Ein Gefühl de-5 Mitleids für meine knarrenden Schuhe stieg in mir auf, so gut konnte ich mir vorstellen, wie er fich mit langem sorgenvollen Blick forschend über sie beugen würde. ,EZ gibt Schuhe,' erklärte er langsam,die von Geburt an nichts taugen. Wenn ich nichts mit ihnen machen kann, will ich sie von Ihrer Rechnung streichen." Einmal(nur ein einziges Mal) ging ich, ohne daran zu deirken, in seinen Laden in einem Paar Schuhe, die ich in einem grasten Geschäft hatte kaufen müsten, da ich sie unerwartet brauchte. Dies- mal nahm er meine Bestellung entgegen, ohne mir Leder zu zeigen, und ich konnte fühlen, wie sein Blick meine minderwertige Fuh- bekleidung gleichsam zu durchdringen schien. Schliestlich sagte er: Die Schuhe da sind nicht von mir." Seine Stimme klang weder zornig noch sorgenvoll, ja nicht einmal verächtlich, aber er sprach mit solch eifiger Ruhe, daß es einem dabei kalt über den Rücken lief. Er beugte fich nieder und wies mit dem Finger auf eine Stelle, wo der linke Schuh, in dem Bestreben modern zu sein, nicht bequem fast. Da drückt's", sagte er.Diese grasten Geschäste haben kein Berantwortlichkeitsgefühl. Schund!" Und dann schien er plötzlich aufzutauen und redete lange und mit bitteren Worten. Es war das einzige Mal, dast ich ihn über die Mühsal seines Berufes und die elenden Verhältnisse sprechen hörte. Denen fällt alles zu", sagte er,nicht durch gute Arbeit, nur durch Reklame. Uns nehmen fies weg, die wir unsere Schuhe lieben. So weit kommt's noch-- bald werd ich ohne Arbeit sein. Jedes Jahr wirds schlimmer-- Sie werden schon sehen." Und als ich in sein durchfurchtes Antlitz blickte, las ich darin Dinge, die ich nie- malS zuvor bemerkt, bittere Kämpfe, bittere Erlebnisse-- und wie grau mir auf einmal sein roter Bart vorkam I (Schluß folgt.'. Vom Pirol. Ich habe noch kein Bild gesehen, das den Pirol als Kirschräuber zeigt und doch wäre es für unsere nach kraftvollen Farbengegen- sähen suchenden Maler ein erfrischendes Stück Farbe: wie der Pirol im saftigen Grün des Kirschbaumes unter den tiefroten, vom Schmelz der Reife übergossenen Kirschen fitzt und schmaust und selbst wieder mit seinem prächtigen lichtorangefarbigcn Gefieder, aus dem fich die Schwingen und Schwanzfedern samtschwarz abheben, zu den anderen Farbtönen im leuchtendsten Gegensatz steht. Ja, er ist ein Kirschräuber, wenn auch nicht ein so gefürchtcter wie der Kirsch- kernbeitzer, dem es allerdings nicht um das frische Fleisch, sondern nur um den Kern geht, weshalb er denn mit der Zeit einen Schnabel bekommen hat. der fast die Dicke des Kopfes übertrifft. Unter seinen Titeln führt d«v Pirol auch den Ramen Kirschvogel, daneben aber heistt er auch in der Flucht dieser vielen Namen: Bieresel, Regen- katzc, Weihrauch, Pirreule. Das Volk hat eben diesem nach seiner Färbung einzigartigen unter unseren Vögeln so viel Aufmerksam- keit geschenkt, dast fast jeder Landesteil dem Pirol, meist nach seinen verschiedenartigen Rufen, auch einen besonderen Namen gegeben bat. Die Norddeutschen, die ihn in ihren Wäldern um Pfingsten aus dem Süden erscheinen sehen, legen seinem Ruf den drolligen Sinn unter: .Pfingsten Bier hol'n" oderHeft du gesopen, so betahl och". In den letzten Jahren ist der Vogel zahlreicher in deutschen Wäldern anzutreffen als ftüher. Trotz seiner grasten Scheu vorm Menschen wagt er sich gar schon im Komplex gröherer Städte mitten in ausgedehnte Parks und selbst in Gärten hinein, wo seine gellenden melodischen, unverkennbaren Rufe weithin erschallen. Auch im Ber - lincr Tiergarten hört man sein schmetterndesPiripiriol" in den Sommermonaten aus den Baumwipscln