Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 138.

Freitag, den 18. Juli.

43] Das entfeffelte Schicksal.

1913

,, Wenn Lermantes schuldig gewesen wäre, würde er die höchste Strafe verdienen. Aber nachdem d'Entraques Aus­fage wegfällt, was bleibt noch gegen ihn? Nicht ein Beweis! Roman von Edouard Rod  . Keine Tatsache beweist, daß der Unfall beabsichtigt war; selbst Erstens, gnädige Frau, glaubte er nicht an seine Un- das Interesse, das er an dem Tod des Generals haben konnte, schuld, seien Sie davon überzeugt. Vielleicht hatte er einige fonnte nicht mehr als eine unklare Vermutung auftauchen Bweifel, ein gewissenhafter Beamter hat sie häufig, aber lassen. Denn man hat nicht mit Sicherheit feststellen können, durch die Verhandlung werden sie fast immer getilgt... daß er die Existenz des Testamentes kannte. Nach so schwachem Denn Himmel, was würde geschehen, wenn wir noch die Anschein ist es unmöglich, ihn zu verurteilen. Ein Urteil Partei der Mörder ergreifen würden... Ihre Verteidiger muß sich auf sichere, fordrete Tatsachen stüßen. Hier ist keine genügen ihnen reichlich... Sie ahnen nicht, welche Menge einzige vorhanden. Wenn ich meinerseits einen Eindruck von Banditen sie der Gesellschaft zurückgeben. Nein, nein, hatte, so war dieser für Lermantes eher günstig. Also stimme gnädige Frau, Herr Rutor hat seine Pflicht getan und gut ich für die Freisprechung." daran gehandelt."

Während Herr Rabius ihn so verteidigte, fragte sich Herr Rutor, ob ihn fein Impuls nicht weiter getrieben hatte, als er hatte gehen wollen. Wie Brévine   war er von allen, die fich ihm näherten, beglückwünscht worden, er hatte sich aber gleich in das Beratungszimmer zurückgezogen. Herr Motiers de Fraisse diskutierte mit Herrn Rudrit und Perron über die für die nächsten Tage eingeschriebenen Prozesse: eine Brand­Stiftung und vier Einbruchsdiebstähle. Sein Amt lastete schwer auf ihm. Er dachte, daß er dieses Mal ruhiger heim ginge, wenn die Geschworenen ein freisprechendes Urteil fällen würden.

24. Rapitel.

Die Geschworenen sekten sich um ihren Tisch herum, auf dem die Abstimmungszettel lagen. Sie sprachen der Reihe nach. Condemine hatte sich vorbereitet, es war eine richtige Rede, mit abgerundeten Säßen, rednerischen Wen­dungen und sehr vielen Adjektiven. Nach diesen dra­matischen Debatten" hege er feinen Zweifel mehr. Der Zu­sammenbruch von d'Entraques Aussage habe seine leber­zeugung nicht zu erschüttern vermocht. Denn sie stand, felsen­fest, meine Herren", dank der Klärung, welche die Unter­suchung schon herbeigeführt hatte. Zweifellos hatte d'Entraque bereits in der ersten Aussage gelogen, mit derselben perfiden Zunge, wie in der zweiten". Als gewissen loser Mensch hatte er sich widersprochen und, um seine Leiden schaft zu befriedigen, einen Meineid geleistet. Kann man sich darüber wundern, wenn man den verrotteten Zustand dieser betrügerischen Gesellschaft schichten kennt, denen er ange­hörte; ohne Ideal, geldgierig, genußjüchtig. Vergeblich führte die Verteidigung an, daß die erste Aussage die richtige wäre. Alle beide müßten vollständig ausgemerzt werden, mit der ben verächtlichen Geste", wie der Staatsanwalt in seinem Antrag sagte, in diesem in so maßvollen Grenzen gebliebenen Antrag, der gerade in seiner Bescheidenheit um so leuchtender die Argumente hervortreten ließ, die uns erlauben... was sage ich, meine Herren, die uns zwingen, die Schuldigkeit zu beschließen."

Glary machte wie Mouchebise ein Zeichen, daß er nichts sagen wollte. Sein strenges, unbewegliches Gesicht sah wie ein geschlossenes Buch aus. Der da wird wie Condemine abstimmen," dachte Mortara, als er den unergründlichen Ausdruck dieses Gesichts studierte, und er befragte mit einem Blick den Obersten Ollomont, der seine dicken Augenbrauen zusammenzog, hustete und schließlich sagte:

vor.

Eine

,, Unzweifelhaft liegen Verdachtsgründe Menge verdächtige Dinge... ein unangenehmer Geselle, dieser Lermantes... Dieser Besuch in Savoyen   verdächtig... Aber ich möchte Beweise, mehr Beweise!...

