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noch am selben Abeid in Gestalt einer kleinen Rehgeis mit Ihr solltet seine listigen Augen sehen, wenn er erzählt. Wie flinken, geschmeidigen Läufen. Das Tier kam mit hochauf- fie merkwürdig blinzeln und Gedankenstriche ziehen, daß einem gerichtetem Röpfchen durch eine Schlucht, fich rhythmisch wie bange wird. Und das ist alles wahr, was er erzählt, daran ist kein Zweifel. im Tanze wiegend. In weiterer Entfernung, am Rande eines Sumpfes, äste ein Rudel Nehe vom Waldesfrieden und dem flüsternden Rascheln im Hain umhüllt.
Er zielte.
Ein Knall zerriß die Luft. Dann sah er durch den bläulichen Rauch eine tolle Flucht; das ganze Rudel warf sich ins Dickicht, und mit der Waffe an der Wange, blieb er betäubt stehen, nichts sehend, nichts hörend, wie überwältigt von der eigenen Macht. Als seine Bestürzung gewichen war, lief er zu der Stelle, nach der er gezielt hatte. Das Reh hatte Reißaus genommen, sein Schuß war fehlgegangen.
Daran spann sich eine ganze Reihe von Erwägungen; er folgerte, daß er zu niedrig gezielt habe und dachte lange nach, wie es besser zu machen wäre. Doch plötzlich erhob sich Stimmengewirr aus dem Innern des Waldes. Er sah ein paar aufgeregte Männer mit langen Schritten über das Jungholz springen, und einer von ihnen, der eine Jagdtasche um die Schulter und eine Flinte trug, lief auf ihn zu und fragte, ob er niemanden gesehen habe. Es war der Förster.
Nein," antwortete der Knabe, der in aller Seelenruhe ein Liedchen zwischen den Zähnen pfiff.
Schlau, wie die leibhaftige List, hatte er seine Flinte unter einem Dornengebüsch. verborgen. Und die Männer entfernten sich, ohne zu ahnen, daß dieser kleine Knirps schon ein Mörder war.
Mit einem Male hatte er eine ganze Menge zugelernt: wie man eine Flinte handhabt, den Lärm, den das macht, die Menschen, die das anlockt; und dieses Erlebnis wühlte mächtig in dem kleinen Gehirn. Nach Abzug der Männer Jachte er in sich hinein: künftighin würde er schlauer sein. Er verschaffte sich Pulver und zielte auf Vögel. Doch das Pulver verpuffte heftig zischend wie eine Rafete, ohne Schaden anzurichten. Er gab einige kleine Kieselsteinchen hinein, und da fielen ein paar Vögelchen getroffen zu Boden, doch die anderen nahmen Reißaus, wie ihm zum Spotte mit den Flügeln schlagend. Also das genügte auch noch nicht! Und während er sich in Grübeleien verlor, kam der Vater herbei und sah ihn auf der Erde liegen, die Flinte in der Hand.
Du Narr," sagte er. Mit Steinen fann man nicht laden. Dazu braucht man Blei!"
Das Kind, das auf einen Zornesausbruch gefaßt. gewesen, sah über das verwitterte Gesicht des Alten etwas wie stille Rührung huschen.
Am nächsten Sonntag wanderte der Vater ein wenig vor Tagesanbruch nach der Stadt; und während er so dahinschritt, dachte er voll Ergößen über diesen frühreifen Taugenichts nach, der seines Fleisches war. Und der Wald hörte sein Lachen, das wilde Gelächter eines einsiedlerisch lebenden Menschen. Zu Mittag fam er heim und brachte ihm Pulver und Schrot.
Hat wohl schon manchmal der eine oder andere ungläubig den Kopf geschüttelt und das seine gedacht. Aber dabei blieb es denn auch. Denn eigensinnig und seltsam ist unsere märkische Heimat mit allem, was drin ist. Das muß man sich merken.
Hinnert Haste war Bergmann bis zu seinem sechzigsten Johannistage. Und das ist auch lange genug. Freilich muß man dabei bedenken, daß damals auf den königl. privil. Zechen an der Ruhr der Fördersoll auf den einzelnen Häuer sicher nicht höher war, wie sein Lohn. Na, und der soll ja bekanntlich gering genug gewesen sein." Boll te wennig," jagt mein Freund Hinnert zu mir, at et förn Apolder räifen." Und dabei stopft er schmunzelnd seinen kurzen Hummel, heut abend zum viertenmal, und reibt sein schwefelig Schwedenhölzchen an seiner Buyen an, daß die blauen Funken knistern und züngeln.
Wir gehen weiter unseren Spaziergang. Der Mond ist mittlerweile hinter den Bäumen von Schrid heraufgestiegen, und seine filbrigblauen Strahlen ergießen sich in zarter Schöne über den leichten, weißen Nebel, der in den Brombeerbüschen an den uferhängen geheimnisvoll webert. Ein Bächlein rieselt und schlickert wie ein Schlänglein über unseren Weg.
