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Sie glauben wohl, daß Sie sich im Vollbesiz Ihrer Mittel befinden würden?" ich, ich würde ganz dreist auftreten. Ich habe doch mein gutes Gewissen, nicht wahr?"

Andere protestierten gegen die außerordentliche Strenge des Präsidenten.

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Ein Jansenist," stellte der Schriftsteller Jean Toma fest. Aber vorsichtig, wie sie waren, wollte keiner so recht zeigen, was er dachte. Crevola suchte ein unfluges Wort, das er geäußert hatte, zurückzuziehen: Biele machen hals brecherische Geschäfte," meinte er, aber Lermantes hat doch die Grenzen überschritten!..." Broz, der sich mit seinen Gläubigern die tollsten Sachen erlaubte sogar einen Ge­richtsvollzieher anborgte, der ihn pfänden wollte, begriff nicht, wie man mit solchen Sorgen leben konnte. Dann wechselte er die Unterhaltung und erinnerte an das Fest des vergangenen Winters bei Lermantes, das galante Jahr­hundert". Die Eingeladenen waren in Kostümen im Stil Louis XV.   erschienen, lebende Bilder nach Watteau   waren gestellt worden, ein Menuett von den besten Tänzern der Oper nach der Musik von Lully   getanzt und ein Maskenschera nach einer Bühnenanweisung von Riccoboni wieder aufge­frischt worden.

Alles von vollendetem Geschmack," versicherte Lavancher. " Frau d'Entraque dadrüben war als Marquise von Pompadour... ein Stil... ein Benehmen... ich hatte ihr angeboten, sie zu malen, sie wollte nicht!"

,, Wen stellte doch Lermantes gleich dar?" " Den Herzog von Choiseul... sehr elegant." Größe und Verfall!... Wirklich, er tut mir leid! Ich wünschte, daß er sich aus der Affäre zieht!"

Hm," meinte fopfschüttelnd Lavancher, aber die Freude Hat doch ein Ende! War man erst eingesperrt, hat man im grünen Wagen gefeffen, dann kann man so unschuldig wie ein neugeborenes Kind gewesen sein, man zieht sich nicht mehr als Herzog von Choiseul   an."

( Fortsegung folgt.).

Die Alten und die Neuen.

Die Ausstellung der Berliner   Segeffion. II.

Die Holzfiguren des Ernst Barlach   bestimmen den Wert des fünften Saales: er ist das Allerheiligste dieser Ausstellung. Die dunkelblauen Wände, gegen die das lebensvolle Braun des Holzes fich prachtvoll abhebt, verkünden die Würde des Raumes: Barlachs tiefempfundene Figuren sind der höchste Grad der Mensch­lichkeit, den uns die Kunst dieser Ausstellung zu vermitteln ver­mag. Barlachs Figuren rühren an die Seele; sie zwingen zu dem Befenntnis, daß in der Kunst letzten Sinnes das Empfinden den Ausschlag gibt. Freilich nur dann, wenn es die Kraft hatte, sich eine homogene Technik zu gewinnen. Vor Barlachs Figuren spürt man das Wachstum alter, wettererprobter Stämme; man spürt Wurzelkraft und das lange Träumen einsamer Riesen im Walde. Dem Künstler sind seine Figuren zugewachsen; während er unter belaubten Kronen wanderte oder den Sturm durch kahles Geäst sausen hörte, traten diese gebeugten, leidenden, das Glück suchenden Menschenkinder auf ihn zu, fie lösten sich wie Schatten aus dem dunklen Gedränge der Eichen und Buchen. So wird Holzplastik geboren. Der Künstler, der Geburtshelfer, hat nichts anderes zu tun, als mit dem Messer dem Formwillen der Faserzüge und Jahresringe liebevoll nachzuhelfen. Das scheint wenig und ist doch unendlich viel. Wie schon Michelangelo   gesagt hat: ich sehe die Figur im Stein, im rohen Block ist sie längst fertig geborgen, ich brauche sie nur herauszuholen. So schliefen Barlachs schmerzvolle Gestalten im Holz; sie sind darum hölzern und sind zugleich ge­tränkt vom Saft der Natur. Da sind Zweie, die schlafen, fest und schwer, wie vom Schicksal an die herzlose Güte der Erde gedrückt; da find andere Zwei, die erschrecken ob einer ungeheuren Er­scheinung, die über ihnen dahinzieht, sie beugen sich weit nach rück­wärts, ihre Leiber liegen fast parallel zum Boden. Einer, der schreitet gegen den Sturm, entschlossen, hellseherisch; und wiederum Einer, der blieb allein, er trägt ein erloschenes Licht, als wollte er suchen, aber die Müdigkeit, die über ihm liegt, wird ihn nieder­zwingen, er wird ein Einsamer bleiben, ein entblätterter Stamm im uralten Wald.

