Oder auch ein junges Weib hat gegen ihre Pflicht gefehlt!" versetzte Iwan, ohne sich zu rühren. Kennst du das Lied von der Stoyanitza, der ungetreuen Gattin? ES ist nicht so wundersam wie daS Märchen... Soll ich es dir einmal vorsingen?" Meinetwegen." Nnd kraftvoll und weich zugleich dringt eine Tenorstimmc durch die Nacht. Sie singt ein Liebeslied, besten Worte wie herrlich duftende Blumen find, die man zu Kränzen windet. Wie aus unendlichem Schmerz quellen die Töne hervor. Anmutig, doch tränenschwer er- zählen sie die Geschichte von der ungetreuen Gattin Stohans. Am Tage nach der Hochzeit mutzte der junge Soldat Stoyan kort. Beim Abschied bittet er sein junges, schönes Weib, wenn sie thn liebe, möchte sie nicht an die Quelle des Gurgulow gehen, um Wasser zu schöpfen. Kaum aber ist Stoyan fort, als Stoyanitza an den jungen Gurgulow denken mutz, der ihr so oft den Hof gemacht. Und sie kleidet sich an, steckt kokett eine Blume übers Ohr, und das Joch mit zwei blanken Eimern auf der Schulter, geht sie zu der ver- hängnisvollen Quelle. Kaum erblickt Gurgul das schöne Kind, so klopft ihm stürmisch das Herz, und sein schwarzes Auge funkelt.. Hier unterbricht sich Iwan uno richtet sich halb auf» um zu fragen: Nun, Lazo, gefällt Dir das Lied?" Lazo aber gibt keine Antwort. Er schläft," sagt Iwan, und stützt sich auf den Ellbogen. Oder er weint.. höhnt Stamo. Ich an seiner Stelle wäre schon längst wieder daheim. Man soll Gott   nicht in Versuchung führen!" meint Iwan spöttisch. DaS schwermütige Lied wendet Lazos Gedanken zu seinem Dorfe. Auch dort liegt eine Quelle, versteckt in einem kleinen Waloe, an der seine Penka morgens und abends Waffer schöpft... Ein angstvolles Stöhnen entringt sich Lazos Brust. Es wird schon spät. Das ganze Feld liegt in tiefem Schlum- mer. DaS leise Glöckchen des Esels ist verstummt. Wie eine weitze Kugel liegt das Hündchen da friedlich ist es eingeschlafen dicht am Feuer, dessen letzte Flämmchen noch einmal aufflackern, um dann ganz zu verlöschen. Leise plätschern die trüben Fluten der Maritza  zwischen den träumenden Ufern dahin und raunen der Nacht Ge- spenstergeschichten zu. Einer nach dem andern sind die Schnitter eingeschlafen. In die Mäntel gehüllt, strecken sich ihre robusten Gestalten regungslos um das Lagerfeuer. Nur Lazos Augen flieht der Schlaf. Die Scherze der Käme- raden haben seine junge Seele in Verwirrung gestürzt und grau- same Bilder steigen vor seinem Geiste auf. Zum Heimatdorf eilen seine Gedanken, zur Penka. Er sieht sie vor sich, wie sie schlank und weitz wie Schnee auf der Schwelle des Hauses steht. Traurig mihi ihr Blick die staubige Landstratze, die sich überS Feld zu fernen Landen schlängelt. Dorthin ist Lazo fortgczogen und hat sie zurückgelassen, um das verwünschte Geld zu verdienen... Ach, die Zeiten sind ja so schwer...Was konnte er auch dafür? Morgen wird sie zeitig aufttehen und behende und zierlich wie ein Reh zur Quelle schreiten, um Wasser zu schöpfen. Und dort trifft sie vielleicht... ah, er weitz wohl wen! Hat er sie nicht oft genug umschwärmt? Hat er sie nicht oft genug verfolgt, wenn es zum Tanzen ging? Er ist ein Brausekopfs Und listig und verschlagen... Und Penka ist so jung, so uner- fahren... Jetzt sieht Lazo das dichte Gebüfdh vor sich, daS die Quelle um- gibt. Penkas reizendes weisses Geficht erscheint zwischen den grünen Zweigen. Nun bückt sie sich... und da gleitet plötzlich liebkosend