Schau! Das ist sie ja, die muntere, braune Strosse vom Erbstollen St. Mathias im Geklüft! Traun! Du altes Gemäuer, im Buchenüberschwall, wir kennen uns so gut. Wie oft als junger Knirps bin ich mit leichtem Fuß in deiner dunklen Kühle über die moosigen Steine gesprungen, Molche und Fledermäuse aufscheuchend aus ihrem Geschlupf. Und weißt du noch? Denkst du fchweigsamer Zeuge noch an die hochseligste Stunde meines Lebens. Mädchen deine Bergherrlichkeiten zeigen wollte. Es war so dunkel Als ich ein junger truhiger Fant war und dem lieben, schüchternen um uns, damals in deinem Innern. Drinnen, aus den verfallenen Hallen und Gängen tam ein heimlich schmunzelnd Geflüster herauf. Leise und kühl wehte um unsere Stirnen der sagenhafte Bergwind, daß sie so ängstlich wurde, meine traute Geliebte, und meine Hand fester hielt. Und als sich dann drinnen bei den blauleuchtenden Solzträgern in enger Umarmung unsere Lippen fanden zum ersten, langen Ruß, gelt, du alter Stollen, was war das ein Glüd. Wie sie so emsig schwatzten und ficherten, deine kleinen, guten Geister der Nacht und uns umtanzten mit singenden Geigen und fröhlichen Augen, die in der Dunkelheit glänzten wie fleine Fünkchen Rubin.
O, du selige Zeit. Und nun hast du mir von allen deinen Wonnen nur die Sorge und den Kummer gelassen. Und nur dich hab ich noch, meine ernste, geliebte Heimat, und hier und dort ein gutes Herz. O Glück und Traum, wohin bist du gegangen?
Hinnert, vertell mi noch mol dat Stück van de Künnigesdochter öwwer dem See," wende ich mich an meinen Freund und sehe mich zu ihm auf seine Gartenbank. Denn nebenan, im weißgetünchten Häuschen, von dem ich euch hoffentlich noch manch schönes Stück erzählen darf, wohnt er ja, mein alter Freund und Graubart, Hinnert Haske vom Greinewald.
" Junge, schwieg mi stille dovan. Dat es to trurig, un du kannst et jo of utwennig," fommt gelassen seine Antwort. ,, Dann vertell en annern."
Mir ist so heimelich zu Mut. Ueber uns ist Schweigen. Die hohen, weiten Buchen recken so dunkel ihr wogendes Dach. Nebenan, im Bergwinkel, plätschert und flunkert das wässerlein hervor aus dem Stollenmund. In der dunkeln, eingemummelten Gartenhede zirpt ein Distelfink im Schlaf. Meine Sinne find wach. Wenn ein leiser Windhauch die schlanken, schichtigen Zweige bewegt, auf- suchen meine Augen unruhig durch die Nacht hin.
„ Da hast Du was zur Unterhaltung, Junge," sagte er zu Hubert. Rehe kommen bis auf dreißig Frank, für Hasen friegt man vier bis fünf. Aber es gibt auch Förster, Gendarmen, Heger, lauter solche Kanaillen. Da heißt es auf passen!" ( Fortsetzung folgt.)
Das alte Lied.
Skizze aus dem westfälischen Bergmannsleben von Otto Wohlgemuth .
Wenn an den verwachsenen Pfaden und Abhängen der märfischen Ruhrberge der gelbe Brahm und die Hagebutte blüht, wenn aus den grünen Buchen- und Eichenwäldern bergauf und nieder der Ruf des Kuckucks wiederhallt und in den friedlichen Abendftunden, durch das weite, stromdurchglänzte Tal der heimischen Drossel kunstvolle Flötenlieder das Echo rufen, wandre ich gern mit meinem Freunde über den steinigen Leinpfad den Wellen nach, die im Dunkeln murmeln, an den schwarzen Koppeln und Nebelweiden borbei.
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Ihr kennt doch meinen Freund, den alten Hinnert Haste? Nicht? Und seid Märker? Aus den Ruhrbergen sogar, wie ich! Nun, das wundert mich.
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Hinnerf Haske vom Greinewald ist das Juwel einer Freundschaft, plattdeutsch vom Mutterleibe her und treu und biedersinnig. Hinnert Hasfe wird am Johannitage zweiundachtzig Jahre alt, trägt seinen weißen Bart wie ein Hollandsmann und weiß mehr Geschichten als ich und du und wir alle zusammen.
Neben mir sizt mit verschränkten Armen der Alte aus alter Beit. Weißblau im Mondenschein leuchtet sein Bart und seine Augen schauen immerfort geradeaus.
So fißt er immer, wenn er denkt und träumt von der bcwegten Zeit seiner Jugend. Von der Zeit seiner Liebe und Kämpfe, von den Stürmen der achtundvierziger Jahre und den großen Kriegen. Oft stundenlang und nur in meiner Gegenwart, denn ich bin sein Freund.
Er weiß, ich bin auch so einer, der immer graben muß, inbrünstiglich durch alle Tiefen des Lebens, und doch nichts begreift. Er hat mich gesehen vom ersten Tage meines Daseins an. Er hat mir Lesen und Schreiben beigebracht, besser wie ein Magister, mir alle alten Geschichten erzählt und Sagen und den Gedanken in mir lebendig gemacht.
„ Otto!" Ich schrecke aus meinen Träumereien. Seine Stimme ist schnarrig. Ich weiß, sein Innerstes ist ergriffen.
Und gedrückt kommt es aus ihm hervor wie eine schwere Befreiung: Et es großartig un großartig!"
Ruhig warte ich ab und beschränke mich auf ein verständnisvolles:" Jo, jo."
„ Et es guot, dat du vandage gekommen büft; ed hewwe wat för di. In meinem groten, eefenem Kuffert het eck dat Bauf wier gefunnen, dat Mildheimische Liederbauf, van minem Vadder ut dem ollen Frißen fine Tid. Un dat sas du hewwen."
Er wartete. Der Knafter unter dem Deckel seiner Pfeife knisterte wieder rötlich durch die Nacht.
Un nu paß op. Jeht kann eck od we dat schöne Lied van de