„Was hast du für Rücksichten iW nehmen. Vater?... 'Hast du heiligere Interessen, als deine und unsere Ret- tung?... Dieser Mensch ist ein Lügner, ein Lump, ein Verräterl... Entlarve«ihn doch, du kannst es... Wie kann man dir denn glauben, wenn du weiter schweigst.. Roland hatte kein Wort gesprochen. Lermantes nahm seinen Willen fest zusammen und antwortete wieder: „Ich weiß nichts.. Draußen versuchte Br6vine die Kinder noch einmal aus- Aufragen. Was konnten sie ihm sagen?... Bis zu der Verhaftung gehörten d'Entraques zu den Freunden, mit denen man fast täglich zusammenkam. Zu den Freunden, die an unserem Leben, besonders aber an seinen Vergniignn- gen teilnehmen. Manchmal findet man sie reizend, ent- zückend, ein andermal etwas langweilig oder unausstehlich. Nach der verhängnisvollen Jagdpartie hatten sie Lermantes weiter besucht. Die Frau erschüttert und voller Mitleid, der Mann sehr froh, eine so günstige Aussage machen zu können— eine Aussage, die fast einem Alibibeweis gleich- kommt— wie er sich ausdrückte. Dann erfolgte wie ein Blitz aus heiterem Himmel die zweite Aussage. Sie sahen den Betrug. Aber sie wußten dessen Ursache nicht. „Können Sie sich denken," sagte Paul,„daß diese Frau gestern hinter uns saß. als ob sie uns verhöhnen wolltel Welche Feigheit!... Welche Niedrigkeit!..." „Aber nein!" rief Ren6e.„sie dachte gar nicht daran, Uns zu verhöhnen.... Sie hat uns so traurig angesehen! Als ob sie uns um Entschuldigung bitten wollte! Und dann, hast Du nicht gehört, was sie gesagt hat? Die Worte zeigen doch, daß sie nnt ihrem Manne nicht einig ist?" „Was hat sie gesagt?" fragte Br�vine. Paul wiederholte die Antwort, die Frau d'Entraques Mroz gegeben hatte. „Was beweist das?" fügte er hinzu.«Oder vielleicht habe ich gar schlecht verstanden?" Aber Br6vine war stutzig geworden. „Welche Haltung hatte Frau d'Entraques während der Aussage ihres Mannes?" fragte er. „Ich weiß nicht," antwortete Paul, der jetzt auch frap- piert lvar.„Sie hatte einen anderen Platz, wir konnten sie nicht niehr sehen." .lLortsetzuug folgt.l Das Erbe. Von Franz Molnär. Der Schauplatz ist eine bessere Hofwohnung, die augenblicklich menschenleer ist, da sämtliche Insassen an der Leichenfeier teilnehmen. Die penfionierte Witwe, die darin gehaust hat, ist verschieden und heute nachmittag zu Grabe getragen worden. Die Vizewirtin kommt die Treppe herauf, öffnet die Tür und betritt die Wohnung. Langsam streift ihr Blick über die Möbel, dann geht sie in die Küche hinaus, und obwohl von Haus aus ehrlich, sinnt sie nach, wie sie ein Küchengerät von kleinerem Umfang unauffällig einstecken könnte. Sie konstatiert mit Bewunderung, daß die kleineren Geräte bereits fort sind. Das Dienstmädchen l kommt mit rotgeweinten Augen, in schwarzem Kleid und schwarzem Kopftuch, Lher die Treppe):„Was suchen Sie da, Madame?" Die Vizewirtin: Ich habe vom Tore aus bemerkt, daß Sie schon beimkoncmen. Da bin ich rauf gekommen, um Ordnung zu machen. War's schön? Das Dienstmädchen(bricht in Tränen aus. Lange Pause). Die Vizewirtiin: Ach, Fräulein, es ist mir nicht darum zu tun, aber mein Sieb ist total kaputt, so daß... nun ja, wenn Sie keine Verwendung für das Sieb haben täten... Sie wird das Sieb ja nicht mehr in die Hand nehmen... Das Dienstmädchen: Es muß alles am alten Platz bleiben. Der Sohn von der Frau ist da und schreibt alles genau auf.(Geht in ihre Kammer, um festzustellen, daß sie das Sieb an einen: sicheren Ort versteckt hat.) (Die Verwandten steigen die Treppe herauf.) Der Sohn der Witwe: Nehmt Platz... Marie, gibt's waS Genießbares in: Hause? Das Dienstmädchen(geht mit trauriger Miene von einen: zum andern): Ein wenig Kompott... Eine Dance: Geben Sic's her! Haben Sie viel Ein- gemachtes? Das Dienstmädchen: So etwa zwanzig Gläser. Die Dance: Arme Tante Luise, sie cvar eine ausgezeichnete Hausfrau! Mein liebes Kind, legen Sie sünf Gläser in einen Korb, ich will was zum Andenken mitnehmen, es ist ja doch keiner hier, der davon ißt(weint aufrichtig). (Der Sohn erhebt sich, geht zum Schrank und öffnet ihn. Niinmt eine Zigarrenschachtel heraus, in der eine Menge Kleinig. leiten sich befinden: Ringe, Schnallen, Schmuckknöpfe, ein Damen» hutvogel, einige Broschen, Armbänder, eine goldene Nhr und ein« Kette. Streut den ganzen Inhalt aus den Tisch.) Der Sohn: Nehmt etwas als Erinnerung an die Berblicheue. (Tiefe Stille. Niemand wagt an die Wertgegenstände heranzutreten.) Der Sohn: Wählt Euch irgendeine Kleinigkeit aus I Eine Dame(kommt näher und stochert in dem Hausen herum): Was die Aermste alles gehabt hat!...