eine Männerhand zu ihr... eine fremde Hand! Zornig ist Lazo aufgesprungen. Was zaudere ich denn noch hier?" fragte er sich, und wirft den Mantel hin. Die Nacht ist totenstill. Nur die Heimchen zirpen ihr heim- liches Lied... Penka... Penka... Penka.». «« * ... Als der Morgen tagt und die Schnitter erwachen, ist Lazo verschwunden. (Autorisierte Uebersetzung von H. Hesse.) DoitfcKe ürwälder. Wohl alle haben wir in unserer Jugend von der Pracht des Urwaldes" geträumt, ihn durch phantastische Schilderungen und durch eigenes Ausschmücken mit aller erdenklichen Naturschönheit für unsere Sehnsucht zu einem Zailbergarten umgestaltet, datz unS gegenüber diesem Ideal die eigene, heimische Natur als kümmerlich und schäbig erschien. Freilich blieb dann für jene von unS, die später südlich« Vegetation mit eigenen Augen schallten,«ine geivisse Enttäuschung nicht aus und in allen Briefen und Rciseschildcrungen, in denen unS Forscher und Naturfreunde ans den fernen Tropen berichten, zittert immer wieder di« Sehnsucht nach den stillen Hallen unseres deutschen Walde? durch, als der schönste und harnionischste aller Naturszenerien. Aber wenn sich unser deutscher Mittel- und Hoch- gebirgswald auch nicht messen kann an Urwüchsigkeit und Grotz- artigkeit mit den Wildnissen anderer Erdteile, so liegt dies doch nur an den Kulwrverhältuissen und keineswegs daran, daß bei uns Klima oder Bodenerschöpfung, wie man so manchmal hört, der Natur nicht mehr jene schöpferische Krastentfaltung gestatten würde, wie außerhalb Europas  . Europa  , ja sogar unser Vaterland, birgt noch genug Punkte, wo die Natur an Macht und Fülle hinter keinem der berühmten Wildwest- oder asiatischen Urwälder zurücksteht. Durch schätzenswerten Natursinn gelrieben, haben sich in Deutschland  und Oesterreich   wiederholt Männer gefunden, die auf die Nutzung ansehnlicher Teile ihres Besitzes verzichteten, um uns Neste jene» einstigengermanis-bew Urwaldes" in unverfälschter Pracht zu er- halten, der die römischen Schriftsteller, vor allem TacituS, in so ehrfürchtiges Staunen versetzte. Aber auch abgesehen davon bergen abgelegene Täler der baye- rischen(und wohl auch der österreichischen  ) Alpen   Waldbestände, die wir mit vollem Recht als Urwälder bezeichnen können, da sie, in- mitten unermeßlicher Forsten an schwer zugänglichen Orten gelegen, seit Jahrhunderten kaum aufgesucht, geschweige denn ausgenutzt wurden. So möchte ich die vielen Besucher der oberbayerischen Seen darauf ausmerksam machen, datz gerade gegenüber dem Modeorte Tegernsee   ein derartiger deutscher   Urwald von 300 4(X?jShrigen Tannen nnd Buchen grünt. Wo an, andern User des Sees sich der schäumende Söllbach durch die Wälder herabstürzt, gelangt man in einem Seitental hinter demBauer in der Au" in eine Waldwildnis von beinahe erschreckender Großartigkeit. Diesen Wald zu betreten ist fast mit ebenso vielen Schwierigleiten verbunden, wie irgend« einen der Tropenwälder   erst wenn wir dies gesehen haben, be- greifen wir, warum Deutschland   den römischen Eroberern nicht an« mutend, sondern schrecklich vorkam. Ein anderer derartiger Urwald befindet sich im wildesten Teil« des Böhmerwaldes, an den Anhängen des etwa 4300 Meter hohen KubanibergeS. Er gehört dem Fürsten Schwarzenberg   und wurde schon vor geraumer Zeit jedem Forstbetriebe entzogen und nun als unantastbares Fideikommiß fürewige Zeiten" vor Verwüstung sichergestellt. Ein weiterer