... Wolle» Sie nur erklären, wieso ein geschickter Jäger wie Sie. der nach Kaninchen scharf schießt, eine solche Zielscheibe verfehlen kann, wenn er Rehxosten nimmt?" „Aber ich hatte keine Rehposten, Herr Präsident!... Als Herr d'Erstfeld sie verteilte, ließ ich mir keine geben!... Ich hatte nur Kugeln, der Damhirsch kann davon gestreift worden sein, ohne seine ffludtf verlangsamt zu haben." „Das ist möglich, falls Sie nicht aufgeregt oder außer Fassung über das waren, was Sie eben getan hatten..." „Was ich eben getan hatte? Davon hatte ich keine Ahnung. Ich glaubte nur das Tier verfehlt, meine Kugel nutzlos verfeuert zu haben. Das war alles!" „Nutzlos verfeuert war sie sicher nicht!" Das Auditorium geriet in Aufregung. Es erregt sich immer über Worte, die es brutal zu seiner etwas abgelenkten Auftnerksamkeit auf die Tatsache zurückführen. Lermantes' klare Versicherungen genügten nicht mehr, Glaubwürdigkeit hervorzurufen. Er wußte auf alles zu gute Antworten zu geben. Man hatte ihn im Verdacht, die strittigen Fragen gewittert und über seine Auseinandersetzungen reiflich � nachgedacht zu haben. Aber wie viele Dinge blieben doch noch unverständlich? „Wenn Sie den Damhirsch gestreift hätten, würden sich Blutspuren gefunden haben." „Ein fürchterliches Gewitter ist fast sofort gekommen, der Regen fiel in Strömen." Unabsichtlich murmelte der Staatsanwalt: „Gerade zur Zeit." <Fortsehung folgt.)! Oas ReiterUeäcKen. Von Paul Zech. l. Da lag ein Dorf in der Nähe von MonS . Immer das Bahn- gleise entlang mutzte man gehen. Eine halbe Stunde vielleicht. Es gab aber auch Leute, die nur zwanzig Minuten dazu brauchten. Je nachdem. DaS Dorf war unansehnlich und hart. Denn keine Vorgärten lagen protzig vor den Häusern. Und auch kein Springbrunnen stand auf dem Marktplatz: nur ei» großes hölzernes Kruzifix. Aber eine Kirche hatte dieses Dorf und eine Schule. Die Schule war krumm und blind wie ein Kriegsveteran. Und auf dem Kirchturm nistete eine Storchfamilie. Und genau vierundzwanzig Häuser waren noch vorhanden. In dem ersten Hause wohnte der Pfarrer mit dem Mctzdiener. Es war ein großes wettzeS HauS. Auf den Fensterbrettern standen ein paar Blumentöpfe, und dicht dahinter hingen blaue Gardinen herunter. DaS zweite Haus gehörte de«, Lehrer und da» dritte dem Bürgermeister. Beide Häuser hatten grüne Türen und flache Dächer. Und dann kamen noch zwanzig Häuser, die waren alle wie ein HauS; schwarz und torfgepicht, und vor den Fenstern lagen Mist- Haufen: Aufgehäuftes vo» Ziegen und Schweinen und Kaninchen. Das vierundzwanzigste HauS war auch schwarz und torfgcpicht. Aber statt des Düngerhaufens lag immer ein Kind in der Sonne. Und in der offenen Tür, die zweiteilig war, stand die Frau Huhs- mannS und strickte. Jean HuySmannS, ihr Mann, war ein Steiger. Jeden Morgen nin fünf fuhr er auf dem Dreirad zur Grube. Und er kam erst nach sechs Uhr abends wieder zurück auf dem Dreirad. Er atz dann und trank wie einer, der viel arbeitet. Und nach dem Essen ging er gleich zu Bett. Manchmal küßte er auch die Frau noch, ehe er schlafen ging. Wenn er ihren versteckten Mund sah und die Augen, sagte er immer wie aus der Ferne:„Liebe Madelaine!* Und sie kräuselte die Lippen und küßte ihn. Und«in Kater strich schnurrend an ihrem Fuß. Nach einem Weilchen stiegen sie dann zu zweit in» Bett. Und als eines Abends Jean HuySmannS wiederum Frau Made- laineS Mund suchte und die Augen, und ein ganz klein wenig näher „Liebe Madelaine" sagte, nahm fie seine Hand und zerbrach darin etwas. Und Jean kam noch ein wenig näher und meinte:„Wir könnten unS doch gut einen Kostgänger halten I" Da schoß ihr Mund auS der Tiefe empor, wie wenn sich eine kleine, süße Muschel öffnet. Und die Augen streckte sie wie zwei Fühler au». Ein Lachen war darüber gespießt, daS war rot wie ein Herz. Und es war ihres ManneS Herz. n. Am anderen Morgen, kurz vor dem Mittageffen kam der Kost« gänger. Er reichte der Frau die weiche rotfleischige Hand wie ein Bekannter und sagte:„Der HuySmannS schickt mich. Stappen, Leon Stappen ist mein Name." Und die Frau ließ die warme Hand lang- fam entgleiten und nickte. Der Kostgänger wollte gleich seine Schlaskanuner sehen. Und als fie ihn die Treppe hinaufführte nnd das Zimmer aufriegelte. wo ein frischbezogenes Bett sehr breitbeinig stand, dachte Frau Madelaine: er wird fünf Jahre jünger sein denn Jean. Und sein Haar ist ganz anders. Er wird ein Vlam« fein. Vielleicht ans