(Betrachtet mit gierigen Blicken die Uhr und die Kette.) Eine andere Dame: Ich... ich nehme irgendeinen wertlosen Gegenstand... diesen Knopf. Oder lieber diese Schnalle. (Schielt auf die Uhr.) Die Erste: Nun, willst Du die Schnalle nicht? Die Andere: Nein.(Sie weiß, wem: sie jetzt die Schnalle wählt, begibt sie sich auch der Aussicht auf die Uhr.) Die Erste(zu einem kleinen Mädchen): Julchen, da, nimm die Schnalle. Sie hat der armen Tante Luise gehört.(Uebergibt dem kleinen Mädel die Schnalle, um auf diese Weise den wertlosen Gegenstand aus dem Haufen zu entfernen.) Die Andere: Hier, Julchen, da hast du auch den Knopf. Julchen: Danke.(Sieht auf die Uhr hin.) Die erste Dame: Wer möchte den Vogel?(Tiefes Schweigen. Keiner will sich durch den Vogel seines Anrechts aus die Uhr be- geben. Allgemein überwiegt die Meinung, die Uhr bliebe zu aller- letzt, es bekäme sie daher derjenige, der sich als letzter meldet. Wie gesagt, tiefe Stille.) Eine dritte Dame: Julchen, möchtest du nicht diesen Vogel? Julchen(blickt auf die Uhr): Nein. Da nehmt auch die Schnalle und den Knopf zurück.(Legt Schnalle und Knopf rasch auf den Tisch.) Die erste Dame: Das gibt es nicht. Schnalle und Knopf ge- hören Dir.(Greift die Gegenstände aus dem Haufen und nötigt sie Julchen wieder auf.) Steck nur hübsch ein, was Du bekommen hast. Hier darf man nicht wählerisch sein. Schämst Du Dich nicht? Julchen(fängt an zu schluchzen und steckt, da sie sich aller Hoffnung beraubt sieht, Schnalle und Knopf ein): Dann... dann möcht ich auch den Vogel.(Rasch reichen ihr gar drei auf einmal den Vogel. Julchen ist abgetan und zieht sich zurück.— Große Pause.) Die erste Dance: Wie niedlich diese Uhr ist!(Lange Pause.) Eine Andere: Nicht wahr, die behältst Du, Mundi? Der Sohn: Ich denke nicht daran... (Alle treten an den Tisch heran.) Die erste Dame(nimmt die Uhr in die Hand): Eine ent- zückende kleine Uhr(zieht auch die Kette aus dem Wust hervor) und welch nettes Kettlein. Nicht wahr, die gehört dazu? Die Andere: Natürlich. steck sie doch an!(Sie kalkuliert: Auf alle Fälle ist es besser, die Uhr mit als ohne Kette zu bekommen. Dasselbe fühlt auch die andere, steckt also hastig und entschlossen die Kette in den Ring der Uhr.) Eine Dame(ein wenig nervös): Recht so. Aber leg' die Uhr wieder hin. 'Die Vorige(ohne darauf zu achten): Arme Tante, sie hielt sehr viel auf diese Kette. Erinnert Ihr Euch, wie elegant sich dieses dünne goldene Kettchen auf ihrem schwarzen Seidenkleide ausnahm? Sie trug'S so, gelt?(Macht die Probe. Große Be- stürzung.) Die Andere: So ähnlich. Leg' sie aber jetzt ab. Die Vorige(streift sie von ihrem Halse, läßt sie aber noch nicht los): Sie hatte sie von ihrem verstorbenen Mann gekommen. Die Andere: Ja, ja, leg sie doch auf den Tisch. Eine Dritte(energisch): Leg sie doch endlich hin, hörst Du denn nicht l Eine magere Dame: Hier liegt ein Armband aus schwarzein Horn. Ein Trauerschmuck. Wer will's haben.(Niemand gibt Antwort.) Die magere Dame: Hier ist eine Brosche auS Ischl , eii: Andenken an Ischl . Wer reflektiert darauf? Einige(gutherzig): Nimm doch beides. Die cnagere Dame: Ich war noch niemals in Ischl. (Legt die Brosche zurück.) Eine herrliche Uhr. Geben Sie mal her, ich möchte mir das Ding anschauen. Eine Daine: Gib sie ihr! Mehrere: Ja, ja, gib sie ihr. Sie soll sich die.Uhr anschauen. (Sie sind alle der Meinung, die Uhr wäre schon zu lange in den Händen der ersten Dame und hoffen, daß ihr bei der mageren Dame keine Gefahr drohe.) Die vorige Dame(reicht ihr die Uhr, behält aber das Ende der Kette in der Hand): Doppelkapsel! Die Magere: Lassen Sie doch die Kette loS 1 Die Vorige: Es geht auch so.(Die Kette reißt, wodurch mit einem Male offenkundig wird, daß beide daran gezogen haben. Allen krampst sich das Herz zusammen, weil jeder einzelne fühlt. daß ein wirklich heftiger und ernster Kampf um die Uhr ent- bräunt ist.) Die Magere: Na, da haben Sie die Kette zerrissen. Die Vorige: Durchaus nicht I Sie waren es I Die Magere: Ich? Wie können Sie sich unterstehen... (Plötzlich bemerkt sie, daß der größere Teil der Kette mit der Uhr
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30 (24.6.1913) 120
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