nielierklingen, und hin und wieder erhascht ein ausdauernder Vogelfreund auch mal den Anblick der goldig vorüberglitzernden Vögel. Wie nah diese so scheuen Gold- Vögel eventuell bei menschlichen Behausungen nisten, sah ick vor wenigen Jahren in einem verhältnismätzig kleinen Park in Steglitz , der allerdings zu einem unbewohnten Hause gehörte und so nur selten von Menschen betreten wurde. Es war aber nicht ein Pirol, es waren ihrer gleich drei, die dort den Gesang der übrigen Vögel und selbst der Drosseln oft mit ihren übermächtigen Stimmen ver- stummen machten. Es waren offenbar zwei Männchen, die um ein Weihchen wetteiferten. Bei dem unruhigen Gejage des prächtigen Trios bekam man sie oft in einer Entfernung von zwei bis drei Metern vom Balkon aus zu sehen. In ihrer Eifersucht vergasten sie alle Gefahr und hetzten fich gegenseitig durch die bis an die Fenster reichenden Zweige. Bereits kurz vor Sonnenausgang klangen ihre hellen Stimmen durch die erste JTämiueruug des Tages, und den ganzen Tag über; selbst in der Schule des Juli waren ihre Kehlen sangesfroh. Die für unsere Zone ungewöhnlich schönen Vögel sind austerdem sehr geschickte Nestbauer. Die Grundlage des Baues suchen sie stets zu einem Netzbcutel zu gestalten. Zu dem Zweck wickeln sie lange Fäden, die sie mittels des Speichels verkleben, um den Ast und von hier aus an einen gegenüberliegenden Zweig, da sie mit Vorliebe eine Astgabel als Brutort wählen. Dann werden Fasern, Bast, halbtrockene lange Gräser, feine Ranken und Halme hineinvcrwoben und dazwischen geflochten. Zuletzt kommt ein liefer napfförmigcr Bau zustande, der durch die Feinheit seiner Arbeit ein kleines Kunstwerk unter unseren Vogelnestern darstellt. Während der Brutzeit entpuppen sich die sonst so Ueberscheuen als sehr kühne, ja verwegene Verteidiger ihrer Brut. Pechuel-Lösche erzählt von einem Viroipärchen, das sein Nest sehr niedrig vor eine« Försterei in Anhalt und kaum IS Schritt von der Haustür ange» bracht hatte und allzu Neugierige durch Scheinangriffe und Lärmen! vom Nest zu schrecken suchte. Pähler erzählt noch interessante« von einem Nest, das er täglich besuchte. Er jagte ungeniert das Weibchen vom Nest, um die Brut betrachten zu können. Gleich aber stieß das Weibchen ein langgchaitenes, kreischendes Geschrei,ein wahres Kampfgeschrei" aus. stürzte sich von dem nahestehenden Baum auf den allzu wißbegierigen Forscher hernieder, sauste ihm dicht am Kops vorbei und setzte sich nah in seinem Rücken auf den nächsten Ast. Dann eilte das Männchen herbei und versuchte mit den gleichen geflügelten Ohrfeigen" den Forscher vom Nest zu vertreiben.Beide zeigten sich gleich mutig, beide gleich besorgt um Nest und Eier." Der Pirol ist ein rechter Sommervogel, wenn man auch be- hauptct, er habe bei uns feine Heimat; er bleibt nur von Mai bis August. Die übrigen acht Monate zieht er es vor, im wärmeren Süden zu verweilen. Man sollte sich nicht durch die schöne Gold- Pracht des Gefieders verleiten lassen, den Vogel cinznfangen. Denn seine Pflege ist eine recht schwierige, schon da es sehr schwer hält, ihn von der Fütterung mit frischem Obst, Trauben, Kirschen usw. allmählich an Weichfutter zu gewöhnen. Dann aber ist das glänzende Gefieder, woraus es dem Liebhaber hauptsächlich an- kommt, schon meist nach der ersten Mauser hin, wenn sie diese über« Haupt überstehen._ A. R. Kleines f euilleton. Kunst. Hodlers Wandgemälde in Hannover . Die Stadt Hannover hat in ihrem. neuen Rathause dem Schweizer Maler Hodler eine Wand zur Verfügung gestellt, auf der er einen lvichtigen Vorgang aus der Siadtgeschichte darzustellen hat. Da Hodler