bekannterUrwald" gehört dem Baron Rotschild und befindet sich ungekannt und in unberührter Schönheit in nächster Nähe Wiens in einem abgelegenen Bergkessel. Er ist jedoch für die Oeffentlichkeit auch nicht zugänglich. DaS Studium dieser Urwälder wurde von den Botanikern be« greiflicherweise mit großem Jnteresie in Angriff genommen und er» gab auch die überraschendsten Auffchlüsie, welche jedem Freund unserer Flora und Fauna eine höchst belehrende Aufklärung über das eigent- liche Wesen unserer heimischen Natur bieten können. Räch den eingehenden Studien von G ö p p e r t und neuestens von Schleichert stellt sich als charakteristisch für den Typus deseuropäischen Urwaldes" folgendes dar: Wir erwarten nach dem Eindruck der tropischen Wälder gewöhnlichein undurch« dringliches Dickicht der Stämme, durchsponiicn von Schlingpflanzen und durchwuchert von Hecken des mannigfachsten Gesträuchs". Dies« Vorstellung ist aber nicht richtig. Wohl wird unser Wald, wenn er sich selbst überlasten bleibt, auch undurchdringlich aber hauptsächlich dadurch, daß die durch Alter und Windbruch ge- stürzten Riesenstämme mit ihrem Astwerk den Weg ver- sperren. Die Bäume selbst stehen nicht sehr dicht, und nur. dann, wenn in das Dach eine Lücke gerissen ist, durch welche Sonnenschein hereinflutct, sprießt aus dem Moder ein freilich unglaubliches Dickicht fröhlich grüner Bäumchen auf. Sonst ist der Gesamteindruck unsäglich niederdrückend ernst und düster. Man er« staunt vor der Riesenhaftigkeit aller Dnuenfionen, aber man wird all der Pracht nicht ftoh, denn sie wird aufgewogen durch die Ver- wesung und Verwüstung. Der Boden wird durch die Ansammlmtg so vieler Pflanzenleichen modererftillt, durch das Gewirr fallender Stämme, die den Wasserabfluß verhindern, großenteils morastig, so daß man auf den liegenden Stämmen, manchmal bis zur Mitte in den faulenden Mulm einbrechend, mühsam und halsbrecherisch über den sumpfigen, übelriechenden Untcrboden hinwegklettern muß. Manchmal sind die als Brücken dienenden Bäume so hoch, daß man erst beschwerlich auf sie hinausklimmen mutz. Dazu strecken sich schlangenartig Hunderte von toten und lebenden Wurzeln in die Lust und zwischen dem Moder, über den, ein stets dunstiges Dämmern ist. Dazu kommt die absolute Stille dieser Einöden, der völlige Mangel an Blumen und Vögeln, so daß der Gesamteindruck (wenigstens auf mich) ein unheimlicher und durch die Monotonie der sich darbietenden Bilder schließlich langweilig war nnd keinen Vergleich mit den uns so trauten Waldbildern unserer wohlgepflegten Thüringer oder Alpensorsien aushält. Dafür bietet dieser Urwald eine ganze Reihe intereffanter Eigentümlichkeiten. Eine der sonderbarsten Erscheinungen ist die reihensörmige An- ordnung zahlreicher Bäume, für die man erst dann eine Erklärung findet, wenn man bemerkt, wie aus gestürzten alten Bäumen eine junge Saat emporleimt.. die in dem Moder geschütztere Verhältnisse und auch beffere Nahrung findet, als in dem sumpfigen Boden. Ebenso merkwürdig ist die Neigung unserer Waldbäume zur Stelzen- bildung. Häufig steht die mächtigste Tanne oder Buche auf einem mehrere Meter hohen stelzenartigen Gerüst von gewaltigen Wurzeln. Auch diese Erscheinung läßt sich auf die oben besprochene Tat­sache zurückführen. Der junge Baum, der seine Wurzeln in die� ver­morschenden Stämnre seiner Vorsahren senkte, nickt natürlich immer mehr in die Lust, in dem Maße, als feine erste Unterlage