Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 141. gabing dell
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Ein Mann.
Mittwoch, den 23. Juli
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1913
nestern übertönt. Gefiedertes Rauschen zog durch den Wald. Von Baum zu Baum wurden helltönende Zwiegespräche geführt. Es pfiffen die Amsein; die Finken, die Gimpel, die Rotkehlchen all, die schmetterten und tirilierten. Und in Ein frischer Lufthauch stieg vom Boden empor und dieses wundersame Konzert fielen die Raben mit ihrer frächdas Schweigen der Nacht war gebrochen. Leise, gedämpfte zenden Stimme ein. Der Kuckuck, als Künder der ersten Akkorde vibrierten in der Luft, verbreiteten sich im Gehölz, Morgenstunden, flocht in das Quodlibet seinen hellen Ruf, frochen von Ort zu Ort, bis sie im Rascheln des jungen Laubes und alsbald erhob sich vom Blätterwerk ein langgezogenes erstarben; und abermals sank das. große Schweigen über den Summen. Die grauen Fliegen mit bläulichem Leib, die an Wald. Wie ein Wille, unterzutauchen in des Schlafes traum- den harzigen Rinden klebten, die dicken Hummeln, noch losen Tiefen, lag es in der Natur. Die hohen Buchen fielen trunken von den Orgien der Nacht, die nimmersatten Bienwieder in ihre starre Reglosigkeit zurüd. Atemlose Stille chen surrten und schwirrten nun mit weitausgebreiteten umhüllte Forst und Flur. Das Leben zauderte noch in den Schwingen. Und all diese lüsternen Geschöpfchen stiegen empor bleichen Dämmerschatten. Doch nur für einige furze Augen- in die morgendliche Pracht der Lüfte. blice: aufs neue erstand ein Raunen im Hain, diesmal schon Allmählich verloren sich die violetten Wölkchen in dem etwas lauter. Die Starrheit der schlafenden Formen wurde perlenden Schmelz des Firmaments. Die höherstehende Sonne von leisen Schauern erschüttert, die immer weitere Kreise brachte bald die Säfte in Gärung und sprengte die Kapseln zogen, und wie von unsichtbaren Händen berührt, erbebte der Knospen. die Erde.
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In all dieser Maienluft lag ein Mann, groß, jung und stark, die Hände unterm Kopf gefaltet; sein Rücken berührte den feuchten Grund, der bloß unter seinem schüßenden Körper trocken geblieben war. Seinen Leib bekleidete ein Bauernwams, darunter klaffte ein Hemd aus rohem Leinen; seine Füße waren nackt, die mächtigen, mit glänzenden Nägeln bespickten Schuhe hatte er neben sich gestellt. Und er lag int friedlichsten Schlummer.
Der Morgen stieg herab. Hochragende Wipfel lösten sich aus der wachsenden Dämmerung. Ueber das Firmament huschten fahle Schimmer wie Vorposten des Tages, der einlaßheischend vor den Toren der Nacht harrte. Im Dickicht des Hains summten nun ferne, feierliche Töne. Wie das Wasser aus der Wehr brach jetzt eine weißliche Lichtflut hervor, das Astwerk überströmend, durch die Blätter rieselnd, die grasreichen Hänge überflutend, Er schlummerte den tiefen Schlaf der Erde vor Anbruch und brachte mählich die Finsternis zum Weichen. Das Busch- des dämmernden Tages. Die große Starrheit von Busch werk schimmerte in durchsichtigem Schein, darein die Blätter und Getier lag auch über diesem mit der Natur eins gegrünliche Refleye warfen. Die grauen Stämme der Birken wordenen Menschenkinde. Traumlos, glücklich und zufrieden ragten so ehrwürdig und ernst empor, wie vom Weihrauch der schlief es, von den säuselnden Winden umfächelt. Mit einem Prozessionen umwallte Priestergestalten in ihrem Ornat, Al- Male brach aus dem Blätterdickicht ein Strahl und traf seine mählich begannen silberne Farbentöne das fable Firmament Gestalt; auf seiner sonngebräunten Haut flammten rotgoldene zu durchwirken. Lichter, spielten um seinen dunklen Bart und schimmerten auf seiner haarigen Bruſt. Er bewegte sich, legte sich auf die Seite und schien wieder weiterzuschlafen. Jetzt aber drang die Sonne zwischen seine Lider und belästigte die Netzhaut seiner Augen. Da richtete er sich in die Höhe und schlug seine grauen, pfiffigen Aeuglein auf.