Er schwieg und starrte vor sich hin, ohne seine Gedanken preiszugeben. Mijour schüttelte nervös sein kleines Schweins­köpfchen und sagte:

Man verteidigt sich nicht genug gegen die Missetäter... Man muß sich verteidigen.. Man muß die Gesellschaft verteidigen... Nur feine falsche Sentimentalität... Dieser Mann hat getötet: er sah den General in der Lichtung stehen... er hat nach ihm gezielt... Er verdient den Tod." Klösterli stimmte bei und sagte nur: ,, Dasselbe denke auch ich.

"

Die Beratung ging weiter. Als ob man fürchtete, zu schnell vorwärts zu kommen, beriet man mit gemächlicher Gelassenheit, und die Stimmen blieben rubig; es gab feine Wärme der Diskussion, die den einen oder den anderen hätte mit fortreißen können. Souzier belebte die Erörterung. Er beharrte darauf, zu glauben, daß d'Entraque in seinem zweiten Zeugnis die Wahrheit gesagt habe, weil diese sonst seine Schlußfolgerung entkräftete. Er versteifte sich troẞ allen Augenscheins darauf und versuchte das zu erklären. Aber er hatte nicht Condemines leichte Bunge, er verwickelte sich in den Säßen und trotz seines beständigen das ist klar" fonnte er nicht sagen, was er meinte, verhaspelte sich immer mehr und stotterte sogar. Nach seiner Auffassung hatte ' Entraque in seiner ersten Aussage gelogen, um Lermantes, von dem er Dienste erhoffte, zu retten: dann hatte er das zarte Liebesblümchen" entdeckt und hatte sich gesagt: Du Qump hast mir meine Frau genommen, dafür werde ich mich rächen."( Souzier schlug in die Hände wie ein Mann, der eine gute Idee hatte.) Meine Nache wird darin bestehen, daß ich erzähle, was ich gesehen habe, zum Teufel auch!"( Er rollte die Augen.) Da ist er zum Untersuchungsrichter ge­gangen und hat die Wahrheit gesagt das ist klar, nur weil er zuerst gelogen hat... Ah... Donnerwetter, wenn man gelogen hat... kann man nachher die Wahrheit sagen, niemand will glauben und alle sagen: da lügt er wieder! Und je mehr man die Wahrheit sagt, um so mehr sagen die. Leute: das ist eine Lüge". Das ist klar..."

Ich lege mit vollkommener Ruhe mein Ja" in diese verhängnisvolle Urne, denn wir haben einen Mörder vor uns, einen Mörder, der unser Mitleid um so weniger verdient, als er das sorgloseste Dasein geführt hat; das Schicksal hat ihm gelächelt, und er kann keine Entschuldigung für sich geltend machen, die gewöhnliche Verbrecher, gegen die man mitleidslos ist, vorbringen können. Ich bin dafür, daß wir uns unbarmherzig zeigen müssen, denn seine Missetat ist ge­mein, und man soll hier nicht wieder wie vom Gott Janus sagen, daß die Themis zwei Gesichter hat, eines für die ,, Erlauben Sie," unterbrach ihn Conthey  , von seiner Ge­Reichen, das andere für die Armen. Niemand würde ein ge- wohnheit, mit diesem Partner zusammenhanglos zu dis­mäßigtes Urteil mit mildernden Umständen begreifen..." futieren, hingerissen. Sie vergessen wohl, daß d'Entraque Mortara unterbrach ihn und meinte, es wäre richtiger, felbst ein Geständnis mechte. Er selbst hat doch vor den die nebensächliche Frage nach der Hauptsache zu erledigen, Richtern gesagt, daß er sie helogen hat." da sie gar nicht aufgestellt zu werden brauchte, wenn diese durch eine Bekräftigung sich auflöſte.

Mit pifierter Miene verbeugte sich Condemine: ,, Schön, schön, Herr Präsident, das ist eine Methode." Herr Mijour strahlte, in seinen kleinen Augen zuckte eine boshafte Flamme: Condemine sprach nach seinem Herzen. Mortara forderte Mouchebise auf, seine Meinung zu äußern, er verzichtete. Doktor Buthier beantwortete sie in furzen Sägen mit sehr einfachen Worten:

Einen Augenblick aus der Fassung gebracht, antwortete

Souzien:

,, Was beweist das?... d'Entra que hat gestern den Kopf berloren... Man hat ihn bedroht, erschreckt, als man ihm sagte: Sie werden wegen falschen Zeugnisses bestraft werden Da hat er gelogen, als er sagte, daß er das zweitemal gelogen hat, während es das erstemal war... Das ist flar. Er dachte, sich so wieder aus der Affäre ziehen zu können... Verseßen Sie sich in seine Stelle."