Alle große Kunst ist pantheistisch, ist eins mit Gott   und der Welt. Solcher Pantheismus sichert den Figuren des Berlach die Beständigkeit; Kolbes Bronzen haben davon nur wenig. Das find so Unterschiede, die gefühlt sein wollen, die faum zu erweisen, die aber doch entscheidend find. Kolbes tanzende Amazone ist mehr ein plastisches Problem, als ein förperhaftes Erlebnis oder ein Erleben des Körpers. Auch die Büste, die Kolbe nach van de Velde machte, zeigt diese Schwäche: sie ist mehr artistischer Effekt als ein

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drucksvolle Menschlichkeit. Aehnich steht es um den Jüngling des Italieners De Fiori; der langgestvedte Att wirkt absichtlich und nicht durchschauert von gotischem Gefühl. Hingegen, die beiden Panther, die August Gaul   aus einem grauen Stein schlug, leben ihr doppeltes Sein als Fels und Tier, als starre Form und elastische Sprungbereitschaft. Kunst und Natur sind eines nur!

übners werden von Jahr zu Jahr loderer und damit Saal VI ist schnell zu erledigen. Die Hafenbilder Irich amüsanter; der Einfluß Monets und der jüngeren Franzosen tut diesem eifrigen Deutschen sehr gut. E. R. Weiß lernt auch mancherlei; seine Selbstgewißheit aber entartete inzwischen zur Kritiflosigkeit. Er fabrizierte einen schwarzweißen Herakles, der so ausschaut, als wäre er einem romantisch- mythologischen Garten­faal des Biedermeiers entsprungen: traurig- fomisch. Ein dekoratives Stilleben und ein Straßenbild sind ein wenig besser. Großmann weiß mit seinen Nervositäten, den torkelnden Marionetten einer Absinthpsychologie, stets au beluftigen; lahme Eugen Feits ist als Bildnismaler ein bohrender Beobachter; Vorstadtgäule und morsche Mietsfasernen fallen auseinander. er sieht das Lauernde und Versteckte der Seele. Er enthüllt es, tut das aber mit geschmackvoller Diskretion: ein Causeur des zweiten Kaiserreichs. Hedendorf, der draufgängerische Land­fchafter, entwidelt sich; Bantot pflegt die Farbenkomposition, er wendet ſein Temperament und sein Geschick an Bildnisse. Nun kommen wir auf das Schlachtfeld des Tages. Lohnt es fich, mitzutun? Wird aus dem Kampf der Theorien und Pro­gramme sich dieses oder jenes in die Geschichte hinüberretten? Wer möchte mit Bestimmtheit ja oder nein sagen! Nur eins ist gewiß: diese viel experimentierenden Maler meinen es bitter ernst. Und das andere: sie sind keine Stümper. Wenn sie sich heute mit stam­meinden Andeutungen begnügen, so darf nicht vergessen werden, daß mancher von ihnen sich schon vor Jahren als ein geradezu fanatischer Zeichner des Details bewährte. Was wollen diese Re­voltierenden: absolute Malerei. Malerei, gelöst vom Gegenständ lichen, nur Klang, Harmonie und Rhythmus. Also: Ornament! Ornament aber ist Kunstgewerbe. Die Revoltierenden aber wollen gerade umgekehrt das Kunstgewerbe, die geschmacklich tüchtige flaffen Unklarheiten. Nur wenige der Stürmer lassen uns durch Dekoration, die Stick- und Intarsienvorlage, überwinden. Hier ihre Werke die Trübungen ihrer Dogmen vergessen. Und gerade. diese Wenigen halten es nicht gar so ernst mit der Todfeindschaft gegen die harmlose Natur. Da