AnterhaltungMatt des'Vorwärts Nr. 150. Dienstaq, den 5. August 1918 io] Sin JVIann. Von Camille Lemonnier . Ein Fünkchen glomm noch am Boden. Cachaprds gelangte an eine weite Schonung. Quer durch das Jungholz führte ein Karrenweg: wo die Baumbestände sich lichteten, wuchsen Ginster und Heidekraut in üppiger Menge. An den unteren Teilen der Gebüsche waren Nagespuren von scharfen Hasen- und Kaninchenzähnen zu erkennen. Er bückte sich und verharrte ein paar Augenblicke reglos vor diesen Spuren. Einige ganz frische liefen von der linken Seite der Lichtung nach rechts. Hier gesellten sich engere Spuren zu einer breiteren Fährte. Zweifellos hatte da eine Rehgeiß mit ihrem Bock gewechselt. Er zog das Gewehr unter seinem Kittel hervor, öffnete das Futteral und ent- nahm ihm eine Drahtschlinge. Dann stand er wieder reglos und lauschte mit angehaltenem Atem in den schweigenden Wald, ob nicht ein Wächter nahe. Doch durch den Forst strich nur der leise in den Blättern spielende Wind, das Rascheln eines Zweiges oder gedämpfte, heisere Schreie aus einer tierischen Kehle. Cachaprös warf den Gewehrriemen um die Schulter, gürtete seine Hüsten mit dem Lederfutteral, und mit stocken- dem Atem, gebücktem Leib und leisem Tritt schob er sich be- hutsam in der Richtung vor. die das Wild genommen hatte. Nun war nebst den Fußspuren auch vereinzelte Losung zu sehen: obgleich jetzt die Nacht vollständig hereingebrochen war. konnte er alles ganz genau unterscheiden. Ein Rest von Tageslicht schien noch in seinen Pupillen zu hasten, welche wie die einer Katze funkelten und leuchteten. Er zweifelte nicht mehr, auf der richtigen Fährte zu sein. An einer bestimmten Stelle deutete das besonderes arg zerstampfte Gras darauf hin, daß das Wild von hier nach dem oberen Teile des Waldes auszubrechen pflegte. Aller Wahr- scheinlichkeit nach würden der Rehbock und die Geiß wieder denselben Weg zur Rückkehr nehmen; er begann, nach einem jungen, biegsamen Baume Umschau zu halten. Inmitten eines dichten Gebüsches von Heidekraut stand eine junge Birke. Er zog die Krone an sich, bog sie herab und knüpfte daran eine lange Drahtschlinge. Dann riß er einen Büschel Heidekraut aus und rieb die Schlinge ein. um den Geruch seiner Hände zu decken. Falls das Pärchen hier wechselte, würde der voraneilende Bock sicherlich mit dem Kopfe in die Schlinge laufen, und. aus der Fährte zu schließen, gäbe der keinen üblen Braten. Er versteckte sich. Hinter den Bäumen begann die klare Sichel des Mondes aufzusteigen unh den Wald in ein durchsichtiges Dämmerlicht zu tauchen. Eine schwache, milde Brise wehte über ihn hin, wie der Atem der Erde. Cachaprbs warf sich auf die Hände und eilte in großen Sprüngen hinter dem hochaustagenden Buschwerk den Weg hinab. Ein Rehbock, der gab ein schönes Stück Geld! Doch könnte der Bock auch leicht entschlüpfen und überhaupt: zwei Stücke wären besser als eines. In seinem Kopfe kreuzten sich mordlüsterne Instinkte mit seinen liebestollen Begierden. Germaine an sich zu pressen, mit Wein zu berauschen und dann in die finstere Nacht hinauszuschleppen. An dieser Stelle wucherte das Httdekraut besonders üppig: die Umrisse seiner gekrümmten Gestalt verschmolzen mit den hohen Ginsterstauden. Im Laufen verursachte er kein anderes Geräusch als das leise Knacken der Aeste, an die sein Fuß bisweilen stieß. Sein ganzes Körpergewicht lastete auf den Händen, und seinen Hüften erteilte er ruckweise leichte Stöße, daß er mit den Füßen kaum den Boden berührte. Er spähte nach einem bequemen Durchschlupf, um ins Dickicht des Forstes zu gelangen, der wie ein weiter, dunkler Streif in dem hellen Mondenlichte starrte. Endlich fand er einen stark ausgetretenen Wechsel; der führte weithin durch das von flüchtigen Sohlen arg verwüstete Heidekraut und verlor sich im Dornengestrüpp. Hier standen drei Birken und eine kleine, breitästige Eiche, und der mächtige Schatten dieser vier Bäume zitterte weithin über die Lichtung. Mit Händen und Knien nachhelfend, kletterte Cachaprös bis in die höchsten Aeste der Eiche. Von hier aus konnte er das