Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 146.

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Ein Mann.

Von Camille Lemonnier .

4.

Mittwoch, den 30. Juli

Cachaprès begann nun um das Gehöft zu streichen wie ein Sperber, der seine Beute umkreist. Er schweifte hinter den Hecken umher, schlenderte den Waldessaum entlang, oder hielt, auf einem Baume zusammengekauert, Ausschau nach ihr, auf dem im Fluge erhaschten Anblick ihres flatternden Rockes oder eines Stückchens ihrer Gestalt sein Verlangen nährend. Zu seiner Vernichtungswut war noch ein ganz anderer, gebieterisch drängender Trieb hinzugekommen. Er vernachlässigte die Hinterhalte und Schlupfwinkel in den Büschen. Das rötliche Fell des Hasen vermochte seiner Flinte nicht mehr den mörderischen Blitz zu entlocken, der so oft Tod und Verderben gebracht. In den Tiefen eines Gestrüppes schlummerte nun seine Büchse.

Bald war er mit den Gewohnheiten des Hauses vertraut. Mit Tagesanbruch wurde das Vieh auf die Weide getrieben. Es gab zwei Weidepläße, einen unter den Obstbäumen und den anderen auf der großen Wiese im Wald. Manches Mal trieb Germaine das Vieh wieder ein. Zweimal war er ihr nachgegangen. Sie hatten nichtssagende Worte gewechselt, aber dabei einander zugelächelt, durch das bloße Bewußtsein ihrer Nähe beglückt. Und dann war sie knapp vor dem Ge­höfte plötzlich mit einem Adieu" davongelaufen.

Nachmittags ging fie ins Feld. Es wurden die letzten Kartoffeln gesteckt. Hulotte hatte eigens einige Mägde für diese Arbeit gedungen, und sie war mitten unter ihnen, gleich einer von ihnen emsig schaffend und über die braunen Schollen gebückt.

Stundenlang beobachtete er sie, hinter einem Baume oder Busche verborgen; eine innere Stimme warnte ihn, sich zu zeigen. Den Korb aus geflochtenen Weidenruten gegen die Hüfte gestemmt, schritt sie längs der aufgeworfenen Furchen einher, abwechselnd ihre Hand in den Korb tauchend und vor sich ausfäend; und in dieser sich rhythmisch wiederholenden Geste lag eine erhabene Größe. Hinter ihr warfen die Mägde das lockere Erdreich mit einer Schaufel wieder zusammen.

Voll Bewunderung sah er in dem heißen Dunste des Nachmittags die Bewegungen ihrer biegsamen Gestalt. Dann und wann streckte sie sich gerade und rastete ein Weilchen mit halbgeschlossenen Augen, die Fäuste in die Hüften gestemmt und aus tiefer Brust die warme Luft cinatmend.

Einmal ahmte er den Schrei des Käuzchens nach, damit sie den Kopf nach ihm umwende. Sie sah im Gehölze sich etwas in den Zweigen regen, und da sie ihn dort ahnte, winkte fie mit der Hand. Da begann er hell zu wiehern wie ein junges Fohlen.

Wie drollig er ist!" dachte sie bei sich.

As an jenem Tage der Stand der Sonne die vierte Nachmittagsstunde kündete, kehrten die Mägde allein nach dem Hofe zurück. Sie habe keinen Hunger, sie wolle lieber noch säen; die Arbeit ginge viel zu langsam vorwärts. Und noch andere Gründe mehr, nach dem Weggang der Frauen allein im Felde zu bleiben.

Cachaprès sprang vom Baum herunter; mit ein paar Säßen war er an ihrer Seite.

Du bist's?"

Ja."

,, Was hast Du denn auf dem Baum gemacht?" Nichts."

Oh, doch!"

Was?"

Mir zugesehen hast Du, gelt?"

Er wiegte den Kopf.

,, Da hast Du recht."

Sie maß ihn mit einem seltsamen Lächeln und sagte: ,, Laugenichts! Eine schöne Beschäftigung, die Du da hast! Nichts tun und den ganzen lieben Tag den Mädeln nachschauen!"

Er suchte nach einer Erwiderung.

Ich," sprach er, ich verdien' in einer einzigen Nacht so viel Geld, daß ich drei Tage lang müßig gehen kann. Und

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überdies macht es mir Spaß, Dir so zuzusehen. Das tu' ich. mindestens ebenso gern, wie mir die Füße wundlaufen."

