Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 148.

In

8]

Ein Mann.

Von Camille Lemonnier .

Freitag, den 1. Auguſt.

Was?"

1913

,, Sechs Joppen. Jawohl, daheim. Und außerdem hab' ich noch eine Samtjoppe und dazu eine Hose und Weste für Sonntag."

,, Wirklich?"

" Ja, und noch eine Menge andere Sachen!"

Dann ward es wieder still. Sachte kipelte er ihre Hand­fläche. Nun empfand auch sie das Bedürfnis, irgend etwas zu sagen. Sie deutete auf eine schwarz und weiß geflecte Kuh mit mächtig geblähtem Leibe.

Seut' abend wird sie ihr Kalb bekommen," sprach sie, oder spätestens morgen früh; so gewiß läßt sich das nicht bestimmen, aber sicherlich wird's bald sein!"

zählte ihm von ihren besonderen Eigenheiten. Die Blässe" Sie nannte ihm den Namen jeder einzelnen Kuh, er­hatte sechshundert Frank gekostet; die Mühe seien sehr teuer. hatte sechshundert Frank gekostet; die Mühe seien sehr teuer. sich mechanisch nach vorn und rücvärts schaukelnd, indem sie Sie stand mit dem Rücken gegen der Baumstamm gelehnt, ich ruchweise kleine Stöße gab. Plötzlich fühlte sie unter ihren Armen eine Hand, die bemüht war, sie zu sich zu ziehen. raden werden." ,, Wenn Du wolltest, könnt'n wir ein Paar gute Kame­

Eines Nachmittags lag er neben dem Bache im Grafe, flach auf den Bauch ausgestreckt. Seine rechte Hand hing ins Wasser hinab, den ruhigen Lauf des Wässerchens hindernd, das sie mit einem leichten Schaum umspülte. Die Augen noch vom Schlafe schwer, blickte er hinab in die durchsichtige Flut, darin goldene Sonnenkringeln tanzten. Silber­glizernde Wasserläufer schwammen mit wütenden Nuder­stößen stromauf; winzige Fischlein, rasch wie der Bliz, glitten pfeilschnell vorüber. Im Sumpfe, zu dem sich der feuchte Grund weiter unten erweichte, quaften die Frösche mit heiseren, gurgelnden Tönen. Eine Backofenglut lastete über Dem Gelände. Er fühlte sich von der allgemeinen Mattig­feit ergriffen, die die Erde im Frühjahr wie eine junge Mutter nach einer schweren Geburt befällt. Aus dem goldig schimmernden Laub, von den blütenüberschütteten Gestaden quollen ihm derbe, sinnbetörende Düfte entgegen. Sein Mund verrenkte sich in heftigen Gähnkrämpfen. Bald refelte bohrten sich tief in ihre Augen und glitten auf ihren Nacken. Er hatte sich über ihren Kopf geneigt, seine Blicke und dehnte er seine Arme oder drückte seine Hand- Als fie eine Bewegung machte, uns sich zu befreien, wurde sie gelenke, daß er sie fast zermalmte. Dann wieder wälzte er inne, daß er sie festhielt. sich im Gras, preßte seine brennende Haut auf den feucht- inne, daß er sie festhielt. fühlen Rasen oder ledte mit der Zunge nach einem Gras­halme, und Seufzer hoben seine Brust. In einem Hasel­strauch fang eine Nachtigall ihr Lied zu diesem einsamen Schmerze.

Plößlich wurde das Blätterwerk von einem Luftstoße erschüttert. Wie verzweifelt begannen die Frösche zu quafen. Und Cachaprès beobachtete, wie das bis vor einer Minute noch so goldig glizernde Wässerchen sich plöblich aschgrau trübte. Dann jagten heiße Windstöße über den Boden dahin, und es rauschten die todwunden Gräser, und aus dem Dickicht des Waldes erscholl grollendes Donnerrollen. Nun schwiegen alle Vögel.

Im gleichen Augenblicke vernahm er eine Stimme auf dem Pfade, den die Herde herabkam, und vor der Barriere drängte sich die dichte Masse der Kühe.

! Hott!" rief die Stimme.

Mit einem Rud war er in der Höhe und lief über die Wiese; da sah er Germaine im Begriffe, den Querbaum zu heben.

"

Grüß Gott!" schrie er ihr zu, ein böses Wetter steigt auf!"