St. Amand, wo meine Schwester wohnt. Da Leon Stappen sich umwandte mit blitzenden Zähnen, meinte Madelaine schlicht:„Nun wollen wir essen. Ich habe Kohlrüben ge- kocht mit Hammelfleisch. Jean mutz jetzt Aufgewärmtes essen. Ich habe sonst immer des Abends die Mittagskost gekocht." Er verzog gleichgültig den Mnnd und trommelte mit dei, Lippen so wie HuySmannS, wenn er Sauerkraut mit Pfötchen ge- gessen hatte. Aber diese Lippe» sagten etwas anderes. Dann gingen die Zwei hinunter und aßen. Und nach de», Effen holte Madelaine da» Söhnchen aus der Kammer und hielt eS dein Kostgänger hin. „Das ist Pull!" „Ja. das ist Pull l" „Vier Jahre wird er im Herbst und dann bekomint er Hosen an, und ein Pferdchen wird ihin Vater kaufen." „Ja, ja, ein Steckenpferdchen werde ich ihm kaufen," sagte Leon Stoppen und nahm den Buben aufs Knie nnd ließ ibu reiten. Eine ganze Weile ritt daS Söhnchen so auf den. Knie des Kostgängers. Und Madelaine stand mit dem Rücken am Fenster und wiegte den Kopf zu diesem Liedchen, daS Leon Stappen achtlos vor sich hinpfiff. Von ihrem Scheitel standen ein paar ganz feine Härchen in der Sonn« und leuchteten wie Etahlspitzen. Aber eS war kein Reiterliedchen, das der Vlame pfiiff. Und ganz plötzlich hatte Madelaine das Gefühl, als ob jemand ihren Kopf zwischen zwei weiche, rotfleischige Hände nehme und den Mund auS seinem Versteck wie mit einem Pfeifchen lockte. Und eS war Leon Stappen, der so pfiff und daS Söhnchen auf und nieder wippte mit dem Knie. Leon Stappen Uetz den Buben wippen und dachte, ohne Made- laine anzuschauen: wie hübsch fie aussteht, nun fie da vor den, Fenster steht. Ihre Haare sind so blau wie polierter Stahl. Und ihre Brüste find rund und fest. So rund, als hätte diese Fran nie da» Söhnchen geboren. Und Madelaine stand am Fenster und hatte noch immer die weiße, knitttige Latzschürze vor. Ein Brummer stieß sich an die Scheiben und draußen auf der Landstraße tuckte ein Hahn die Hühner herbei. Da ließ der Vlame den Knaben plötzlich fahren und richtete sich auf. Madelaine erbebte am ganzen Körper wie eine junge Magd, die ihren Liebsten kommen hört. Halb ärgerlich, als merkte er, daß sie ihn anstarrte, wandt« er sich zur Tür und warf fie ins Schloß. Die Bodentteppe knarrte laut auf unter den harten Schritten. Und MadelaineS Kleid wurde schwarz und frostig, wie daS Gewand einer Witwe. Und ihr Herz fiel herab und tat einsamere Schläge. Um die Vesperzeit betrat Leon Stappen ungernfen die Stubs. DaS Söhnchen war draußen auf der Gasse. Und oer Kater lag zusammengerollt auf dem Sofa. Madelaine goß dem Vlamen den Kaffee in die große Tasse, die mit Goldbuchstaben verziert war. Mit gespreizten Fingern warf sie den Zucker hinein und machte einen langen Hals dabei. ES war ganz still im Zimmer. Und plötzlich nahm er ihre kleine weiß« Hund mit einer heftigen Betvegung und hielt sie wie ein Geschenk. So wie ein Geschenk, das ihm schon lange gehörte. Wohl lag zwischen Beider Augen, die sich kreuzten und be- kriegten und verschlangen, eine fragende Unruhe. Aber die Frage wurde nicht ausgesprochen. Und es war eine kleine Lüge, als der Vlame leise sagte:„Ja, ja, Du bist seine Fran." Aber von ihren Lippen prallte es ab wie ein Echo: ja seine Fraul Dahinter stand es schon ganz straff und zugespitzt wie ein Pfeil: ich wollte, ich könnte schon ehrloS fein! Und da sie das Gesicht voll zu ihm aufhob, nahm er ihre beiden Hände und wollte sie küssen. „Nein, o nein", hauchte Madelaine,„nein, nein, nicht die Händel" Und so fuhr er wilden Bluts über ihr Gesicht mit warmen Lippen und fühlte wie ein Gift das fest« rund« Fleisch der Arme, die jäh seinen HalS umklammerten. Und fein Atem schrillte wie ein Pfiff. Und Madelaine stöhnte wie unter einem Messer, d«S die Fasern ihrer letzten Begierden bloßlegt«. Und fie gab ihm alles, wonach ihn hungerte und dürstete. Und eS geschah zum erstenmal, daß einer die Seele dieses WcibeS küßte. Und«S war«tn Vlame, der so küßte. Wie ein Betrunkener torkelte Leon Stappen auS der Kammer. Und als er die Klinke der Stubentür packte, erhob fich Madelaine und ging ihm nach. Mitten in» Zimmer blieb sie stehen, da er draußen war. Und sie zerfloß und floß hin wie fein Schatten. Der Geruch feiner blonden Haare aber blieb wie ein fremder Duft in der Stube und legte sich schwer auf Polster und Gerät»,
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30 (31.5.1913) 104
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