weiter, konnte mich aber nicht durch den Scrflixten AnstrKZ durchbeißen. Damals haben Sie mich stöhnen hören." „Ich verstehe das alles sehr gut!" sagte das Heimchen.„Und ich habe schon lange keine so interessante Geschichte gehört! Sie läßt sich in Musik setzen!" „Das mag sein," erwiderte die Holzwespe.„Aber Sie denken doch auch an Ihr Versprechen, mir zu zeigen, wie ich ins Freie kommen kann?" „Sie sollten lieber hier bleiben," schlug das Heimchen vor und geigte so hübsch wie es konnte,„Was wollen Sie draußen in dem grünen Wald, wo es so grauenhast wild zugeht. Legen Sie doch Ihre Eier in das Bücherregal oder in den Tisch, aus dem Sie gekommen sind, oder in das alte Pult! Hier gibt es keine Schlupswespen, sondern nur gute, angenehme Leute, wie die Schmeißfliege, die Totenuhr, den Floh und mich. Und dann wohnt hier natürlich auch noch der Kapitän mit seiner Familie; aber die sind augenblicklich verreist, darum kann ich sie Ihnen nicht vor- stellcn." „Sie sind recht freundlich," sagte die Holzwespe.„Aber ich muß in den Wald hinaus. Da bin ich geboren, und d« fühle ich mich auch zu Hause. Wenn ich nicht all das Mißgeschick erlebt hätte, flöge ich ja auch jetzt dort herum." „Wollen Sie denn nicht wenigstens bis morgen früh warten?" fragte das Heimchen.„Ich hätte so gern, daß Sie meinen Haus- genossen„Guten Tag!" sagten. Sie haben uns vorhin, als wir unsere Generalversammlung gegen die Menschen abhielten, einen Todesschreck eingejagt. Die anderen werden sich freuen, Sie zu sehen; denn auch Sie haben sich ja über die Menschen zu be- klagen." „Ich will ins Freie!" schrie die Holzwespe. „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!" meinte das Heimchen.„Da drüben ist ein Fenster ein wenig geöffnet. Für das übrige müssen Sie selber sorgen. Leben Sie wohl! Und schönen Dank für die Geschichte! Ich werde mich freuen, wenn ich mal eines Ihrer Kinder oder Kindeskinder in einem Stuhl oder Tisch treffen sollte." Und die Holzwespe flog ins Freie. Das Heimchen zirpte und geigte noch lange in seiner Spalte. Auf dem Tisch aber lag die muntere Fliege und mälzte sich auf dem Rücken und wußte sich vor Lachen nicht zu lassen. Sie hatte sich, während die anderen vor der Spinne Reißaus nahmen, hinter einer Glasschale versteckt und das Ganze mit angehört. „Hi hi hil Das sind nun die leeren Stuben des Kapitäns!" krähte sie vergnügt. Berliner Denkmäler. Es mag paradox klingen, ist aber trotzdem wahr: daß Berlin im Grunde genommen eine denkmalslose Stadt ist! Wir haben freilich auf unseren Straßen und öffentlichen Plätzen, in den Parks und an den monumentalen Bauten eine Unzahl von Figuren in Marmor oder in Bronze stehen und sitzen und reiten, in allen Kostümen, die man seit den Tagen Albrechts des Bären bis heute getragen hat. Dazu kommt ein ungeheures Aufgebot von Musen, Genien, Engeln, Putten und sonstigen allegorischen Gestalten, ein wahrer Tierpark an Löwen, Adlern, Pferden, Bären, Füchsen, Hunden und Hirschen(man denke an den„Großen Stern") und eine Armee von Büsten, Hermen und Köpfen, wobei wir die unge- zählten Reliefporträts der Gedenktafeln noch gar nicht mitrechne» wollen. Dieser ungeheuerliche Reichtum von steinernen und bronzenen Mitbürgern hat ja Berlin den Ruf der denkmalsreichsten Stadt des Kontinentes eingetragen, obgleich es, offengestanden, in der schönen Stadt Florenz des gesegneten Kunstlandes Italien auch nicht viel anders ist. Es ist durchaus berechtigt, in Berlin von einer Denkmalsseuche zu sprechen! Gesund wennigstens ist dieses Denk- malssetzen vorn und hinten, rechts und links, oben und unten. geradeaus und quer dazu— gesund ist es nicht! Und dennoch soll Berlin eine denkmalslose Stadt sein? Wie paßt das zusammen?