ist Henri Matisse  , einer der Väter. Vorhin, im Barlachsaal, sind wir absichtlich an dem dort hängenden großformatigen Tanzbild vorbeigeschritten; wir werden es gleich beschauen. Zunächst die drei kleineren Bilder in Saal VII. Ein farbenjubelndes Stilleben: eine runde, blaue Tischplatte, zwei dünne, grüne Beinstützen nur leicht angedeutet; die Platte in Auf­sicht, nach hinten zu scheinbar schräg anlaufend. Auf der Platte in hellbräunlichem Topf ein Alpenveilchen: grün- violett. Blauer Hintergrund mit angedeutetem grünen Vorhang. Also wirklich keine Sensation, aber ein Klang, der den Sommer in das Blut hinein­hämmert. Alles an dem Bild zeigt, daß der Maler nichts anderes begehrt, als die Farbe wie ein delitates Frühstück zu servieren. So ist auch ein zweites Stilleben, so auch das Porträt einer Dame zu empfinden. Auf dem Tanzbild hingegen will der Zug der Linien die entscheidende Wirkung üben. Fünf nackte Mädchen schweben im Reigen vor Hellblauem Himmel über eine saftgrüne Wiese. Die Körper wurden zu Flächen, ihre Umrisse zu Schrift­zügen; das Ganze wirkt wie ein graziöser, luftiger Schmörtel, wie das Vorüberfliegen von Trapezturnern, wie ein Berflattern von Gewölf. Ist das nun ein Bild? Ist das Malerei? Es ist dieser Linienfluß jedenfalls ein Vergnügen für die Sinne; und wer diese Farben hinſtrich, wußte die Nuance zu fühlen. Aehnlich wäre von May Pech st ein zu sprechen. Nur daß bei diesem Deutschen im Gegensatz zu Matisse  , dem Pariser, das Akademische weit deutlicher zu spüren ist; auch wirkt die Farbe genau um soviel schiverer, als germanisches Blut dicker ist als gallisches. He del und Kirchner sind mit Respekt zu nennen; hinter den Grimassen ihrer Sprünge wartet ein bewegliches Talent der Stunde, da die übersichere, nihilistische Verbissenheit einem ruhigen Genießen und zugleichh einem dogmafreien Arbeiten den Platz räumt. Derain  , wieder ein Pariser, ist ein rechter Mathematikus; das Zeichnen der Klassifer um David und Ingres   hat es ihm angetan. Er zeigt uns hier einen Tisch, der genau umgekehrt gegeben ist, als die übliche Perspektive ihn uns sehen ließe: hinten breiter als vorn. Dies Paradoxon ist sozusagen das Thema des Bildes. Ein wenig billig und nicht neu: der Grundriß des Petersplates hat solchen Wit, das Zurückliegende durch optische Täuschung zu vergrößern( hier also: den Tisch wuchtiger zu machen) längst zu nutzen gewußt. Wir aber stellen fest: französische Akademie, David, Ingres  , Poussin  , Barock, Pompeji  ( Eugène 3ad), Byzanz und Orient( Her mann uber): diese Revoltierenden sind zu einem sehr erheb­lichen Teil Nachkömmlinge und. Lastträger längst verstorbener Kulturen. Ueber andern schwebt die Dekadenz alternder Erotik, fo( Enal VIII) über: Manguin  , Marquet, auch über Seurat  . Wenngleich just dieser Seurat( ein Theoretiker des Neoimpressionismus) ein ebenso fluger wie gelentiger Kerl ist. Klug ist eine sommerliche, von Spazierenden bevölkerte Landschaft; die Senkrechten der Bäume und Menschen stecken die Tiefe ab, ohne die Schwere der linearen Perspektive in das Bild zu tragen. Frech und gelentig ist die bekannte Tanzerei Chahut"; die