Gebüsch, die Ginsterstauden und den Pfad übersehen, bis sich dieser im Walde verlor. Er öffnete sein Messer, stieß die Klinge in den Ast und horchte angesttengt in die Ferne. Aus dem bläulichen Schimmer der hellen Nacht brodelte dumpfes Gemurmel: so sanft klang es und regelmäßig und leis wie langsam feierliches Fächerschwingen. Durch die Bäume zog es, drang aus dem Busch, stieg aus den Tiefen des Dickichts auf, bald ferner und bald ganz nah. Und noch ein anderes gedämpftes Geräusch gesellte sich hinzu: es war das Aesen des durch die Nacht streifenden Wildes. Ein seit- sames Schmausen vollzog sich da, von heißhungrigen in den dunklen Schatten schwelgenden Tieren, einem großen, gierigen Heere, das im Waldesinnern ein Tosen vollführte, als brauste der Wind durch den Tann. Für Cachaprds waren die Töne der malmenden Zähne und schnappenden Kiefer eine längstverttaute Musik. Im Rascheln der Zweige erkannte er flüchtige, durchs Dickicht eilende Gestalten, die geschmeidigen Windungen des Rehes, das in dem Geheimnis seiner Schlupfgebüsche hin und wieder huschte, die possierlichen Gebärden der Hasen und Kaninchen, die sich mit scharfen Zähnen dicht überm Boden einen Durch- bruch nagten. Wildschweine erfüllten den finsteren Forst mit ihrem zornigen Gebrumme, mit Hauernstößen und schrillen- den Tönen. Dann wieder verstummte das Getöse und verlor sich im Getrappel eines entfernten Galopps. Und durch die Finsternis fühlte Cachaprös das ganze, unbeschreibbare Grauen der nächtlichen Horden zu sich empor- steigen. Ein beizender Geruch entsstömte all diesem Getier, das er da um sich herumstreichen fühlte, und dieser Dust be- rauschte ihn, erfüllte ihn mit einem Schwindel. Er hätte die ganze Rotte aufs Korn nehmen, sich Leib an Leib mit ihr messen, in ihrem Blute sich wälzen mögen. Seine geweiteten Augen sahen die flüchtigen, schemenhaften Schattengestalten im durchscheinenden Dickicht wogen, bis ihr scheues Getümmel im Schlummer des träumenden Waldes erstarrte. Dann trug der leise, flüsternde Wind Liebesseufzer und schmerzliche Laute mit sich. Mit einem Male erschütterte ein schwacher Klagelaut die Lust. Das Männchen war's, das den Ruf des Weibchens er- widerte; gleichzeitig salbte es seinen Rock mit einem stark- riechenden Fette, das der Dust seiner Liebe war. Er horchte. Eine Bewegung zitterte durch den Hain , langanhaltendes Blättergeraschel. Und fast alsogleich kam ein Schmaltier in die Lichtung gehüpft, das Köpfchen hoch aufgerichtet. Hier blieb es ein paar Augenblicke in Unschlüssigkcit stehen: es witterte mit geblähten Nüstern den Bock. Der zärtliche Mondenschein umhüllte es, schimmerte in seinem Fell und entzündete glimmende Pünktchen in seinen runden Lichtern. Jetzt hüpfte es wieder weiter, in die Richtung der Eiche. Auf dem Aste zusammengeduckt, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, hob Cachaprds seinen furchtbaren Arm. der härter als Eisen war. Um seine Nasenflügel spielte ein wilder Grimm; mit wurfbereiter Klinge spähte er die Stelle aus, auf die er treffen wollte. Das Reh machte noch einen Sprung, dann streckte es ein wenig beunruhigt sein Köpfchen vor. Da sauste ein Gegen- stand pfeifend durch die Luft, und wie eine schwere Masse bohrte sich das Messer zwischen die Schulterblätter des Tieres; ein kurzer Schrei, dann richtete es sich auf den Hinter- deinen auf und wälzte sich, indem es sich zweimal überschlug, auf dem Boden. Mit einem Satze war er vom Aste lierunter. Ein kon­vulsivisches Beben erschütterte den schlanken Körper des Tieres. Wild stampften seine Hufe auf den Rasen, ein Krampf verrenkte seine Kiefer, aus denen ein dünner Blut- strahl hervorquoll. Bis ans Heft bohrte Cachaprös das Messer ein und zog es dann rasch zurück. Ein letztes Mal versuchte das Reh sich auf den Knien aufzurichten, dann sank sein schlotterndes Haupt zurück, und den brechenden Augen ent- strömten reichliche Tränen. Der Mond sandte seinen bleichen Glanz auf diesen Todes- kämpf. Mit verschränkten Armen stand Cachavrös vor seiner zuckenden Beute. Er bewunderte seinen geschickten Wnrf, der.