— Es kommt alles darauf an, was man unter einem Denkmal versteht! Wenn man jede Figur aus Swd-. oder Metall ein Denkmal nennt, dann sind wir allerdings in Berlin ziemlich an der Spitze. Aber wenn man mit dem Worte Dr�mal den Begriff eines Monumentes, eines Erinncrungsmales ver- bindet, den Begriff eines Symbols für die lebendige Empfindung der Verehrung und Dankbarkeit, und gleichzeitig den Begriff eines zur Stadt gehörenden Wahrzeichens, das für jeden Einwohner etwas Heimatliches und Vertrautes bedeutet, und schließlicb den Begriff eines Kunstwerkes, das durch den gemeinsamen, freiwilligen Opfersinn der Mitbürger und unter ihrer allgemeinen Teilnahme bestellt, geschaffen und geweiht ist— dann verschwindet plötzlich rmsrr Reichtum in das Nichts! Mit ivelchem von seinen dielen Denkmälern verbindet denn den Berliner eine innere, aufrichtige und herzliche Anteilnahme? Etwa mit Otto dem Faulen? Oder mit Georg Wilhelm ? Mit Sophie-Charlotte ? Mit Colignh? Die meisten von ihnen kann er überhaupt nur durch die Unterschrift er- kennen! Volkstümlich sind oder waren höchstens der„Groze Kur- fürst" und der„alte Fritz". Wie gliitEich sind demgegenüber andere Städte daran, die sich sonst vielleicht weniger erfolgreich mit uns messen dürfen. Braun- schweig hat seinen Löwen, Magdeburg seinen Kaiser Otto, Venedig hat seinen Colleoni, Padua seinen Gattamelata , Bremen hat feinen Roland und New Dork hat seine Freiheitsgöttin! In diesen-Städten haben die Bürger ein Denkmal, dem ihre ganze Liebe, ihr Heimats-! sinn und ihr Solidaritätsgefühl gilt. Jeder Fremde muß es zu- nächst und vor allem anderen sehen, der Vorübergehende heftet einen Moment sein Auge darauf, Aenderungen, Restaurieruicgen, Erneuerungen erregen stürmischen Widerspruch und bringen die Geister in Hitze. Da kann man sagen: die Stadt hat ihr Denkmal, In Berlin können wir das wirklich nicht! Welches unserer hundert Dutzend sollen wir denn dem Fremden zuerst zeigen? Wir tveffea ja auf Schritt und Tritt„Denkmäler", und fragt uns der Fremde „wer ist denn das?", dann zucken wir die Achsel, wir wissen eS meist ebensowenig wie er. Wer kann denn alle die Namen von Geheimräten, Professoren, Marschällen, Prinzen, Fürsten und sonstigen historischen Personen sich merken! Das einzige, was den Berliner herzlich mit seinen Denkmälern verbindet, ist der derbe satirische Witz, und wirklich! bei manchem Denkmale ist der Witz besser als das Opus des Herrn Bildhauers. Aber auch diese Be-> Ziehung ist nur von kurzer Dauer. Morgen wird bereits ein neueS Denkmal enthüllt, und schon ist der Witz auf ein neues Objekt abgelenkt! Schon der Ausdruck„Enthüllung" eines Denkmales ist für Berlin typisch.„Enthüllung" sagt man sonst nur von der Ver- öffentlichung belastender«chriftstücke, geheimer Schandtaten, korrupter Zustände, niemals aber sonst von der Mitteilung an ge« n e h m e r und erfreulicher Dinge. Nun sollte ja ein Denk- mal eigentlich etwas Erfreuliches und Angenehmes sein. In Berlin scheint man aber in zufälliger Selbsterkenntnis anders zu emp« finden und„enthüllt" Denkmäler. Es gibt— besonders häusig in kleinen italienischen Provinz-, städten— Museen, die eine erstaunlich große Zahl von Gemälden beherbergen. Aber oft genug ist unter ihnen nicht eines, das wirk- lichen Kunstwcrt beanspruchen könnte. Denn über den Standpunkt der„höheren Tochter", die jedes gerahmte und an einer Wand hängende Oelbild als„K u n st w e r k" ansieht, sind wir doch hin- aus! So berechtigt es in solchem Falle ist, von einer kunstverlasse-- nen