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Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 143.
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Freitag, den 25. Juli
,, Bringt das viel Geld ein?" fragte sie. " Manches Mal mehr, manches Mal weniger. Uebrigens, ich brauch' ja nichts."
Sie wollte wissen, wie er es anstellte, um zu verkaufen. Je nachdem. Manchmal trüge er das Wildbret bei Anbruch der Nacht in die Stadt, wo er sein bestimmtes Stelldichein mit seinen Kunden hatte. Bei einem Schoppen wurde der Handel abgeschlossen. Manchmal suchten auch die Händler ihn auf. Doch dies wäre schon schwieriger, denn meistens nächtigte er in der Herberge zum„ Sternenhimmel", wenn das Wetter nicht allzu schlimm war; sonst ginge er zu befreundeten Holzfällern im Wald. Uebrigens sei er jedermanns Freund: es gäbe keinen einzigen Menschen, den er haßte. Ah, ja, doch! Diese Briganten, die Gendarmen! Er zuckte höhnisch die Achseln, als er ihrer verachtungsvoll erwähnte.
Was willst Du?" fragte sie nach einem Weilchen. ,, Du weißt es ja!" entgegnete er.
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Sie stand auf, stopfte den Klee in den Sack und sprach: ,, Hilf mir den Sack auf die Schulter heben!"
Mit einem Handgriff hatte er ihr den Sad auf den Rücken geladen. Doch als sie sich in Bewegung seben wollte, hielt er sie am Arme zurück.
,, So gehst Du weg?"
Sie sah ihm voll in die Augen, und in gegenseitige Betrachtung bersunken, blieben sie, verlegen lächelnd, längere Beit stehen, von der gleichen Sympathie zueinander hingezogen. In Germainens Wangen war eine Nöte aufgestiegen. Cachaprès streckte seinen Arm nach ihr aus. Sie entwand sich ihm und lief eilig den Weg zum Gehöfte hinab.
Er stand noch immer wie festgebannt und blickte ihr nach; als sie im Hofe verschwunden war, zog er sich ins Gehölz zurüd, und wütend, daß er so feig gewesen, riß er sich sein Fleisch mit den Nägeln blutig.
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Cachaprès hielt inne. Die Vorsicht gebot hier abzu- Er war ein richtiger Sohn der Erde. Wie die Ninde der brechen. Der Umgang mit dem Wilde hatte ihn zur Selbst- Bäume war seine derbe Haut an Sonne und Kälte hart gezucht erzogen, und nun schien er über sich selbst erstaunt, schon so viel gesagt zu haben.
,, Das war alles nur Scherz," sagte er. Sie sah ihm fest in die Augen:
" Hast Angst vor mir?"
Nein."
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,, Brauchst nicht zu fürchten, daß ich Dich angeb'." Er blickte tropig drein.
,, Ach was, das ist mir ganz egal."
Es trat eine Pause ein. Dann wollte er von ihr wissen, wer sie sei.
" Ich bin die Tochter des Pächters Hulotte . Der Bachthof gehört uns."
Und sie deutete mit dem Finger auf die Umgebung: „ Das auch, bis zu der Hecke dort unten. Und dazu noch die Wiesen auf der anderen Seite des Teiches." Er zuckte die Achseln.
Ich bin doch reicher als Du. Mir gehört alles, was ich will. Wenn auf Eurem Grunde ein Kaninchen wär', so könnt' ich es gleich haben. Ich bin ein Herr von Ueberall", wo ich mich gerade befinde."
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Er wollte ihren Taufnamen erfahren. „ Weshalb?"
,, Weil ich's wissen will."
Sie hieße Germaine. Sie hatte drei Brüder, der jüngste war in einem Pensionat; der war achtzehn Jahre alt und fonnte Klavier spielen. Die beiden älteren arbeiteten in den Feldern. Lachend unterbrach sie sich- und stemmte ihre Hände in die Hüften.
Rat' einmal, wie alt ich bin."
,, Neunzehn Jahre, ja?"
,, Und zwei dazu. Du siehst, ich bin schon alt."
worden; von der Eiche hatte er den festgefügten Bau seiner stämmigen Glieder, die vollentfaltete, geweitete Brust, die breite Basis seiner sicher ausschreitenden Beine; und der ständige Aufenthalt in freier Luft hatte ihn zu einem Manne von unverwüstlicher Körperkraft herangebildet, der weder Krankheit noch Ermüdung kannte.