Ein Blizz zerriß das Firmament, und fast alsogleich fielen schwere Tropfen auf die Blätter. Der Donner rollte: auf einmal barst die Wolkenwand und ein fürchterlicher Play­regen stürzte berab. Das Wasser ergoß sich in senkrechten Strahlen und schlug heftig praffelnd aufs Gehölz, daß es wie Hagelförner auf Fensterscheiben klang.

Sie waren unter einen Baum geflüchtet und standen Seite an Seite, dicht aneinandergepreßt. Anfangs drang der Regen noch nicht durch das Dickicht der Blätter, sondern um­schrieb den Baumstamm mit einem glizernden Bogen, daß das Erdreich zu ihren Füßen troden blieb. Aber bald be­gannen die oberen Blätter auf die unteren abzutropfen, und in immer dichter werdenden Strahlen sickerte das Wasser bis zu ihnen durch.

Er zog seinen Wams aus.

Da, nimm," sagte er. Mir macht der Regen nichts. Mir ist in meinem Leben schon so viel Wasser über den Rücken gelaufen, daß man einen ganzen Teich davon füllen fönnt'!"

Er hängte es über Germaines Schulter. Sie ließ ihn gewähren, ein wenig verwirrt von der leisen Berührung seiner Finger. Er näherte sich ihr. Ihre Hüften berührten sich, ihre Wangen brannten und plöblich faßte er ihre Hand und hielt sie fest. Dabei suchte er nach Worten. Er wollte irgend etwas reden. Doch seine Zunge blieb ungelenk; nach­dem er sich alle erdenkliche Mühe genommen, brachte er end­lich stammelnd die Worte hervor:

ch hab' noch sechs."

danke fie dafür, und heftig schrie sie ihn an, sie freizugeben. Ah! nein! wenn er die Kameradschaft so verstehe, dann Er erzählte ihr wieder von seinem guten Charakter, dent Gelde, das er verdiene, und sie hörte ihm mit unruhig umher­irrenden Blicken zu.

meinem Geschmad heiraten!" ,, Ach," sagte sie, ich werde nur einen Mann nach

,, Da möcht ich doch gern Deinen Geschmack kennen lernen."

Onein!' s gibt genug Leute, die ihr Geld auch nicht glück­,, Vor allem," sagte sie, mach' ich mir nichts aus Geld! licher macht."

,, Ganz mein Fall. Geld ist nur zum Versaufen gut. Heut' hab' ich zwanzig Frank, morgen nichts, und manches Mal sind meine Taschen ganz vollgepfropft. Aber wozu? Ich brauch' doch keine Renten. Man ißt und trinkt, tanzt mit ein paar Mädeln, macht ein paar Dummheiten im Dorf- und dann gibt's immer wieder den Wald."

Es hatte zu regnen aufgehört. Ein zartes, verwaschenes Blau lugte aus dem Gewölke hervor. Am Firmamente hingen schwere, dunkle, zerfekte Wolkenmassen mit ausgefransten Rändern. Das verheerende Unwetter fand in einem goldigen Lichtergeriesel sein Ende. Auf allen Blättern gliberten ichillernde Regenbogen. Die unaufhörlich herabfallenden Wassertröpfchen schimmerten wie kostbare Perlenschnüre. An allen Baumstämmen rieſelte nun das Licht hinab, quoll aus dem Dickicht der Büsche, und im Hintergrunde erschien der Wald in schimmernde Fluten von Tau und funkelnden Farben gebadet. Auf dem Rasen standen die Gräser in tief­grüner, smaragdener Glut. Myriaden dunkler Pünktchen frabbelten unterm Blätterwerk; vom Poden stiegen Dünste auf und gliterten und gleißten in Sonnenglanze wie ein Strom flüssiger Metalle. Ueber dem Baumgarten des Weidenhofes" am Ende der Wiese lagen goldene Schleier. Die Erde atmete die Fluten wieder aus, die sie empfangen hatte. Ein giftiger Brodem wallte von ihr auf, vermischt mit einem widrigen Verwesungsgeruche.

Sie standen noch immer unter dem Baume und merkten nicht, daß der Regen aufgehört hatte und die Sonne wieder schien. Noch immer lächelten sie einander zu, von einem un­beschreiblichen Empfinden wie festgebannt. Und plötzlich wurde auf dem Fußsteige eine Stimme laut. ,, Germaine!"

Da bekam sie Angst, mit ihm geschen zu werden. ,, Guten Abend," rief sie und eilte davon.

Pst," flüsterte er mit gedämpfter Stimme, Sonntag ist Kirmes. Kommst Du auch?"

Sie wandte den Kopf halb zurück und blickte ihn mit ihren klaren Augen sinnend an, ohne ja oder nein zu sagen.