in erster Linie unter unseren Malern zur Lösung einer solchen Auf- gäbe berufen scheint, die über die übliche realistische Wiedergabe hinaus Konzentration und Rhythmifierung verlangt, so ist es von Hohem Interesse, den Künstler beim Fortschreiten seiner Arbeit ver- folgen zu können. Dies gestattet ein Aussatz, den Johannes Widmer in der ZeitschriftKunst und Künstler" diesem Werke widmet. Widmer schildert den Werdeprozeß so: Der geschichtliche Text stellte den Künstler vor folgende Auf- gäbe: Nachdem die Wirren im sozialen und kirchlichen Leben des beginnenden sechzehnten Jahrhunderts auch die Stadt Hannover schwer erschüttert haben, kommt es am 26. Juni 1533 zu einer Volksversammlung auf dem Markte. Im Auftrag des Rates und mit Zustimmung der Gemeinde sucht der Worthalter Dirck Arens- borck darzutun, wie notwendig es sei, dast endlich wieder Ruhe und Einu.ht in die Stadt einkehrten, daß Einheit im Glauben Ein» beit im Staat bedeute, und daß die Bürger, da sie doch offenbar in ihrer großen Mehrheit der Reformation anhingen, dies durch Handerheben bekunden und für die Gesamtheit verbindlich erklären möchten. Dieses geschah. Eine Bemerkung des Textes, Dirck Arensborck sei, um zu reden, auf einen Block gestiegen, gab daS zentrale Motiv des Redners, um den sich die überlebensgroßen Ge« stalten in einer zentralen Komposition scharen: natürgemäst kam er über die mittlere Türöffnung zu stehen. Das führte auf jenen Augenblick der Heberlieferung, wo unter dem Eindruck von Arens- borcks Rede sämtliche Gemeindeglieder mit gereckter Hand kundtun, daß sie zur Wohlfahrt Gemeiner Stadt den neuen Glauben an- nehmen wollen. Das ist eine weltliche Landgemeinde, die ihre bür» gerliche Freiheit auch auf Glaubensftageu zu erstrecken gewillt ist... Das Gemälde hat sich in den fünfviertel Jahren, in denen Hodler daran arbeitete, gründlich verändert. In einigen ersten Zeichnungen versuchte er die Gemeinde in einige kühne, leiden- schaftliche, streitbare Gruppen zu zertrennen. Allmählich wurde sein Ziel, einen gedehnten Krcis erregter Leiber und ein lang- rundes Gewimmel ruhig wurzetoder oder rastlos bewegter Füße um den Sprecher herum als allumfafiendcs Gestaltungsmittel gegen die Eintönigkeit und Buntheit zu gewinnen, immer schärfer verfolgt. In dem Maße wuchs der Redner, traten die Zuhörer vor ihm zurück. In dem Maße wurde das Ganze geschlossener und wurden die Gebärden wuchtiger. Zuletzt kam es so, dast Hodler seinen Fries mit einer Riesenblüte vergleichen durfte, von der der Redner das kräftige, ausfallende, anziehende Mittelrund, die beiden Bürgerringe aber die Randblättcr wären. Nun hatte er die starke Einheit. Nun durfte er unter ihrem schweren Mantel die mannigfachen Erfindungen bergen. Und deren ist eine unabsehbare Fülle da. Der Redner ist sckon charakterisiert, nach seiner Gedankenreihe, nach seiner Aehnlichkeit mit Tell. Hodler hat ihn rastlos gesteigert; sein Sohn hat ihm Modell ge- standen; es ist des Künstlers innerlichste Schöpfung. Während der Künstler an den einzelnen Gestalten herum« arbeitete, tausend Zeichnungen herstellte, farbige Studien machte, Leiter auf und ab sie auf das Liniennetz der Riesenleinwand über- trug, wurde allmählich die Form in den zweiten Rang gedrängt. Aus den früheren Oelskizzen herrscht ein geordnetes Bunt. All- mählich wich die Buntheit einem braunroten Gesamtton, der zuletzt einer beinahe düsteren aufflackernden Flammenbasis gleichsah. Da fing auch die J�bertraguug auf den endgültigen Malgrund an. Ais hierher and�odlcr gleichsam im Banne seines Marignano- Hildes. Aber eines Tages strahlte die ganze Fläche in getrageneMz