Sie bemerkte, daß sie in ihrer Kindheit am liebsten im Walde herumgelaufen sei; doch kam sie nur selten dazu, da ihr erster Bater es richt leiden mochte. Und plöglich ging's wie eine boshafte Freude über ihr Gesicht.

Richtig! Das hab' ich Dir noch gar nicht gesagt: mein erster Vater war ein Förster."

Er glaubte, daß sie sich über ihn lustig machen wolle. Aber da klärte sie ihn über die Ehe ihrer Mutter mit dem Bächter Hulotte auf. Die schönste Zeit ihres Lebens hatte sie auf dem Bachthofe verbracht. Als ganz kleines Kind war sie nicht so recht glücklich gewesen: nicht, daß ihr Vater mit ihr gerade schlecht gewesen wäre, aber er war übellaunig wie alle Leute, die im Walde lebten. Und indem sie das sagte, streifte ihn ein herausfordernder Seitenblick.

Ah, ich," erwiderte er, ich bin so weich wie Butter. Ich weiß gar nicht, wie das ist, jemandem weh tun!"

So prahlte er und erging sich in überschwenglichen Lob­reden über seinen vortrefflichen Charakter. Dann gab er wieder seiner Verwunderung Ausdruck, daß sie die Tochter Maucords sei und nicht Hulottes, wie er ursprünglich ge­glaubt; und er brach in ein helles Lachen aus:

hätt

Ach, das ist zu komisch! Wenn Dein Vater noch lebte, ich ihn am Ende gar einmal niedergeschossen!" Sie richtete sich in die Höhe, in ihren heiligsten Gefühlen

verlegt:

per

" Das war ein Mann!" versetzte sie abiveisend, er hätte Dich zuerst niedergeknallt wie einen Hund."

Möglich," antwortete er fleinlaut; er sah ein, daß er ein wenig zu weit gegangen war.

Und er lenkte das Gespräch auf etwas anderes. Bald käme nun der Kirmestag. Er wollte wissen, ob sie gerne tanze, und da sie bejahte, sagte er:

" Ich auch; man hüpft und springt, macht ein bißchen Dummheiten und zum Schlusse wird geküßt. Gelt, wir werden uns auch füffen, Germaine?"

Das möcht' ich sehen!"

Er kam ganz nahe an sie heran, pacte sie an den Hand­gelenken und suchte ihre Wange gewaltsam an sein Gesicht zu ziehen.

" Das macht man so," lachte er.

,, Und das macht man so," verfekte Germaine und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

Ihr war die Zornröte in die Wangen gestiegen. Es ver­droß sie, daß er stärker war als sie. Wie ein Verräter hatte er sie überrumpelt, nein, noch viel ärger... Seine trunkenen Augen brannten auf ihr:

rief

Möchtest Du mir's nicht nochmals zeigen, Germaine?"

er.

Sie konnte fich des Lachens nicht erwehren. ,, Nein," erwiderte sie, dann müßt' ich immer und immer wieder von neuem anfangen."

In der Nähe erschollen Stimmen.

Bloß ein einziges Mal noch," bettelte Cachaprés und trat mit ausgebreiteten Armen und geblähten Nasenflügeln auf sie zu.

Versuch' es," rief sie und ergriff einen Spaten. Mit einem Faustschlag schleuderte er den Spaten zur Seite und preßte seine Lippen auf ihre warme Haut. Satansker!! Spizbube Du!" rief Germaine halb lachend, halb wütend.

Sie warf ihm den Spaten nach, ohne ihn jedoch zu treffen. Er lief mit großen Sprüngen davon, nach Art verfolgter Wil­derer den Oberkörper vornüber neigend, daß der Kopf fast die Höhe der Hüften erreichte. Im Gehölz angelangt, sandte er ihr ein gellendes Nikiriki zurück. Die Mägde kamen eben wieder aufs Feld.

Lange fah ihm Germaine versonnen nach.

5.

Es war tatsächlich so, wie Germaine gesagt: sie war die Tochter des Forsthüters Maucord, der vor fünfzehn Jahren im Eichenwalde" vom Blige erschlagen worden war. Den ersten Teil ihrer Jugend hatte sie in einem trübseligen, aber peinlich nett gehaltenen Häuschen verlebt. Sie hatte nie eine