Ganz unmerklich und leis begann es in den hohen Blätterkuppeln zu flüstern. Ein Finfenmännchen pfiff halblaut seinen ersten Morgengruß. Schnäbelwegen und Knistern, Schwingenschütteln und langsame Flügelschläge vermischten sich mit dem geheimnisvollen Geraun in den Aesten; und plöblich schwollen die verschiedenartigen Töne zu einem rauschenden Chor, der das Säuseln des Windes übertönte. Ein Heer von Grasmüden zirpte in den Zweigen; hell trillerten die Finken; in den Gebüschen girrten Wildtauben und die Baumkronen hallten wider vom schmetternden Vogelgezwitscher. Die Amseln waren auch schon erwacht, die Elstern begannen zu schwagen, und in den Gipfeln der Eichen Schnarrten fräch zende Krähen.
Und all dieser erwachende Jubel empfing die aufsteigende Sonne. Nun zudte ein mattgoldener Strahl über das blaue Himmelsgewölbe gleich einer grell aufblizenden Klinge. Das schimmernde Morgenrot brach aus dem Unterholz, vieltausend Funken versprühend. Mit einem Male lohten die höchsten Spigen in flammender Glut, die an den Stämmen hinabrieselte und die Wassertümpel in den Richtungen purpurn färbte, während am Rande des Horizonts ein violetter Brodem emporkroch. In der Ferne schien der Waldessaum in rosigen Nebeln zu dampfen. Und die weite Ebene war wie überschneit vom weißen Blütenflor, der dem wachsenden Lichte immer heller und heller aufleuchtete.
Bald aber lösten laue Lüfte die Starrheit der schlummernden Gegenstände. Die Blätter entfalteten sich; die Kelche erschlossen sich unter dem milden, sanften Hauche; und dem Lichte entgegendrängend, strebten alle Aeste himmelwärts. Und mit seinen gleich Armen ausgebreiteten Zweigen empfing der Wald den Morgen.
Jäh schoß die Sonne am Himmel empor. Nun schienen die Schatten dr Nacht in regelloser Flucht zu entweichen. In Garben und Strömen ergoß sich das Licht über Buschwerk und Hain, in alle Vertiefungen sich einbohrend und den weiten Raum mit der Pracht seiner schimmernden Wogen überflutend. In den Tautröpfchen am Wiesenrain gliberte und sprühte es von tausendfältigem Sonnengefunkel. Die Helligkeit stieg über die Gipfel, verbreitete sich über Obstgärten und Gehöfte und badete das weite Gelände in rötlich goldenen Fluten.
Nun wurde das Waldweben vom Rumoren in den Vogel
Die Lauheit der Erde durchrieselte seinen Leib mit wollüftiger Wärme, während er prüfend um sich blickte. Mit geweiteten Nüstern sog er die würzige Luft ein; dann breitete er jählings seine Arme aus und refelte und dehnte sich, herzhaft gähnend.
Vor ihm lag ein Obstgarten mit verkrümmten, knorrigen Apfelbäumen. In kaum wahrnehmbarer Neigung senkte sich der Garten bis zu den Gebäuden eines Pachthofes, die sich unter ihren moosbewachsenen Schieferdächern quadratisch um einen Hof gruppierten. Einige Hähne stolzierten zwischen Hennen, Perl- und Truthühnern umher und schüttelten ihre Scharlachfämme; von dem gepflasterten Wege längs der Ställe erscholl das Klappern schwerer Holzschuhe.
Der Mann ließ seine schlaftrunkenen Augen vom Düngerhaufen zu den Hühnern und von den Hühnern zu den Mauern des Hofes schweifen. Die Rühe waren eben durch das weitgeöffnete Tor aus ihren Ställen getrieben worden und drängten und stießen sich nun unter den Apfelbäumen im Garten. Aus der Jauche stiegen warme Dämpfe auf; aus den offenen Türen der Ställe drang ein muffiger Geruch und das Brüllen der Mutterrinder, die auf ihrer Streu den Duft frischer Wiesengräser witterten. Ueber dem Dach wirbelten kleine Rauchspiralen in die Luft.
Er richtete sich empor, von instinktiver Neugier getrieben, alles in Augenschein zu nehmen. Vom blauen Hintergrunde des Himmels rundeten sich die blütenstroßenden Apfelbäume. Rofett guckten rosig angehauchte Blütenbüschel zwischen den Zweigen hervor wie verstreute, Sträußchen. Und darunter glißerten die Gräser im funkelnden Morgentau, und über Dächern, Düngerhaufen und aus den Ställen wallte ein feiner, grauer Brodem.
Das Klappern eines aufgestoßenen Fensterladens ließ den Mann seine Augen nach einem bestimmten Punkte des Hauses richten. Leuchtend grün sprang der frischgestrichene Laden auf, und aus dem düsteren Dämmergrau tauchte eine weibliche Gestalt, noch schlaff vom nächtlichen Schlummer.