Mit seinem wirklichen Namen hieß er Hubert. Er war der Jüngste der Brüder Hornu und in einem Gebüsch im Walde zur Welt gekommen. An der kräftigen Schrei, mit dem er die Welt begrüßt, hatte der Alte seine Rasse erkannt. Die Hornus waren Riesenkerle, die weder Gott noch den Teufel fürchteten. Und mit einem kraftvollen Trieb war er in die Höhe gesproßt, unabhängig und frei wie ein junges Wild.
Wohl geschah es bisweilen, daß ihn ein Paar schwielige Hände anfaßten, die in ihm die Enipfindung einer derben Liebkosung erweckten; dann sahen seine scheuen Aeuglein ein paar harte, lederne Gesichter über sich, knorrig wie die Baumstrünke, womit die Hirten Feuer anmachten. Aber meistens lag er allein, im Winter auf dürrem Laub, im Sommer auf frischem Gras, und kein anderes Schlummerlied wiegte ihn ein als der grollende oder sanft säufelrde Wind, je nach den Jahreszeiten. Und sein nackter Leib wurde von Käfern und Mücken umschwärmt und allmählich von der Sonne gegerbt.
Eines Nachmittags hatten ihn die Alten unter einen Sie mußten Baum auf ein weiches Mooslager gebettet. einem Bauern einen Karren Reisig zuführen und vertrauten unterdes ihren Jüngsten Gottes Obbit an. Als sie nach drei Stunden zurückamen, fanden sie das Kind nicht mehr. Doch waren sie nicht einen Augenblick besorgt, daß ein Tier es verschlungen oder in dieser Wildnis, wo bloß Hasen und Ka ninchen hausten, ein Mensch es geraubt haben könnte; ruhig
" Bah! das ist gerade die beste Beit für einen Liebsten," und gemächlich begannen sie vielmehr, die Umgebung abzusagte er nach einer kleinen Bause.
,, Ach was!"
Sie schüttelte den Kopf, wie um anzudeuten, daß sie nicht einen Moment daran dächte. Aber er ließ von dem Gedanken nicht ab; ihn quälte eine eifersüchtige Neugier. Und undermittelt fragte er:
,, Sag', wer ist's."
Ich? Ich hab' feinen." Doch!"
"
„ Nein!"
Er trat resolut auf sie zu:
„ Also, dann werd' ich es sein."
streifen.
Das Kind war bis zu einer tiefen Schlucht vorgedrungen, indem es sich, auf Bauch und Händchen kriechend, an den Wurzeln und den niedrigen Zweigen des Gestrüpps weitergeschoben hatte. Etwas Lebendiges, das es von dort herauskommen gesehen, hatte seine Neugier erregt, ein rötliches Tierchen, wie dergleichen öfters vom Vater oder den Brüdern nach Hause gebracht wurden. Das Tier war ein paar Augenblice mit possierlichen Sprüngen über das Gras gehüpft und dann wieder in seine Höhle zurückgekehrt; entzückt und berwundert und am ganzen Leibe zitternd hatte sich der kleine Hubert bis zum Schlupfloch vorgeschoben und das lebendige
Sie richtete sich auf ihren Fäusten in die Höhe und lachte Spielzeug belauert. ihm fed ins Gesicht.
Du- Cachaprès?"
Seine Eltern fanden ihn am Rande des Abhanges liegend, bis zu den Schultern in der Höhle ve stedt. Damals war er
Er kam noch näher und wiederholte befangen lächelnd, fünfzehn Monate alt. So zeigte sich zunt ersten Male seine mit unendlich sanfter Stimme:
Germaine."
Verwirrt blickte sie ihn an. Er sagte nichts weiter und fuhr nur fort, sie mit seinen grauen Augen schmachtend anzusehen.
tünftige Leidenschaft fürs Wild.
Bald ließ ihn der Anblick eines Kaninchenfells seine ermchen begehrlich ausstrecken; feuchend und stöhnend, mit ungebärdig zappelnden Fäustchen langte er danach, von einer unzähmbaren Begierde nach der molligen Wärme des weichen