Kunstsammlung zu sprechen, wie seltsam das auch klingen mag, ebenso berechtigt ist man, das denkmalsreiche Berlin — eine denkmalslose Stadt zu nennen! Wirkt es in diesem Sinne nicht wie ein Symbol, daß wir uns unseren Roland von anderswoher, von Brandenburg an der Havel , borgen und kopieren lassen mußten? Wir meinen natürlich nicht den völlig sinnlosen Roland auf dem Kemperplatz, sondern den primitiven, altertümlichen Roland am„Märkischen Museum". Im Roland verkörpert sich das alte Marktrecht der Stadt. Der Roland ist von altcrÄhcr das Sinnbild einer freien Stadt, das Wahrzeichen der Heimat! Und wir Berliner haben keinen Roland! Das erste, älteste und natürlichste Denkmal einer Stadt fehlt uns— wir find' dcnkmalslos! Und so haben wir einen fremden Roland kopieren lassen müssen und eine künstliche Kopie vor dem Märkischen Museum aufgestellt. Aber wie alles Verpflanzte und Uebertragene ist er ein krankes Kind. Das Donncrkraut, das einem regelrechten Roland auf dem Haupte wachsen muß, und das man also auch der Kopie — künstlich eingesetzt hat, will nicht Wurzel fassen— es ist mehrmals eingegangen. Im Grunde genommen ist auch dieser Roland eine würdige Zielscheibe des Berliner Witzes. Der Witz ist bekanntlich eine töd- l i ch e Waffe. Die Tatsache, daß er sich an die meisten unserer Denkmäler knüpft, ist bereits bedeutsam genug. Eine Sache, die im Volke Wurzel gefaßt hat, die dasjholk liebt und pflegt, die wird nicht vom Witze, sondern von der Sage umsponnen! Wie viele Sagen knüpfen sich nicht an jene alten, echten Rolande zu Nord- hausen. Brenien, Quedlinburg , an die Denkmäler Kaiser Ottos zu Magdeburg , des Colleoni zu Venedig usw.! Und an welches unserer Berliner Denkmäler knüpft sich eine Sage? Nur an eines, an den „Großen Kurfürsten". Wollte man alle Sünden der Berliner Denkmalskunst auf- zählen, käme man in einem Aufsatze kaum zu Ende. Wir wollen uns deshalb einen besonders wichtigen Punkt zur Besprechung her- ausgreifen, dem das große Publikum längst nicht die gebührende Bedeutung beimißt: die Aufstellung! Die Aufstellung eines Denk- mals, der gut oder schlecht gewählte Standort eines Denkmals ist von so fundamentaler Wichtigkeit, daß oft genug ein an sich tüch- tiges und achtungswertes Denkmal durch eine ungeschickte Wahl des Platzes um alle Wirkung gebracht wird, während umgekehrt manches andere Denkmal, das als plastische Arbeit nur von unter- geordnetem Range ist, durch die kluge Einpassung, die überlegte Placierung eine erstaunlich große Wirkung gewinnen kann. Die gute, d. h. die wirkungsvolle Aufstellung eines DenkmaleS ist demnach selbst eine K u n st, oder gehört doch zum mindestens in die künstlerischen Aufgaben eines Denkmalsplastikers hinein. Leider aber haben unsere Bildhauer diese Kunst fast völlig verlernt. Die meisten Denkmäler werden heute nahezu gedankenlos aufgestellt. Ein Beispiel ist das Schulzc-Delitzsch-Dcnkmal in der Köpenicker Straße . Das Werk steht vor einer trostlos langweiligen Berliner Mietskaserne, vor deren dunklen Fcnsterreihen, Firmenschildern und Profilen es unmöglich zur Wirkung kommen kann. Der Hinter- grund zerreißt jede Form und macht gleichzeitig jede feierliche Stimmung, die ein Denkmal doch nun einmal auslösen soll, un- möglich. Dabei steht die Figur mit ihrem Sockel ganz zufällig anf diesem Platze. Sic geht mit der Umgebung keine Bindung ein, ist beziehungslos, ist isoliert. Isolation aber ist das Schlimmste, waS einem Denkmal geschehen kaum Ein von seiner Umgebung isoliert«
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30 (3.7.1913) 127
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