene Terrain schäftlichen Angelegenheiten zu befragen
Worte, die aus vollem Herzen hervorsprudeln, verfehlen nie ihre Wirkung. Durch das Auditorium ging zitternde Erregung. Gleichgültige Lippen murmelten: Sehr gut gefagt!" Aber der Präsident unterbrach ihn bart: Wir werden nachher barauf zurückommen."
verlor. Auch das einzige Glück, das er noch hatte, das Ber